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·19. April 2023
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·19. April 2023
Nationalspielerin Ann-Katrin Berger will mit dem FC Chelsea ins Finale der Champions League einziehen. Für die Torfrau wäre es mehr als ein sportlicher Erfolg.
Fast immer ist Fußball nur Fußball. "22 Frauen rennen einem Ball hinterher" (oder so ähnlich), wie Gary Lineker einst feststellte. Ein einfaches Spiel.
Trotzdem gibt es Momente, in denen uns der Fußball mehr über das Leben erzählt. Das Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die USA im vergangenen November war so ein Moment. Nicht, dass der Testkick von herausragendem sportlichen Wert gewesen wäre. Aber als die Nationalhymne ertönte, die Kamera von Spielerin zu Spielerin schwenkte und schließlich bei der lächelnden Torhüterin Ann-Katrin Berger angelangte, bekamen die 90 Minuten eine neue Bedeutung. Hinter Bergers Lächeln verbarg sich mehr als nur Vorfreude auf das Kräftemessen mit dem amtierenden Weltmeister.
Weniger Monate zuvor, noch während der für Frauenfußball-Deutschland so elektrisierenden Europameisterschaft, war die 32-Jährige zum zweiten Mal in ihrem Leben an Schilddrüsenkrebs erkrankt. Mit etwas Abstand zum Turnier machte sie den Schicksalsschlag öffentlich. Anders als nach der ersten Diagnose 2017 musste sich Berger diesmal keiner mehrstündigen Operation, sondern "nur" einer Radiojodtherapie unterziehen. Bei dieser Behandlungsmethode nimmt der Patient eine geringe Menge radioaktiven Jods in Tablettenform zu sich. Das Jod lagert sich in der Schilddrüse ein und zerstört nach und nach die vom Krebs befallenen Zellen.
"Ein Prozess über Jahre, in denen immer etwas passieren kann."- Berger über ihre Krebsbehandlung
Beschwerden habe sie nun keine mehr, sagte Berger Anfang des Jahres im Interview mit dem SWR. Überwunden ist der Krebs indes nicht. "Die Wirkung der Tablette ist ein langer Prozess", so die gebürtige Göppingerin. "Es ist ein längerer Prozess über mehrere Jahre, in denen immer etwas passieren, aber es auch verheilen kann."
Sportlich ist Berger längst wieder voll da. Vor dem Länderspiel im November war sie bereits bei ihrem Verein FC Chelsea zwischen die Pfosten zurückgekehrt. Mit den Blues peilt die Deutsche, die der Bundesliga schon mit 21 den Rücken kehrte und über Paris und Birmingham den Weg nach London fand, nicht nur die Verteidigung des Doubles aus Meisterschaft und FA-Cup-Sieg an. Der englische Spitzenklub will zum ersten Mal in seiner Geschichte auch in der Champions League reüssieren.
Am kommenden Samstag (22. April, Hinspiel) und fünf Tage später (27. April, Rückspiel) wartet im Halbfinale der FC Barcelona auf die Londonerinnen. Barça, das mit dem Comeback der lange verletzten Weltfußballerin Alexia Putellas rechnet, ist der große Favorit auf den Titel in der Königsklasse. Allerdings galten die Katalaninnen schon in der letzten Saison als designierter Champion, unterlagen dann aber im Endspiel den Französinnen von Olympique Lyon. Gegen die wiederum setzte sich Chelsea im Viertelfinale vor drei Wochen durch - mit Ann-Katrin Berger als Hauptdarstellerin. Im Elfmeterschießen an der Stamford Bridge entschärfte die Deutsche zwei Strafstöße und avancierte zur großen Heldin. "Die beste Torhüterin der Welt!", schwärmte Kollegin Maren Mjelde nach Abpfiff.
Tatsächlich gibt es international nur wenige Schlussfrauen, die es mit Berger aufnehmen können. Nicht umsonst belegte sie 2021 bei der Wahl zur Fifa-Welttorhüterin den dritten, 2022 sogar den zweiten Platz. In der Nationalelf muss sie sich dennoch mit der Rolle als Reservistin zufrieden geben. Das Spiel gegen die USA war erst Bergers vierter Einsatz im DFB-Trikot, jüngst gegen die Niederlande und Brasilien kamen Nummer fünf und sechs hinzu. An Platzhirschin Merle Frohms vom VfL Wolfsburg, die seit 2019 die imposante deutsche Torhüterinnentradition von Silke Rottenberg über Nadine Angerer bis zu Almuth Schult fortsetzt, gibt es kein Vorbeikommen. Für die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) hat sich Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bereits auf Frohms als Nummer eins festgelegt.
Ausgeschlossen ist es trotzdem nicht, dass Berger in Down Under ähnlich in den Mittelpunkt rückt wie bei Chelsea. Emma Hayes, die Londoner Trainerin, hob nach dem Elferkrimi gegen Lyon Bergers besondere Fähigkeiten beim Parieren von Strafstößen hervor und betonte, dass diese Disziplin wohl niemand so perfekt beherrsche wie die Deutsche.
Bei der WM - im Falle des Finaleinzugs mit vier K.o.-Spielen - könnte Berger diese Sonderbegabung zugute kommen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Ersatztorhüterin eigens für das Elfmeterschießen eingewechselt wird. Bundestrainerin Voss-Tecklenburg dürfte diese Variante im Hinterkopf haben.
Vorerst liegt der Fokus aber auf dem Champions League-Halbfinale gegen Barcelona. Chelsea und Berger träumen vom überraschenden Finaleinzug. Vielleicht reckt die Torfrau im Endspiel in Eindhoven am 3. Juni sogar den berühmten Henkelpott in die Höhe. Fest steht, dass ihre Geschichte schon jetzt eine besondere ist. Egal, welche Erfolge der Fußball noch für sie bereithält.