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·22. August 2024
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Seit mittlerweile über zehn Jahren hat sich der Club Atlético de Madrid als die verlässliche dritte Kraft im spanischen Fußball etabliert. Doch die Rojiblancos wollen mehr – das hat dieser Transfersommer unmissverständlich unter Beweis gestellt.
Dabei gelang es Atléti in der vergangenen Dekade sogar zweimal, den Gipfel von La Liga zu erklimmen. 2014 und 2021 sicherten sich die Madrilenen den nationalen Meistertitel, 2014 und 2016 standen sie zudem im Champions-League-Finale. Die 2011 begonnene Ära Diego Simeone ist zweifelsohne eine gigantische und vielleicht sogar einzigartige Erfolgsgeschichte.
Doch in den letzten knapp drei Jahren hat sich der Abstand auf die Schwergewichte des spanischen Fußballs wieder vergrößert. Atlético holte starke 71, 77 und zuletzt 76 Punkte, doch auf Tuchfühlung mit dem Titelkampf ging man nicht mehr. In der abgelaufenen Saison zog dann sogar das katalanische Sensationsteam vom FC Girona vorbei. Für die äquivalent zum eigenen Erfolg gestiegenen Erwartungshaltungen der Hauptstädter ein nicht hinnehmbarer Zustand, der im Laufe dieses Sommers korrigiert werden sollte.
Dementsprechend aggressiv und ungewohnt kauffreudig präsentierten sich Los Rojiblancos in den letzten Wochen. Satte 140 Millionen Euro nahm Atléti auf dem Transfermarkt bisher in die Hand, die 40 Millionen Euro für den bevorstehenden Kauf von Chelsea-Star Conor Gallagher sind da noch nicht mit eingerechnet. Bei Einnahmen von lediglich 20 Millionen Euro, auch diese Bilanz wird durch den Abgang von Joao Felix zu den Blues noch aufgehübscht werden, verzeichnen die lange so konservativ wirtschaftenden Madrilenen ein saftiges Transferminus.
Zum Vergleich: Im vergangenen Sommer gab Atlético gerade einmal 55 Millionen Euro für Spielereinkäufe aus, 2022 waren es sogar nur 30 Millionen Euro. Mehr Geld als während der aktuellen Transferperiode gab der elffache spanische Meister nur vor der Saison 2019/2020 aus. Damals investierte der Klub satte 250 Millionen Euro, alleine 130 Millionen davon entfielen auf die Verpflichtung von Joao Felix. Durch Verkäufe von Akteuren wie Antoine Griezmann, Lucas Hernandez und Rodri generierten Los Colchoneros allerdings auch Einnahmen in Höhe von 315 Millionen Euro.
(Photo by BJORN LARSSON ROSVALL/TT NEWS AGENCY/AFP via Getty Images)
Die aktuelle Herangehensweise des Tabellenvierten ist daher in Relation zur eigenen Vereinsgeschichte eine Anomalie und unterstreicht die ambitionierten Pläne, die Atleti in dieser Spielzeit verfolgt. Königstransfer ist dabei ohne Frage Julian Alvarez. Der Argentinier wurde für 75 Millionen Euro inklusive möglicher Bonuszahlungen von Manchester City geholt, womit historisch nur Felix noch teurer war. Zudem kommt Europameister Robin Le Nomand für 35 Millionen Euro von Real Sociedad, während Torjäger Alexander Sörloth für 32 Millionen Euro vom FC Villarreal losgeeist wurde. Auch die angesprochene Verpflichtung von Conor Gallagher dürfte in den kommenden Tagen endgültig offiziell gemacht werden.
Die getätigten Transfers sind dabei einerseits ein deutliches Zeichen an die Konkurrenz, andererseits merzen sie aber auch klare Schwachstellen aus, die das Spiel von Atlético in der Vorsaison plagten. Insbesondere Alvarez passt dabei perfekt in das System seines argentinischen Landsmannes Diego Simeone. Der 24-Jährige ist hervorragend in der Arbeit gegen den Ball, taktisch diszipliniert und in seinen eigenen Offensivbemühungen äußerst zielstrebig. Er soll vor allem Antoine Griezmann entlasten, der ein überragendes Jahr spielte, allerdings auch eine extrem große Last schultern musste. Bei der Europameisterschaft merkte man dem Franzosen die fehlenden Körner durchaus an.
Alexander Sörloth dagegen kommt als direkter 1:1-Ersatz für den zur AC Mailand abgewanderten Alvaro Morata. Mit einem Gardemaß von 1,95 Metern ist der Norweger sogar sechs Zentimeter größer als sein spanischer Vorgänger. Sörloth gelangen in der letzten Spielzeit starke 29 Scorer (23 Tore, sechs Assists), der Norweger konnte sich schon im Auftaktspiel gegen seinen Ex-Verein aus Villarreal in die Torschützenliste eintragen.
(Photo by JOSE JORDAN/AFP via Getty Images)
Dritter Neuzugang ist Europameister Le Normand, der in Deutschland gemeinsam mit Aymeric Laporte ein rein baskisches Innenverteidiger-Duo bildete. Der 27-Jährige soll Atlético die gefürchtete defensive Stabilität und die generelle Galligkeit zurückbringen, die unter dem spielerischen Fortschritt der vergangenen Jahre teilweise etwas gelitten hat. In der letzten Saison verfügten die Madrilenen „nur“ über die viertbeste Abwehrreihe in La Liga. Die 43 gefangenen Gegentore stellen für Simeone-Verhältnisse einen enorm hohen Wert dar und dürften den extrovertierten Übungsleiter sicherlich alles andere als zufrieden gestellt haben.
In dieser Hinsicht wird auch Conor Gallagher helfen, der im Spiel gegen den Ball gute, wenn auch keine überragenden Qualitäten besitzt. Mit seiner Laufstärke und den Qualitäten als Ballabfänger wird der 24-Jährige dennoch einen klaren Mehrwert für den „Simeone-Ball“ liefern. Außerdem ist der englische Nationalspieler für einen Achter ein ausgesprochen guter Zweikämpfer.
Vollständig abgeschlossen dürften die Personalplanungen der Rojiblancos aber noch nicht sein. Gesucht wird ein weiterer Innenverteidiger, der gemeinsam mit Le Normand das Abwehrzentrum der Zukunft bildet. Im ersten Ligaspiel gegen den FC Villarreal wurde der Europameister von den Altstars Axel Witsel (35) und Cesar Azpilicueta flankiert. Beide Spieler sind ohne Frage schlachtenerprobte Veteranen, die auch im Fußball-Jahr 2024 noch über dringend gebrauchte Qualitäten verfügen. Das damit einhergehende Tempodefizit war gegen das „gelbe U-Boot“ jedoch schnell und deutlich sichtbar, insbesondere vor dem 0:1 sah Witsel gegen Arnaut Danjuma mehr als nur unglücklich aus. Auch beim zweiten Gegentreffer machte der ehemalige Dortmunder keine gute Figur.
Möchte Atlético in dieser Saison wirklich auf Augenhöhe mit Real und Barça spielen, ist ein weiteres Upgrade auf dieser Position eigentlich alternativlos. Angesichts der überbordenden Ausgaben im bisherigen Sommer ist es durchaus denkbar, dass noch ein Spieler per Leihe verpflichtet wird. Sitzt dieser Transfer, so besitzt die Simeone-Elf eigentlich alle Zutaten, um endlich auch mal wieder ganz oben anzugreifen.
Der Grundstein dafür wurde durch die hochkarätigen Neuverpflichtungen jedenfalls gelegt, nun geht es darum, die Automatismen reifen zu lassen und die notwendige Balance im eigenen Spiel zu finden. Das fußballerisch aktive und zunehmend ballbesitzorientierte Atlético der letzten zwei bis drei Jahre wird dabei eine Symbiose mit dem ekligen Atlético der Jahre 2014 bis 2021 eingehen müssen, gegen das auf dem gesamten europäischen Kontinent kein einziges Team antreten wollte. Gelingt dieses Zusammenspiel, sind Los Rojiblancos deutlich näher am spanischen Spitzenduo dran als noch in den Vorjahren. Und das ist auch das erklärte Ziel. Denn wenn dieser Transfersommer eines gezeigt hat, dann ist das Folgendes: Die Bescheidenheit früherer Jahre ist beim vermeintlich „kleineren“ Klub Madrids endgültig Geschichte!
(Photo by JAVIER SORIANO/AFP via Getty Images)