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·9. Dezember 2024
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Der ewige Vizemeister gewinnt in Los Angeles im Alter von 35,5 Jahren seinen ersten Titel – Fever Pit'ch-Kolumnist Alex Steudel meint: Mehr Fußballwunder geht einfach nicht
Oft schießen mir dieselben Gedanken durch den Kopf, wenn ich Sonntag in der früh aufwache.
Der erste: „Na toll, wieder ist das Wochenende rum.“ (Ich hasse Sonntage.)
Der zweite: „Und ein Kolumnenthema fehlt mir auch noch.“ (Ich kann nicht dauernd schreiben, dass der BVB auswärts nichts auf die Reihe kriegt und die Bayern nur gegen kleine Klubs gewinnen, das wissen die Leute schon.)
Der dritte Gedanke: „Aber vielleicht wartet ja auf meinem iPhone etwas, das mich aufmuntert. Ein Lottogewinn zum Beispiel. Oder ein anderes Superthema.“ Aber das passiert natürlich nie.
Bis auf gestern, da passierte alles gleichzeitig: Der Grund hieß Marco Reus.
Der Dortmunder Junge hatte, während ich schlief, nicht nur die erste Meisterschaft seines Lebens gewonnen (ein Wunder). Er stand in der Schlussphase des Endspiels seiner L.A. Galaxy gegen New York (2:1) sogar auf dem Platz, weil er eine Verletzung in letzter Sekunde einigermaßen auskuriert hatte (ein noch größeres Wunder).
Professionelle Wahrscheinlichkeitsrechner zucken hier vermutlich nur mit den Schultern. Reus hat etwas geschafft, das weit über einem Sechser im Lotto steht. Sechser gibt es nämlich immer wieder. Einen Marco Reus mit Meisterschaftspokal erlebt man so häufig wie einen Meteoriteneinschlag auf dem Borsigplatz während einer totalen Sonnenfinsternis.
Der Mann war mit Dortmund ungefähr doppelt so oft Vizemeister wie das gesamte Bayer Leverkusen in 120 Jahren. Reus verlor Champions-League-Endspiele, er fiel verletzt aus, als Deutschland 2014 Weltmeister wurde. Er gewann in seiner Karriere nur zweimal den DFB-Pokal.
Angesichts seines Talents ist das, als wäre Elon Musk Abteilungsleiter bei Daimler geworden.
Und als Reus dann 2018 endlich mal bei einer WM fit war, wurde es die schlimmste aller Zeiten aus deutscher Sicht.
Das Lebensschicksal des Marco Reus: Alle mochten ihn, aber er hatte immer Pech. Er war Donald Duck mit Stollen unten dran.
Und jetzt das: Phönix aus der Asche. Im Alter von 35 Jahren, sechs Monaten und sieben Tagen holte Reus die erste Meisterschaft seines Lebens. Bezeichnenderweise gewann er den Titel mit einem Klub namens Galaxy – auf Erden hatte ihm das keiner mehr zugetraut.
Mir versüßte das sogar den Sonntag.
Schon als Reus im Sommer aus Dortmund nach Los Angeles wechselte, nickte ich zufrieden: Endlich mal einer, der Eier hat. Er hätte ja, wie so viele Fußballrentner, nach Saudi-Arabien gehen und eine Fantastillion einstecken können, während seine Kinder Wüstensand aushusten.
Reus verzichtete auf einen Haufen Geld, was ihn sehr sympathisch macht, weil ihm seine Familie wichtiger war als die Kohle, was ihn noch sympathischer macht. Und abgesehen davon: Die US-Liga MLS ist gar nicht so schlecht, der Zuschauerschnitt betrug in der abgelaufenen Saison über 23.000, und manchmal erkennt man in den Spielen sogar so etwas wie Taktik.
Aber ja, ich gebe zu, ich konnte mir einen Marco Reus in Hollywood anfangs nicht so richtig vorstellen. Heute muss ich sagen: Es gibt sie eben doch immer wieder, die erfolgreichen Umzüge deutschsprachiger Künstler nach Kalifornien, nicht jeder ist Til Schweiger. Seit heute muss man jedenfalls einen Dortmunder in einem Atemzug mit den ganz Großen nennen:
Thomas Mann, Max Beckmann*, Arnold Schwarzenegger, Werner Herzog, Elke Sommer – Marco Reus!
Es gibt übrigens ein legendäres Walt-Disney-Taschenbuch, in dem Donald Duck endlich nicht mehr vom Pech verfolgt ist: Das, in dem er Phantomias wird. „Donald mal ganz anders (Lustiges Taschenbuch Nr. 41)“ war schon immer mein Lieblingsband.
In Los Angeles wurde jetzt Marco Reus zu Phantomias. Ist das nicht schön?