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·6. Dezember 2024
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Im Interview mit liga3-online.de spricht Verls scheidender Sportvorstand Raimund Bertels über die Gründe für seinen Abschied im Sommer, Reaktionen im Verein, Highlights aus über zwei Dekaden beim SC Verl und Zukunftsvisionen für den Sportclub.
liga3-online: Nach weit mehr als zwei Dekaden im Verein und elf Jahren als Sportvorstand ist im Sommer Schluss. Was sind die Gründe für diese Entscheidung, Herr Bertels?
Raimund Bertels: Ich habe vor etwa einem halben Jahr damit angefangen, darüber nachzudenken. Viele private Aktivitäten am Wochenende muss ich immer wieder absagen. Ich möchte mehr Zeit für meine Familie und Freunde haben und habe das Gefühl, dass ich dann künftig nicht mehr alles für den Verein geben kann. Da ich keine halben Sachen mache, ist es dann nur logisch, kürzer zu treten und mich als Sportvorstand zurückzuziehen. Außerdem hat sich der Fußball sehr gewandelt in den letzten Jahren. Das Geschäft ist brutaler geworden. Mir macht es nicht mehr so viel Spaß und ich bin vielleicht ein wenig amtsmüde geworden. Ich spüre und fühle es nicht mehr so sehr wie früher.
Jürgen Klopp sagte nach seinem Abschied beim FC Liverpool: “I am running out of energy”. Das trifft dann auch auf Sie zu?
Ich würde mich zwar niemals mit Jürgen Klopp vergleichen. (lacht) Aber da ist schon was dran. Ich glaube nicht, dass ich weiterhin mit gleicher Leidenschaft und Energie tagtäglich alles für den SC Verl geben kann. Es wird gut für mich sein, mir einfach mal etwas mehr Ruhe anzutun. (lacht) Auch, wenn ich jetzt schon weiß, dass mir im Sommer etwas fehlen wird. Der Entschluss fühlt sich aber absolut richtig an, und ich freue mich auf meinen Skiurlaub und Weihnachten mit der Familie.
Wie fielen die Reaktionen im Verein aus?
Alle waren sich einig: Raimund, du kannst uns doch nicht verlassen. Es war schon sehr emotional. Egal, ob Spieler, Fans oder Mitarbeiter:innen: Alle – inklusive mir – hatten Tränen in den Augen. Diese Wertschätzung hat mir aber auch gezeigt, dass ich vieles richtig gemacht habe. Ich bin sehr dankbar, diesen Verein schon so lange begleiten zu dürfen. Und dass wir alle beim SC Verl auf Augenhöhe agiert haben und immer ein tolles Verhältnis hatten. Sie müssen verstehen: Ich bin kein Sportvorstand, der sich durch seine Verantwortung über andere stellt. Im Gegenteil: Wie man mich nennt, ist mir egal. Mich kann man auch Hausmeister nennen. (lacht)
Wie bewerten Sie die Entwicklung des Vereins in den letzten Jahren?
Wir haben Unglaubliches geschaffen. Nicht selten hatte ich verrückte Ideen und Visionen, die später tatsächlich Realität wurden. Ich habe beispielsweise früh die Stadionmodernisierung als wichtigen Baustein für die Zukunft des Sportclubs vorangetrieben. Bei einer Jahreshauptversammlung habe ich aus der Emotion heraus in die Runde gefragt, warum es für den SC Verl nicht irgendwann mal in die 3. Liga gehen sollte. Dafür hat es damals nicht bloß Gelächter, sondern sogar Kritik gegeben. Aber heute kann ich sagen: Wir haben es geschafft. Seit 2020 spielen wir durchgängig in der 3. Liga. Uns kennt man sogar international. Ich freue mich einfach sehr für den Verein und alle Beteiligten, die unseren Weg nicht nur mitgegangen sind, sondern von Anfang an daran geglaubt haben.
Was war Ihr Highlight – und was der Tiefpunkt?
Das Highlight war auf jeden Fall der Aufstieg in die 3. Liga. Beim Tiefpunkt musste ich jetzt etwas länger überlegen. Niedergeschlagen war ich zum Beispiel zu meiner Zeit als Trainer. Das ist schon ein paar Tage her. (lacht) Damals waren meine beiden Söhne, die mittlerweile studieren, acht und fünf Jahre alt. Bei einer Heimniederlage, bei der auch meine Kinder im Stadion waren, gab es Sprechchöre für meinen Rauswurf als Trainer. Das hat mich aus mehreren Gründen mitgenommen – eben auch, weil meine Söhne das mitbekamen. Ich habe ihnen danach erklären müssen, dass sich diese Sprechchöre nicht gegen mich als Person, sondern gegen meine Arbeit richten. Aber: Diese Krise wurde überstanden. Ich bin stolz, einige Aufstiege und Meisterschaften gefeiert zu haben. Und auch, dass ich nie abgestiegen bin. Obwohl ich laut eines berühmten Trainerzitats, wonach man “erst ein richtiger Trainer wird, wenn man einmal irgendwo rausgeschmissen wurde” ja eigentlich nie ein richtiger Trainer oder Sportvorstand war.
Wo steht der SC Verl heute – wie bewerten Sie die jetzige Situation?
Sehr positiv. Wir haben in den vergangenen Jahren gut gearbeitet und konnten dank unserer treuen Sponsoren den Etat deutlich erhöhen. Trotzdem haben wir immer noch einen der kleinsten Etats in der 3. Liga. Umso dankbarer können wir sein, dass wir es bis hierhin geschafft haben und seit einigen Jahren durchgängig drittklassig spielen. Mit vielen tollen Menschen haben wir professionelle Strukturen geschaffen. Strukturen, auf die wir alle stolz sind.
Wie geht es für den SC Verl weiter – was ist Ihre Vision für den Klub?
Wir sind realistisch und demütig. Die 3. Liga ist genau die richtige für uns. Während viele Klubs enttäuscht darüber sind, nur in der 3. Liga zu spielen, ist es für uns immer noch etwas Besonderes. Wir sind ein mittlerweile gefestigter Drittligist, der genau hier hingehört – und der in der 3. Liga viele spannende Ideen entwickeln kann. Ohne überheblich klingen zu wollen: Wir begeistern nicht nur unsere Fans, sondern die gesamte Liga und spielen den attraktivsten Fußball der Liga. Wir wollen jedes Jahr unbedingt die 3. Liga halten und wissen genau, wie schwer es werden würde, nach einem Abstieg wieder hochzukommen. Das haben viele abschreckende Beispiele gezeigt.
Es gibt also nicht wieder einen emotionalen Spruch über einen potentiellen Aufstieg, mit dem sie für verrückt erklärt werden?
Nein – bei meiner letzten Jahreshauptversammlung habe ich mich nicht umsonst zusammengerissen! (lacht) Spaß beiseite: Sportlich bin ich davon überzeugt, dass wir auch in der Lage wären, in der 2. Bundesliga mitzuhalten. Aber dafür gäbe es allein schon infrastrukturell noch zu viele Baustellen. Noch einmal: Die 3. Liga ist optimal für den SC Verl.
Wohin führt Ihr eigener Weg und was sind Ihre Pläne?
Ich bin auf keinen Fall zu alt, um etwas Neues anzufangen. Viele bescheinigen mir auch immer wieder, dass ich jünger wirke, als ich mit meinen bald 58 Jahren tatsächlich bin. (lacht) Fakt ist, dass der SC Verl eine Herzensangelegenheit und so etwas wie meine zweite Heimat ist. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dem Verein treu zu bleiben und neue Themen in beratender Funktion mit aufzubauen. Ich werde zwar keine Hauptverantwortung mehr tragen. Aber wenn der Vorstand um meinen Nachfolger Sebastian Lange mich braucht, stehe ich immer mit Rat und Tat zur Seite.