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·21. August 2024

Der doppelte Kulturschock: Kann der FC St. Pauli in der Bundesliga überleben?

Artikelbild:Der doppelte Kulturschock: Kann der FC St. Pauli in der Bundesliga überleben?

Erstmals seit der Saison 2010/11 spielt der FC St. Pauli wieder in der Bundesliga. Für die Kiezkicker könnte die Rückkehr ins Oberhaus einem doppelten Kulturschock gleichkommen. Denn nicht nur die Gegner, auch Trainer und Taktik sind neu am Millerntor-Stadion.

Der Aufstieg des FC St. Pauli trägt einen Namen: Fabian Hürzeler heißt der Mann, der im Dezember 2022 das Ruder übernahm und den Kultklub binnen 18 Monaten von den Abstiegsrängen des Unterhauses in die Bundesliga führte. Wie es für kleinere Klubs nach Erfolgen gewöhnlich ist, wurde auch der Zweitliga-Meister Opfer der Nahrungskette. So folgte der erst 31 Jahre alte Hürzeler dem verlockenden Ruf der Premier League und wechselte zu Brighton & Hove Albion. Sein Nachfolger auf St. Pauli ist ein gewisser Alexander Blessin, seines Zeichens immerhin frisch gebackener belgischer Pokalsieger und Ligazweiter mit Royale Union Saint-Gilloise, noch dazu Trainer des Jahres im Nachbarland.


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FC St. Pauli: Vom Ballbesitz- zum Pressing-Monster?

Wir haben uns mit Sportjournalist Jakob Haffke unterhalten, der den Podcast Flugkopfball hostet und seit Jahren die Spiele und Entwicklungen rund um den FC St. Pauli verfolgt. “Die Verpflichtung von Alexander Blessin als Hürzeler-Nachfolger kann durchaus als Coup bezeichnet werden. Für einen Bundesliga-Aufsteiger ist es ein ziemlich dicker Fisch, den Trainer des belgischen Tabellenzweiten und Pokalsiegers zu verpflichten”, beurteilt Haffke den Trainerwechsel. Für den St.-Pauli-Experten ist der 51-Jährige “ein Trainer, dessen Verpflichtung deutlich mehr Hoffnung weckt als die eines ‘etablierten’ Namen wie Thomas Reis oder Daniel Thioune es getan hätte. Seine Installation sagt einiges über das Potenzial aus, dass der Verein inzwischen hat”.

Haffke führt aus: „Zusätzlich dazu passt Blessins Fokus auf das Spiel gegen den Ball besser zu St. Paulis Rolle als Außenseiter in der Bundesliga. Dies wäre bei Hürzelers Spielweise mit viel Fokus auf Ballbesitz nicht der Fall gewesen.“ Und das ist die wohl mit Abstand spannendste Änderung, die mit dem Trainerwechsel einhergeht: Hat St. Pauli in der 2. Liga unter Hürzeler einen sehr dominanten Fußball gespielt und 2023/24 den zweitmeisten Ballbesitz der Liga gehabt (im Schnitt 57,3 Prozent), steht Neutrainer Blessin für hohes Pressing und Umschaltspiel. Beim Blick auf seine Vita erscheint das logisch, schließlich kommt der 51-Jährige ursprünglich aus der RB-Schule. Dort und in Belgien hat sein Fußball hervorragend funktioniert – doch wird Blessin damit auch beim FC St. Pauli Erfolg haben?

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Alexander Blessin ersetzt den zu Brighton abgewanderten Fabian Hürzeler. (Photo by Oliver Hardt/Getty Images)

Die Systemumstellung bringt Probleme mit sich

„Am auffälligsten ist bisher sicherlich der Systemwechsel hin vom 3-4-3 zum 3-5-2 und die Veränderung der Spielweise. Dennoch hat die Mannschaft die neuen Ideen in Phasen bereits ordentlich umsetzen können“, schildert Haffke seine Eindrücke aus der Vorbereitung. „Allerdings“, so der Experte, „merkt man auch, dass Mannschaft und Trainer noch in der Findungsphase sind. Dazu passt auch der Zittersieg im Pokal gegen den Viertligisten Halle”. 3:2 nach Verlängerung gewann der FC St. Pauli beim Drittliga-Absteiger – und präsentierte in den 120 Minuten all die Tücken, die ein taktischer Richtungswechsel mit sich bringen kann. Die Kiezkicker blieben über weite Strecken der Partie blass und leisteten sich insbesondere im Aufbauspiel viele Fehler. Erst mit dem Formationswechsel vom 3-5-2 auf das unter Hürzeler bewährte 3-4-2 kam die Angriffsmaschinerie des FC St. Pauli wieder so allmählich ins Rollen.

Am meisten Sorgen bereitet aber die Abwehr, die unter Hürzeler schon nicht immer sattelfest war und in Halle nicht nur beim Gegentor zum zwischenzeitlichen 2:1 überrannt wurde. Da in der „RB-Trainer-Domäne“ namens Bundesliga die meisten Mannschaften auf ein hohes Pressing und schnelle Umschaltmomente setzen, verstehen es auch zu immer mehr Teams, Drucksituationen mit langen Bällen zu lösen und auf die Weise den Gegner auszukontern. St. Paulis etablierte Innenverteidiger Hauke Wahl und Eric Smith trugen als fester Bestandteil der Mannschaft einen nicht unerheblichen Beitrag zum Aufstieg bei, haben neben ihrer zweifelsohne vorhandenen Klasse aber auch mit Tempodefiziten zu kämpfen, die in der Bundesliga im schlimmsten Fall schonungslos offengelegt werden.

„Schon in der 2. Liga tat man sich gegen Gegner schwer, die schnelle Spieler in den eigenen Reihen hatten und dies genutzt haben, indem sie das Pressing von St. Pauli konsequent lang überspielt haben. Die Vorbereitung und die bisher getätigten Transfers lassen nicht unbedingt hoffen, dass diese Probleme behoben werden können“, so Haffner, der das Bundesliga-Abenteuer des Hamburger Klubs mit einer große Hürde verbunden sieht: „Man kann davon ausgehen, dass Blessins hohes Pressing dem Gegner noch mehr Räume hinter der letzter Linie anbietet. Kombiniert mit der höheren Qualität der gegnerischen Teams befürchte ich, dass St. Pauli einige Konter und auch Gegentore nach langen Bällen fangen wird. Ein neuer Innenverteidiger, der mehr Tempo mitbringt, könnte definitiv für eine bessere Absicherung sorgen.“

Wer ersetzt Topscorer Hartel?

Einen weiteren wunden Punkt hinterlässt Aufstiegsheld Marcel Hartel. Der zentrale Mittelfeldmann war mit 17 Toren und zwölf Vorlagen nicht nur der Topscorer, sondern mit durchschnittlich 12,5 abgespulten Kilometern pro Spiel auch der laufstärkste Spieler der 2. Liga. Den 28-Jährigen zog es ablösefrei zu St. Louis City in die MLS. Seine Position auf der Acht wird nun wohl Neuzugang Robert Wagner übernehmen, der eine sehr starke Saison bei Greuther Fürth hinter sich hat. Die 21-jährige Leihgabe vom SC Freiburg ist aber eher ein defensiv denkender Achter, auffangen müssen sie die 29 Torbeteiligungen Hartels beim FC St. Pauli wohl in Personalunion.

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Der FC St. Pauli muss in der Bundesliga ohne seinen Topscorer Marcel Hartel auskommen. (Photo by Selim Sudheimer/Getty Images)

Positiv: Abgesehen von Hartel sind alle Leistungsträger auf dem Kiez geblieben. Mit Morgan Guilavogui kommt zudem ein körperlich robuster Stürmer (auf Leihbasis vom RC Lens), der seine Treffsicherheit in der Vergangenheit schon in der französischen zweiten Liga nachgewiesen hat und somit zumindest einen Teil von Hartels Scorern kompensieren könnte. Wenngleich er erst seine Bundesliga-Tauglichkeit unter Beweis stellen muss, setzen sie beim FC St. Pauli große Hoffnungen auf den Bruder des ehemaligen Wolfsburgers Joshua Guilavogui.

Wie viel Bundesliga steckt in St. Pauli?

Ebenso auf Johannes Eggestein, der mit 13 Torbeteiligungen ein Gesicht des Aufstiegs war und in der Beletage Guilavogui als hängende Spitze unterstützen soll. Er bringt einen Erfahrungsschatz von 46 Bundesliga-Spielen mit und wird daher in vielen Spielsituationen auch als einer derer gefragt sein, die vorangehen.

Erstliga-Reife wird ansonsten vor allem Kapitän Jackson Irvine attestiert, der seit nunmehr drei Jahren ein absoluter Leistungsträger beim FC St. Pauli ist. Der 69-fache Nationalspieler Australiens ist körperlich robust, extrem stark in der Luft und kann gute Pässe spielen, ist zudem hier und da auch für einen eigenen Treffer gut. Der 31-jährige Sechser war mit 15 Scorerpunkten klubintern der Zweitbeste hinter Hartel. Für den FC St. Pauli wäre es zudem wichtig, die Flügelspieler Elias Saad und Oladapo Afolayan zu halten. Für sie ist in Blessins 3-5-2-System zwar kein Platz mehr in der ersten Elf, allerdings waren beide in der Aufstiegssaison treffsicher und am vergangen Samstag nach ihren Einwechslungen und der Systemeinstellung ein Grund, warum die Mannschaft das schwierige Pokalspiel in Halle drehen konnte.

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Im kommenden Mai will man auf St. Pauli erneut feiern – dann den Klassenerhalt in der Bundesliga. (Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Fazit und Prognose

Das sagt Experte Jakob Haffke

Den FC St. Pauli erwartet eine Saison, in der der Klassenerhalt das einzige Ziel sein kann. Das Oberhaus wird sicherlich einige Spiele mit sich bringen, in denen der Mannschaft die Grenzen aufgezeigt werden. Ich hoffe, dass es Blessin zum einen gelingt, in den nächsten Wochen weiter an der Feinjustierung in den Abläufen zu arbeiten, und zum anderen, dass noch ein oder zwei Verstärkungen geholt werden.

Aus Fansicht ist es ein Segen, dass die gefühlte Ewigkeit in der 2. Liga ein Ende hat und man sich endlich wieder jede Woche mit den Besten messen kann. Allerdings wird es auch eine Umstellung sein, nach eineinhalb Jahren, in denen man sich mit Hürzeler an der Seitenlinie fast unschlagbar fühlte, wieder regelmäßig als Verlierer vom Platz zu gehen.

Realistisch gesehen kann man nicht davon ausgehen, dass St. Pauli eine sorgenfreie Saison spielt. Ich denke aber, dass die Mannschaft in der Lage ist, einige Gegner zu überraschen und für attraktive, offene Spiele zu sorgen. Mit der angestrebten Spielweise wird man einige Gegentore kassieren, aber auch selbst viele Tore schießen. Um einen handfesten Tipp abzugeben, sage ich, dass der FC St. Pauli am Ende auf Platz 14 landen wird und damit den Klassenerhalt schafft.

(Photo by Oliver Hardt/Getty Images)

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