
Miasanrot
·29. Juni 2025
Der FC Bayern und sein Campus: Zeit für eine große Veränderung

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·29. Juni 2025
Der FC Bayern München scheitert daran, die Kraft des Campus bestmöglich zu nutzen. Einige Probleme sind hausgemacht.
Bisher läuft die Klub-WM in Deutschland erwartungsgemäß verhalten an. Zwischen einem lauen Sommerkick und einem spannenden Turnier der Zukunft gibt es viele Meinungen. Gerade im Kosmos des FC Bayern München waren sich viele Fans aber einig: Diese Weltmeisterschaft könnte auch eine Chance für Talente werden.
Die Bilanz für den Campus ist aber ernüchternd – wieder mal. 45 Minuten für Lennart Karl, acht Minuten für Adam Aznou und selbst der Neuzugang Tom Bischof, der mit der Bayern-Akademie nichts zu tun hat, kam bisher nur auf 45 Minuten. Das Durchschnittsalter der Startelf: 28,5 Jahre.
Auf vielen Ebenen ist das ein riesiges Problem für die Münchner. Und es zeigt abermals, dass die Talententwicklung einerseits zwar kompliziert ist, andererseits aber auch nicht optimal läuft.
Wer sich im Umfeld des Campus umhört, wird auf viel Unverständnis treffen. In den vergangenen Jahren gab es immer häufiger hochtalentierte Spieler im Alter zwischen 15 und 19 Jahren, die beim FC Bayern keine Zukunft gesehen haben. Ihnen fehlte eine klare Planung, eine Idee vom Club, wie sie es perspektivisch zu den Profis schaffen können.
Klar ist: Für den FCB ist es deutlich schwieriger, jungen Spielern diesen Weg vorzuzeichnen. Gerade in dieser Altersspanne lassen sich Entwicklungen kaum zuverlässig vorhersagen. Dafür ist dieses Thema zu individuell. Es gibt Früh- und Spätentwickler, es gibt Spieler, die ein stabiles oder eher instabiles Umfeld haben, Spieler aus bodenständigen Familien, Spieler, die unter Druck gesetzt werden – so viele Faktoren beeinflussen die Entwicklung eines Talents.
Bei Josip Stanišić war lange überhaupt nicht absehbar, dass er es auf sein jetziges Niveau schaffen würde. Wohingegen bei anderen Spielern schon sehr früh klar ist, dass sie besonders sind. Immer häufiger war in den letzten Jahren aber auch von solchen Spielern zu vernehmen, dass sie mit Vertragsverlängerungen zögern, weil sie nicht überzeugt davon sind, dass sie sich in München gut entwickeln können.
Das aktuellste Beispiel ist Lennart Karl. Der Vertrag des 17-Jährigen läuft 2026 aus. Verschiedene Medien berichteten, dass er und sein beratendes Umfeld sich erstmal anschauen möchten, wie die Chancen auf eine gute Entwicklung in München überhaupt stehen. Dass der offensive Mittelfeldspieler mit viel Talent gesegnet ist, deutete er in seinen 45 Minuten bei der Klub-WM bereits an.
Für die Bayern ist es eine ziemliche Watschn, dass sie eines der größten Talente am Campus nicht schon längst längerfristig binden konnten. Auch bei Paul Wanner war das einst so. Im Alter von 15 und 16 Jahren stand der U21-Nationalspieler vor einer richtungsweisenden Entscheidung: Vertrag auslaufen lassen oder bleiben. Wie Karl sah der heutige Profi zunächst keine wirkliche Perspektive in München.
Erst sehr spät änderte sich das. Rund um sein etwas glückliches Bundesliga-Debüt konnten die Bayern ihn noch halten. In der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart gibt es zahlreiche weitere Beispiele. Ein Problem ist dahingehend auch, dass diese Spieler sehen, wie sich andere Talente am Campus entwickelt haben.
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Jahr für Jahr gibt es am Campus große Hoffnung für mindestens zwei, drei, teilweise sogar fünf, sechs Spieler – das hängt ganz von der Stärke des Jahrgangs ab. Seit dem Bau des Nachwuchsleistungszentrums hat sich dahingehend einiges getan. Eigentlich ist die Breite an guten bis sehr guten Spielern heute sogar stärker als in der Vergangenheit. Aber wie viele schaffen es wirklich?
Unter denen, die in München nicht mal eine echte Chance bekamen, befinden sich viele vielversprechende Namen. Einige von ihnen haben es in den Profibereich geschafft, andere stagnierten trotz großer Vorschusslorbeeren in ihrer Entwicklung.
Das Argument, das an dieser Stelle retrospektiv verwendet wird: Dann waren die Spieler wohl einfach nicht gut genug, wenn sie es auch nach ihrer Zeit in München nicht geschafft haben. Aber diese Erzählung greift viel zu kurz. Das Kernproblem ist, dass die Talente in München oft zwei oder gar drei Jahre ihrer wichtigsten Entwicklungsphase verlieren, weil der Übergang vom Campus in den Profibereich nicht gut ist und sie wahlweise unterfordert oder verliehen werden.
Beim FC Bayern haben die Verantwortlichen ein sehr altbackenes Bild vom Umgang mit jungen Spielern. Früher war es normal, dass Teenager geduldig auf ihre Chance warten mussten. Dass Trainer und sportliche Leiter versuchten, Debüts eher noch herauszuzögern, um den Spieler vor einer gewachsenen Öffentlichkeit zu schützen. Bloß nicht zu viel Hype, bloß nicht zu schnell einsetzen.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Während ein 16-jähriges Top-Talent in München noch zwei Jahre U17 und U19 spielt, sich dann bei den Amateuren in der vierten Liga beweisen muss und zusätzlich im Zweifelsfall noch zweimal an Clubs verliehen wird, die mit ihrer Spielweise wenig mit dem FC Bayern gemein haben, werden 16- oder 17-Jährige woanders schon früh in der Profimannschaft eingesetzt.
Es liegt auf der Hand, dass die Münchner hier einen klaren Wettbewerbsnachteil gegenüber Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen oder anderen Vereinen in Europa haben. Dort ist der Anspruch ein anderer, dort ist es sogar ein klarer Teil der eigenen Identität, junge Spieler zu entwickeln. Dass die Bayern kein Ausbildungsverein sind und sein können, ist offensichtlich.
Und doch gibt es auch Topclubs, die es besser machen als der deutsche Rekordmeister. Der FC Barcelona ist hier sicherlich das Paradebeispiel. Zwar hinkt der Vergleich vor allem deshalb, weil der Weg der Katalanen nicht freiwillig gewählt wurde. Barça entfernte sich eigentlich von seiner Identität als starker Ausbilder von Top-Talenten, gab viel Geld für Neuzugänge aus und steckt heute in finanziellen Schwierigkeiten.
Doch auch wenn sie heute zu ihrem Glück gezwungen wurden, zeigen sie, was mit einer guten Ausbildung und etwas Mut im Profibereich möglich ist. Klammert man die zwei, drei Ausnahmetalente rund um Lamine Yamal aus: Wie viele der zahlreichen jungen Talente, die in den letzten Jahren zum Einsatz kamen, sind wirklich derartige Top-Talente, dass sie es unweigerlich bei jedem Verein geschafft hätten?
Oder anders gefragt: Würde Pau Cubarsí beim FC Bayern ebenfalls schon auf über 6.000 Minuten kommen? Der 18-Jährige debütierte sehr früh, nutzte seine Chance. Ihm wurden aber auch Fehler verziehen und ihm wurde vertraut. Der FC Bayern hatte in den letzten Jahren auf verschiedenen Positionen viele Talente, die bei Barça oder anderen Clubs längst ihre Chance erhalten hätten.
In München gelten Spieler in dieser Altersklasse oft noch als zu jung. Fehler werden eher nicht toleriert, sondern als Zeichen gewertet, dass sie noch nicht weit genug sind. Lieber werden auf dem Transfermarkt im niedrigen zweistelligen Millionenbereich Spieler verpflichtet, die für Bayern-Verhältnisse durchschnittlich sind, den Kader aber immerhin mit Erfahrung auffüllen.
In den sozialen Netzwerken wird aktuell gern Vincent Kompany für seinen mangelnden Mut kritisiert. Das kann man sicherlich tun. Wie einst Louis van Gaal könnte der Belgier alle Umstände ignorieren und einfach zwei, drei Campus-Spieler integrieren. Damit würde er seinen Job allerdings gefährden.
Und die Fragen, die man sich in München stellen muss: Warum eigentlich? Was führt dazu, dass Trainer diesen Mut nicht aufbringen? Wie wird der Kader geplant? Was passiert, wenn man Talente einbindet und Spiele verliert? Bekommt der Trainer Unterstützung oder wird er nach und nach abgesägt?
Die Antworten sind in der Kultur des Clubs zu finden. Zwar wurde in Steine (Campus) und Beine (viele Talente für teils hohe Ablösesummen) investiert, aber nicht in weiche Faktoren: Abläufe, Anreize, Umfeld und eben kulturelle Aspekte. Will man den Campus wirklich gewinnbringend einsetzen, müsste man hier ansetzen und ein Umfeld schaffen, in dem Trainer dazu motiviert werden, Talente einzusetzen, statt dafür bestraft zu werden, wenn es nicht funktioniert.
Aktuell haben Trainer in München eine Halbwertszeit von 1,5 Jahren. Das bedeutet, dass sie quasi von Beginn an darum kämpfen müssen, ihren Job in drei Monaten noch zu haben. Gemessen werden sie dabei fast ausschließlich an Titeln. Einen Anreiz für die Talententwicklung gibt es nicht. Generelles Vertrauen in den Trainer, verbunden mit einer größeren Geduld wäre ein erster guter Schritt.
Darüber hinaus bräuchte es nicht nur den expliziten Auftrag von oben an Trainer und sportliche Leitung, im Kader natürliche Positionen für zwei, drei Talente pro Saison zu schaffen und diese einzusetzen. Es bräuchte auch die öffentliche Rückendeckung dafür. Nur durch aktive Reize wird man die Situation verändern. Denn Fakt ist auch, dass Kompany bei weitem nicht der einzige Trainer ist, der Talenten keine echte Chance gibt.
Selbst die Spieler, die es in München geschafft haben, hatten einen viel zu holprigen Weg nach oben. Jamal Musiala wird heute als Identifikationsfigur aufgebaut. Zu Beginn gab es intern durchaus Zweifler, die verhindert haben, dass er früher zur U19 hochgezogen wird. Er sei noch nicht weit genug. Als er dann mehr oder weniger zufällig am Profitraining teilnahm, weil Hansi Flick seinen Kader für ein Großfeldspiel auffüllte, überzeugte er auf Anhieb. So sehr, dass Flick überrascht war, dass er von Musiala zuvor nichts gehört hatte.
Auch die Geschichte von Aleksandar Pavlović ist mehr oder weniger bekannt. Eigentlich wollte man den Mittelfeldspieler in der ersten richtigen Vorbereitung unter Thomas Tuchel noch gar nicht mit ins Trainingslager nehmen. Durch eine Verletzung rückte er aber nach und spielte sich so in den Dunstkreis der Profis. Als es während der Saison weitere Verletzungen und Sperren gab, bekam er seine Chance.
Josip Stanišić überraschte viele und zeigte bereits in seinen ersten Einsätzen für den FC Bayern, dass er mehr als nur ein passabler Backup sein kann. Trotzdem entschied man sich für die Leihe und investierte viel Geld für Rechtsverteidiger, die allesamt nicht so funktionierten, wie man es sich erhofft hatte. Für Stanišić war die Zeit in Leverkusen gut. Die Bayern hingegen vermissten ihn während der Saison schmerzlich.
Und dann gibt es noch die Spieler, die vollkommen ohne Not abgegeben wurden, obwohl sie offensichtliches Talent mitbringen. Allen voran ist hier Angelo Stiller zu nennen. Der Stuttgarter hatte in München ebenfalls einen steinigen Weg nach oben, wurde eigentlich viel zu spät zu den Amateuren hochgezogen, wo er dann in der Rückrunde der Meistersaison überragende Leistungen zeigte. Stiller war quasi der Hauptgrund dafür, dass ein taktisch eher dürftiges Team plötzlich strukturierten Fußball spielte.
Unter Flick bekam er dennoch keine Chance, weil der ihn als zu langsam und undynamisch für seinen Fußball bewertete. Ohne echte Perspektive blieb nur der Wechsel. Heute ist Stiller einer der besten Sechser in Deutschland – und die Bayern hätten vielleicht lieber auf ihn als auf einige teure Mittelfeldtransfers gesetzt.
Es gäbe noch viele weitere dieser Beispiele, die zeigen, dass an der Schnittstelle zu den Profis einiges nicht gut läuft. Aber auch in der generellen Betrachtung des Campus. Die Talente sind seit Jahren da. Anders als in Barcelona findet das aber keine Aufmerksamkeit, weil sie nicht eingesetzt werden, sie stagnieren und letztlich ihr Potenzial nicht entfalten können.
Oder etwas anschaulicher formuliert: Wäre das eine Fußballsimulation, dann hätten Barça und Bayern als Ausgangslage jeweils zehn Spieler mit einer Stärke von 70. Sie alle haben das Potenzial, irgendwo zwischen 75 und 90 zu landen. Ob sie aber eher bei 75 oder eher bei 90 landen, hängt von vielen Einflussfaktoren ab.
Aktuell schaffen es von den zehn Barça-Spielern sechs bis sieben, eher im oberen Bereich ihres Potenzials zu landen, weil Kultur, Umfeld und Strategie es ermöglichen. In München sind es eher ein bis zwei Spieler. Auch wenn es dafür grundlegende Veränderungen braucht, muss man sich beim FC Bayern die Frage stellen, ob der Ertrag es letztlich nicht wert wäre, den Ansatz in der Jugendarbeit zu überdenken und progressiver mit den eigenen Talenten umzugehen.
Mit der Verpflichtung von Christoph Freund gingen immerhin schon einige positive Veränderungen einher. So installierte der Österreicher mit Richard Kitzbichler beispielsweise eine Art Betreuer für die Leihspieler. Das soll dem Vernehmen nach sehr gut funktionieren und den Spielern ein positives Gefühl vermitteln.
Je häufiger es aber vorkommt, dass Spieler wie Adam Aznou oder Lennart Karl den Club lieber verlassen wollen, weil sie keine Perspektive sehen, desto mehr muss man sich auch intern hinterfragen.
Der Campus hat kein Qualitätsproblem. Viele FCB-Talente müssen sich vor denen in den führenden Nachwuchsleistungszentren nicht verstecken. Allerdings schaffen es viele von ihnen nicht, ihr ganzes Potenzial zu entfalten und da liegt die Verantwortung längst nicht immer nur beim Spieler.
Für den FC Bayern mag das alles kein leichtes Thema sein. Irgendwo zwischen dem Anspruch auf Titelgewinne und der Einbindung der größten Talente in die Zukunftsplanungen muss man aber zwangsläufig seinen Weg finden. Denn beim Blick auf die Entwicklungen des Marktes können die Bayern mittel- und langfristig nur bestehen, wenn sie das Potenzial ihres Campus endlich anfangen zu nutzen.
Dafür muss aber noch viel passieren.