MillernTon
·16. September 2025
„Contenance bewahren“

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·16. September 2025
Nach dem 2:1-Erfolg gegen den FC Augsburg regiert beim FC St. Pauli ein angenehmes Maß an Selbstkritik, Selbstreflexion und Selbstvertrauen.(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Das 2:1 des FC St. Pauli gegen den FC Augsburg war sicherlich nicht der schönste Bundesliga-Erfolg des Clubs, aber ein historischer: Denn dadurch hat der FCSP sieben Punkte nach drei Spielen auf dem Konto. Nie ist er erfolgreicher in eine Bundesligasaison gestartet. Das weckt natürlich die Hoffnungen auf einen erneuten Klassenverbleib. Wir schauen uns an, wo das (nicht) hinführen kann und wie Alexander Blessin, Eric Smith und Hauke Wahl die aktuelle Situation einordnen.
Platz vier und sieben Punkte – nachdem wir im Vorjahr nach drei Spieltagen davon berichteten, dass Clubs, die zu diesem Zeitpunkt Null Punkte auf dem Konto haben eher selten absteigen, wollen wir mal schauen, wie die Situation jetzt ist: Seit Einführung der 3-Punkte-Regel vor, wow!, 30 Jahren ist kein einziger Club mit sieben Punkten aus den ersten drei Ligaspielen auf Platz 17 oder 18 eingelaufen. Einzig der KSC ist in der Saison 97/98 nach sieben Punkten zum Start (und auf Platz eins liegend) am Ende Tabellen-16. geworden, was damals den direkten Abstieg bedeutete. Weiteres, wenn auch nicht ganz so dramatisches tabellarisches Abrutschen gab es von Arminia Bielefeld, die nach sieben Punkten zum Start die Saison 07/08 auf Platz 15 beendeten. Alle weiteren Clubs, in den letzten 30 Jahren mit sieben oder mehr Punkten in die Saison gestartet sind, befanden sich am Saisonende irgendwo zwischen Platz 1 und 14, zum überwiegenden Teil in der oberen Tabellenhälfte. Basierend auf diesen Zahlen ist ein Abstieg des FC St. Pauli also bereits recht unwahrscheinlich.
Aber hey, die letzte Saison ist ein mahnendes Beispiel. Da hatte der 1. FC Heidenheim sechs Punkte nach drei Spielen, lag auf Rang vier – und musste am Ende in der Relegation zittern. Auch wenn sich also einige Medien und Fans zu teils gewagten Thesen versteigen („Kandidat für den Europacup“), so ist der FC St. Pauli sehr gut beraten, wenn er weiterhin kleine Brötchen backt. Zwar werden wohl auch diese Saison weniger als 40 Punkte für den Klassenerhalt notwendig sein und somit reicht dem FCSP ab sofort ein Schnitt von etwas weniger als einem Punkt pro Spiel für den Klassenerhalt, aber sieben Punkte werden sicher nicht reichen, um die Klasse zu halten. Die Saison ist lang, die Sorge vor schwerwiegenden Verletzungen und was-weiß-ich-für-eine-Scheiße ist groß und entsprechend ist es wichtig, dass auf keinen Fall irgendwer durchdreht.
In all dem Freudentaumel nach Abpfiff war es daher sehr, sehr hilfreich in der Mixed Zone Eric Smith und Hauke Wahl und auf der Pressekonferenz Alexander Blessin zu lauschen. Drei Personen, von denen überhaupt nicht zu erwarten ist, dass sie durchdrehen. Und das zeigten sie auch nach dem Spiel. Blessin: „Wir müssen die Contenance bewahren. Das jetzt zu genießen ist schön. Aber was sollen wir jetzt Rumfeiern?“ Sowieso sei zu dieser Frühphase der Saison die Tabelle auch wenig aussagekräftig: „Der Blick auf die Tabelle fühlt sich gut an, aber hat für mich keinen Stellenwert. Nach den ersten zehn Spieltagen können wir mal drüber reden.“
Dieses schöne Gefühl wird laut FCSP-Cheftrainer nur dann anhalten, wenn das Team nicht nachlässt, weiter so arbeitet: „Ich glaube es ist jetzt wichtig keinen Deut davon wegzugehen, von dem was uns stark gemacht hat.“ Den Eindruck, dass das nun passieren könnte, hat Blessin nicht: „Ich glaube, dass die Spieler weiter sehr hungrig sind und es auch richtig einordnen können,“ der auch gleich den Grund dafür nannte, warum er nicht davon ausgeht, dass sein Team nachlasse: „Weil die Jungs anders gepolt sind.“
Wie genau sie „gepolt“ sind, davon bekam man am Sonntag in der Mixed Zone etwas mit. Hauke Wahl wurde auf die Frage, wie zufrieden man denn nun mit sieben Punkten in dieser Phase sei, deutlich: „Zufriedenheit ist Rückschritt.“ Er erklärte, dass „die sieben Punkte extrem viel Rückenwind“ geben würden, aber zu viel Selbstvertrauen auch nicht hilfreich sei, denn: „Wir sind nicht so gut, dass wir mit 99 Prozent Einsatz ein Spiel gewinnen können.“
Oder vielleicht doch? Zumindest, wenn man nicht nur, wie Wahl es tat, vom „Einsatz“ spricht. Denn der Erfolg gegen den FC Augsburg zeigte, dass es auch mal schwächere Phasen in einer Partie geben kann und ärgerliche Gegentreffer, der FC St. Pauli das Spiel aber trotzdem gewinnt. Eric Smith erklärt, dass genau diese Spiele von höchster Bedeutung für den Erfolg sind: „Es wird entscheidend sein in dieser Saison, dass wir auch dann punkten, wenn wir nicht unser bestes Spiel machen“ und der Vize-Kapitän des FCSP ergänzte: „Ich bin super glücklich, dass wir uns seit dem letzten Jahr so gut entwickelt haben, dass wir diesen Job erledigen konnten. Heute war nicht unser bestes Spiel, aber wir haben drei Punkte geholt.“
„Zufriedenheit ist Rückschritt“ – Hauke Wahl hat die Vorgaben seines Cheftrainers der permanenten Unzufriedenheit in der Mixed Zone perfekt in die Tat umgesetzt. // (c) Stefan Groenveld
Was genau ist dem FC St. Pauli gegen den FC Augsburg denn nicht so gut gelungen? Alexander Blessin war mit dem nicht immer gut abgestimmten Anlaufverhalten seines Teams unzufrieden. Zudem habe man, so erklärte es der FCSP-Coach nach Abpfiff, den Gegner mehr oder weniger eingeladen zu guten Ballgewinnen zu kommen. Weil die FCSP-Spieler zu wenig vertikal spielten und dieses „Kurzpass-Festival“ ineffizient und auch risikoreich gewesen sei. Auch Hauke Wahl erklärte, dass es ganz konkretes Verbesserungspotenzial gibt, „weil noch nicht jeder zu 100 Prozent weiß, was er in den Situationen zu machen hat“ und zeigte damit auf, dass sich der FC St. Pauli im Defensivverhalten noch weiterentwickeln kann.
Dass der FC St. Pauli diese Partie trotz einiger nicht ganz optimal laufenden Dinge trotzdem gewonnen hat, ist eine Weiterentwicklung im Vergleich zur Vorsaison. Aber was genau hat sich denn verändert? „Wir sind einfach erfahrener“, sagt Wahl, „wir wissen, wie man Bundesliga spielt.“ Er erinnerte dabei an das Spiel gegen Augsburg am 3. Spieltag der Vorsaison (ging 1:3 verloren): „Da waren wir sehr, sehr naiv, waren nicht so clever. Das Spiel war rückwirkend extrem wichtig für uns, weil wir da viele Lehren draus gezogen haben. Heute war es genauso: Augsburg hat unter Druck den Ball lang gespielt. Das ist Bundesliga und ich glaube wir haben uns das auch angeeignet.“
Doch da ist noch mehr. Denn allein Cleverness reicht nicht, um solche Spiele zu gewinnen. Wahl: „Wenn man sieht, dass man in der Halbzeit noch Martijn und Manos und nachher Dapo reinbringen kann und Jackson ist draußen geblieben – das ist schon sehr viel Qualität.“ Diese Qualität führt unter anderem dazu, dass man gegen Dortmund und nun auch gegen Augsburg nach Rückständen zurückkommen konnte. Es erinnert ein wenig an die Phase aus der Vorsaison, als der FC St. Pauli in der Rückrunde ein Überangebot auf den offensiven Außenbahnen hatte und plötzlich zum Spielende hin kein Qualitätsverlust mehr vorhanden war. Erst dann gelang es dem FCSP nach Rückständen auch mal zurückzukommen, so wie jetzt auch. Der Kader des FC St. Pauli ist also qualitativ auf einem anderen Level und auch etwas cleverer als noch in der Vorsaison. Wahl: „Die Breite im Kader und die Erfahrung aus dem ersten Jahr, das macht uns momentan so stark.“
Noch etwas ist bemerkenswert, etwas, worauf Alexander Blessin laut eigener Aussage „ein bisschen stolz“ ist: Nach den Highlights gegen den BVB und HSV, stand mit Augsburg der Liga-Alltag an. Ein leichter Spannungsabfall wäre zu erwarten gewesen, weil er eigentlich natürlich ist. In Sachen Einsatz gab es diesen aber nicht beim FC St. Pauli. Blessin: „Wir haben uns immer gesagt: Für uns ist jedes Spiel ein Highlight-Spiel. Wir wollen jedes Spiel als Geschenk sehen und das auch so ausleben.“ Auch wenn es sicher schwierig ist ein Spiel gegen körperliche unangenehme Augsburger als „Geschenk“ zu betrachten: Offensichtlich ist dem FC St. Pauli genau das gelungen.
Nach dem historischen Saisonstart findet sich beim FC St. Pauli also vielleicht etwas Genugtuung, weil die Pläne und Ideen aktuell aufzugehen scheinen. Von Zufriedenheit ist man aber natürlich weit entfernt, vom perfekten Spiel sowieso. Diese Einstellung, sie hat System und soll dafür sorgen, dass sich niemand im Verlauf der Saison auf irgendwelchen vermeintlichen Erfolgen ausruht, dass niemand nachlässt, dass das Team weiter möglichst nahe bei den 100 Prozent bleibt. Denn nur so wird der FCSP nicht einbrechen und das Ziel Klassenerhalt (daran hat sich im Vergleich zur Vorsaison nichts geändert) erreichen. Ein wenig was hat sich aber vielleicht doch geändert: Denn in der vorherigen Spielzeit waren die 100 Prozent die wichtigste Grundvoraussetzung, um überhaupt eine Chance auf den Klassenerhalt zu haben. In den bisherigen Spielen dieser Saison wurde deutlich: Wenn die Einstellung bestehen bleibt, dann wird es mehr als nur eine Chancen auf den Klassenerhalt geben, dann wird er sicher gelingen. Denn Hauke Wahl nannte noch einen Grund, warum der FCSP mit 2:1 gegen den FCA gewann, obwohl auch die Augsburger in Sachen Einstellung nahe am Maximum waren: „Wir haben es geschafft einen Ticken besser Fußball zu spielen.“ DAS kommt jetzt nämlich für die Gegner noch erschwerend hinzu!
// Tim
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