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·9. September 2025
Analyse: Ist Domenico Tedesco der richtige Trainer für Fenerbahçe?

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·9. September 2025
Fenerbahçe meldet Domenico Tedesco per KAP als neuen Cheftrainer. Der 39-jährige Italo-Deutsche wird noch heute Abend in Istanbul erwartet, soll für zwei Jahre unterschreiben und von Vereinslegende Gökhan Gönül im Staff unterstützt werden. Wir ordnen sein Profil, seine Spielidee und die Passung zum aktuellen Kader ein – und was sich nach der Mourinho-Ära ändern dürfte. Kurz-Analyse von LIGABlatt-Redakteur Çetin Moya Dahle.
Tedesco in Kürze: Karriere, Abschlüsse, Erfolge
Tedesco brachte sich früh als Taktik-Tüftler statt Fußball-Profi in Stellung: Stationen über Erzgebirge Aue und Schalke 04 (Bundesliga-Vizemeister 2017/18) führten ihn zu Spartak Moskva (Vizemeister 2020/21), anschließend zu RB Leipzig – dort holte er 2022 den DFB-Pokal – und zuletzt zur belgischen Nationalelf (2023–Januar 2025). Der studierte Wirtschaftsingenieur mit Master in Innovationsmanagement gilt als analytischer, strukturierter Coach.
Spielidee & System: Struktur + Pressing statt Chaos
In Leipzig kehrte Tedesco zum Dreierketten-Erbe zurück (3-4-2-1/3-4-1-2), legte Wert auf saubere Raumaufteilung, aktives Gegenpressing und kontrollierte Ballzirkulation mit klaren Restverteidigungs-Prinzipien. Daten aus seiner Leipzig-Phase unterstreichen: Ballbesitz >56 %, solides xG-Profil, klar definierte Rollen für Wing-Backs und Halbraum-Zehner. Gleichzeitig ist er nicht dogmatisch: Je nach Kader ist auch ein 4-2-3-1 möglich.
Lehren aus der Mourinho-Ära
Fenerbahçe trennte sich Ende August von José Mourinho, nachdem man in den Champions-League-Playoffs gegen Benfica scheiterte und das Gefühl hatte, dass die Mannschaft spielerisch "besser" und dominanter auftreten müsse. Genau hier setzt Tedesco an: Seine Teams sollen laut eigener Philosophie "den Raum gut teilen", den Ball proaktiv zurückerobern und aus Struktur angreifen – ein Kontrast zur teils vorsichtigen, resultatorientierten Ausrichtung der Vorsaison.
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Kader-Fit: Breite auf den Schienen, Stabilität innen
"Feners" Sommerbaustellen wurden gezielt adressiert: Milan Škriniar kam fest von PSG (bereits zuvor per Leihe aktiv), dazu Außenverteidiger/Schienenspieler wie Nélson Semedo rechts und Archie Brown links. Mit Jayden Oosterwolde, der auch in einer Dreier-Kette stark aufspielen kann, und Mert Müldür besteht beidseitig Konkurrenzdruck. Zentral bringt Škriniar internationale Organisation, neben Çağlar Söyüncü und weiteren Innenverteidiger-Optionen. Ergänzt wird das Aufgebot durch den spielstarken Star-Torwart Ederson. Das prädestiniert Fener für eine Tedesco-typische Dreierkette mit laufstarken Wing-Backs – oder eine flexible Viererkette, ohne die Balance zu verlieren.
Mittelfeld & Offensivachsen: Rollen klar schneiden
Im Zentrum lebt Tedescos Spiel von Pressingresistenz, Laufwegen in die Halbräume und klaren Triggern im Gegenpressing. Spielerprofile wie "Ballzirkulations-Sechser" + "box-to-box" + "Verbindungs-Zehner" sind in seinem System entscheidend – etwa um Freilaufbewegungen der Wing-Backs zu hinterlegen und den Strafraum mit zweiten Wellen zu besetzen. Mit Kreativspielern à la Sebastian Szymański und Balljägern wie Fred (Fitness vorausgesetzt) lässt sich diese Statik modellieren. Dazu kommt Tiefe im Sturm, um sowohl im Positionsspiel als auch im Umschalten gefährlich zu werden. Fürs Mittelfeld wurde zuletzt Edson Álvarez als spielstarker Sechser anstelle von Sofyan Amrabat geholt und für die Offensive starke Einzelakteure wie Jhon Durán, Dorgeles Nene, Marco Asensio oder Kerem Aktürkoğlu – mit Sicherheit interessantes "Material" für Tedescos dynamische Spielidee. Nun liegt es in seiner Hand, ob die Millionen-Investitionen sich amortisieren oder nicht – eine große Verantwortung.
Warum es passen kann
Wo es knirschen kann
Fazit: Ein riskantes Experiment, das viel verspricht
Tedesco ist eine stringent begründbare Wahl: jung, taktisch reif, detailverliebt – mit einem Kader, der seine Prinzipien abbilden kann. Gelingt es, die Wing-Back-Power mit einem stabilen Restverteidigungs-Gerüst und klaren Halbraum-Routen zu koppeln, kann Fenerbahçe in der Liga die Spielkontrolle zurückerobern – genau das, was der Klub nach der Mourinho-Episode einfordert. Der Schlüssel: Tempo bei der Implementierung, Stringenz in der Hierarchiebildung und Ergebnisse, die der Idee früh Rückenwind geben.
Foto: Alexander Hassenstein / Getty Images