Miasanrot
·1. Juli 2024
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Am Freitagabend trifft Deutschland im Viertelfinale der EM 2024 auf den absoluten Top-Favoriten Spanien. Hat das DFB-Team eine Chance? Wir analysieren drei taktische Knackpunkte.
„Ich glaube schon, dass es die Situation verändert“, erklärte Niclas Füllkrug, nachdem er Deutschland in nahezu letzter Minute den Gruppensieg rettete. Mit Blick auf das Achtelfinale warte so eventuell der „einfachere Gegner“.
Schon mit Blick auf das Dänemark-Spiel und darauf, wie sich Italien gegen die Schweiz schlug (nämlich gar nicht), kann hinterfragt werden, ob die Theorie aufging. Schaut man nun auf das Viertelfinale und darauf, wie sich England präsentiert, werden die Zweifel daran noch größer, dass Deutschland den besseren Teil des Turnierbaums erwischt hat.
Richtiger ist wohl die Deutung, dass man auf der härteren Seite steht. Scheidet man gegen Spanien aus, wird das Tor von Füllkrug im Nachhinein womöglich sogar als Knackpunkt betrachtet werden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich war es richtig von Deutschland, Fokus und Rhythmus aufrechtzuerhalten.
Die Rechnung, absichtlich zu verlieren und darauf zu hoffen, dass sich andere um den ganz großen Favoriten im Turnier kümmern, geht selten bis gar nicht auf. Zutreffender ist die Phrase, dass man alle schlagen muss, um Europameister zu werden.
Deutschland mag mit Spanien jetzt den schwerstmöglichen Gegner bekommen haben. Packen sie das nicht, werden sie aber auch zu Recht kein Europameister. Scheiden sie aus, liegt auch der Gedanke nahe, dass es vielleicht gegen andere Top-Nationen ebenfalls nicht gereicht hätte oder man spätestens im Finale auf Spanien getroffen wäre.
Spekulationen sind dann sinnlos. Doch noch muss man sich auch nicht damit beschäftigen, was passiert, wenn Deutschland ausscheidet. Chancenlos sind sie gegen Spanien nicht. Wir analysieren drei taktische Knackpunkte, die für das DFB-Team sehr entscheidend werden.
Spaniens Spiel ist laut WhoScored sehr flügellastig. Teilweise besetzen zwei Spieler gleichzeitig einen Flügel, nimmt man den Halbraum dazu, sind es oft sogar vier bis fünf. 25 Prozent der spanischen Angriffe laufen über das Spielfeldzentrum, satte 43 Prozent über die linke und 32 Prozent über die rechte Seite.
Links spielen Nico Williams in der Offensive und Marc Cucurella in der Defensive. Rechts werden die Positionen durch Lamine Yamal und Dani Carvajal besetzt. Beide Flügel nehmen, das zeigen ja bereits die Zahlen, eine große Bedeutung im spanischen Spiel ein. Das liegt unter anderem an der Dynamik, die sich dort jeweils ergibt.
Die Rolle der Außenverteidiger ist extrem flexibel. In der ersten Phase des Spielaufbaus halten Cucurella und Carvajal oft die Breite, um eine Anspielstation anzubieten, wenn der Gegner presst. Gelegentlich rücken sie auch mal ins Mittelfeldzentrum ein und tauschen dann die Position mit einem der beiden Achter.
Dynamik entsteht aber vor allem in den vorderen Dritteln. Denn hier haben die beiden Außenverteidiger die klare Aufgabe, Räume für Williams und Yamal freizuziehen. Das machen sie entweder ganz klassisch per Vorder- oder Hinterlaufen, um Gegenspieler zu binden und den Weg ins Zentrum für Dribblings zu öffnen. Oder indem sie schon sehr früh weit in die Spielfeldmitte einrücken und Schnittstellen in der gegnerischen Defensive attackieren. Das könnte gegen Deutschland so aussehen:
Eine mögliche Ausgangssituation: Spanien drückt Deutschland mit viel Ballbesitz in die eigene Defensive. Robert Andrich und Toni Kroos halten das Zentrum, Jamal Musiala schiebt mit rein und Florian Wirtz ist in Lauerstellung, um den Außenverteidiger anzulaufen. Spaniens 4-3-3 bietet in seiner Statik, aber auch durch die Besetzung mit sehr technisch affinen und intelligenten Spielern mehrere Möglichkeiten, sich aus einer etwaigen Drucksituation zu befreien.
Der halblinke Achter positioniert sich im Zwischenraum und bildet ein Dreieck. Das klassische Kombinationsspiel ist so möglich, während ballfern versucht wird, im Verschiebeverhalten des Gegners die Zwischenräume zu besetzen, sodass immer die Möglichkeit besteht, bei mehreren Gegenspielern Pressingverhalten zu triggern und so Räume zu öffnen.
Detailfragen werden darüber entscheiden, wie gut das den Spaniern gelingt. Wie viele deutsche Spieler lassen sich bei einem solchen Pass beispielsweise dazu verleiten, auf den halblinken Achter zu pressen? Und wie viel Raum entsteht dadurch für Williams, wenn er freigespielt wird? Eins-gegen-eins-Duelle sollten auf beiden Flügeln vermieden werden. Denn sowohl Kimmich als auch David Raum haben ihre Schwierigkeiten mit schnellen und technisch starken Angreifern.
Die Spanier haben unglaublich viel Bewegung in ihrem Spiel. Die einzige Konstante ist Rodri im Zentrum, der als Verbindungsspieler immer die Position im Zentrum ansteuert, die als Mittelpunkt des Netzwerks dient. Wie reagieren die Deutschen auf eine solche Positionsrochade, wenn der Außenverteidiger diagonal nach innen zieht, der dribbelstarke Flügelspieler ein Eins-gegen-eins aufgedrückt bekommt, im Zentrum die entsprechenden Spieler aber gebunden werden?
Cucurella bindet Rüdiger, Andrich wird durch Rodri und Pedri in Entscheidungsnot gebracht und auch Alvaro Morata bewegt sich in die Schnittstelle und in den Rücken von Rüdiger. Florian Wirtz kann und muss also defensiv aushelfen. Doch wenn nur ein Spieler sich in dieser Situation dazu verleiten lässt, seine Position aufzugeben und einen kleinen Raum zu öffnen, sind die Spanier da.
Immer wieder attackieren die Außenverteidiger Zonen, in denen sie für einen Moment Überzahl schaffen können. Und kommt Spanien nicht zum Durchbruch, bauen sie eben neu auf oder Verlagern auf den ballfernen Flügelspieler. Mit einer Präzision, die nur schwer zu pressen ist. Folgendes kann und muss Deutschland dem entgegensetzen:
Alles leichter geschrieben, als umgesetzt.
Spanien ist zwar nah dran an der Perfektion, wenn es um Pressing und Ballbesitzspiel geht, hat aber auch seine Anfälligkeiten gezeigt. Gerade wenn die Spanier hoch pressen, gibt es Zwischenräume hinter den Achtern, die Spieler wie Musiala, Gündogan oder Wirtz besetzen können.
Befreit man sich etwas häufiger aus dem hohen Pressing der Spanier, werden sie sich irgendwann zweimal überlegen, ob sie dieses Risiko gehen wollen. Schlüsselspieler sind hier die Innenverteidiger, Toni Kroos, die genannte Dreierreihe hinter Havertz, aber auch Havertz selbst. Deutschlands Angriffe laufen zu 33 Prozent über das Zentrum – Höchstwert im Turnier.
Mit der auf dem Papier vorhandenen Kombinationsstärke kann man den Spaniern das Handwerk zumindest in einigen Situationen legen, indem anschließend auf den Flügelpositionen entsprechend nachgerückt wird. So ähnlich fiel auch das 1:0 für Georgien am Sonntag.
Spanien verknappt den Flügel extrem, steht mit fünf Spielern direkt auf der Außenbahn und hat einen weiteren im Halbraum. Zwei Offensivspieler sind weit vorn positioniert, bleiben nur noch zwei, die in der letzten Kette mitverteidigen. Georgien hat in der Befreiung viel Glück, weil Spanien zuvor den Ball durch das erdrückende Pressing eigentlich gewinnt, ihn aber sofort wieder verliert.
Dennoch wird deutlich, dass Spanien Räume anbietet, wenn man dem Druck standhalten kann. Georgien rückt mit wenigen Spielern auf und hat deshalb nicht ganz die Power, um Spanien komplett zu überrumpeln. Denn die Spanier haben trotz des Moments der fehlenden Organisation eine sehr gute Rückwärtsbewegung und sind schnell wieder hinter dem Ball. So kann Georgien am Ende „nur“ die Flanke in eine Unterzahlsituation schlagen – die allerdings kommt perfekt und es steht 1:0.
Deutschland muss und wird mehr Risiko in solchen Situationen eingehen und hat das Potenzial, die spanische Defensive damit zu stressen. Es sind Situationen wie diese, die man dann allerdings auch konsequenter ausspielen muss als in den vergangenen Partien.
Und das ist auch schon der dritte große Knackpunkt dieser Partie: Präzision im deutschen Spiel. In allen Gruppenspielen und gegen Dänemark gab es Situationen, in denen der Ball in der Vorwärtsbewegung leichtfertig hergeschenkt wird. Ein Beispiel gefällig?
Gegen Dänemark verlor Deutschland den Ball in der Vorwärtsbewegung in dieser Situation. Vom Flügel aus ins Zentrum hinein, wo vier Dänen anschließend gegen vier Deutsche kombinieren konnten. Musiala stand sofort unter Druck, darf den Ball in dieser Situation aber einfach nicht verlieren.
Spanien wird Dauerdruck ausüben und auf genau solche Momente lauern, wenn sie den Ball nicht haben. Neben Musiala sind auch Andrich, Gündogan und Wirtz während des Turniers anfällig für ähnliche Ballverluste gewesen. Deutschland muss ins Risiko gehen, wenn sie Chancen haben wollen. Aber sie müssen solche Momente gleichzeitig reduzieren. Drastisch.
Die Situation endete damit, dass der recht langsame Thomas Delaney halbrechts frei durch war. Weil ihm das Tempo fehlte, konnte Deutschland die Situation so verteidigen, dass der Querpass des Ex-Dortmunders auf Höjlund zu steil wurde und Manuel Neuer den Stürmer am Torerfolg hindern konnte. Das wird mit Yamal oder Williams so nicht funktionieren.
In erster Linie geht es also darum, diese Art von Fehlpässen zu vermeiden. In zweiter Linie muss die Abwehr aber auch hellwach sein und es verhindern, dass man bei Ballverlusten schnell in Unterzahlsituationen kommt. In diesem Fall orientieren sich, Andrich, Kroos und auch Schlotterbeck zu langsam nach hinten.
Spanien ist favorisiert. Sie haben die stabilere Spielanlage und weniger klare Schwachstellen. Klarer Favorit sind sie allerdings nicht. Deutschland zählt bei diesem Turnier zweifellos zu den drei besten Mannschaften (Grüße nach Österreich) und hat Qualitäten in den eigenen Reihen, die dem spanischen Flow zusetzen können.
Während die Spanier vermutlich den größten Schlüssel darin sehen werden, ihre Chancen zu nutzen, geht es bei den Deutschen darum, auf die bisherigen Leistungen noch mal ein paar Prozentpunkte draufzulegen. Stimmen Tempo und Präzision, haben sie das Rüstzeug, diese schwere Aufgabe zu bestehen.
Zumal man nicht vergessen sollte, dass das DFB-Team bisher ausschließlich auf Teams traf, gegen die sie sich aufgrund der Knappheit an Räumen im Angriffsdrittel traditionell sehr schwer tun. Spanien mag seinerseits sehr viele Mittel haben, um Deutschlands größte Schwächen zu bespielen. Nur sollte dabei nicht unterschätzt werden, dass es den Deutschen liegen könnte, nicht gegen einen tiefstehenden Gegner anspielen zu müssen.
Es wird also durchaus ein vorweggenommenes Finale am Freitagabend. Ein Spiel, das Spektakel, viele Offensivszenen und Tempo verspricht.
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