TSG Hoffenheim
·30. Dezember 2024
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·30. Dezember 2024
Arthur Chaves überraschte nach seinem Transfer aus der zweiten portugiesischen Liga zur TSG Hoffenheim in diesem Sommer Fans sowie Experten gleichermaßen und entwickelte sich schnell zu einer wichtigen Stütze für das Team. Der Brasilianer entspricht als Verteidiger so gar nicht dem Ideal des in Brasilien zelebrierten ‚schönen Spiels‘ – aber das wollte er auch nie.
Pünktlichkeit ist wohl die Tugend, die man am häufigsten mit Deutschen verbindet – mit Brasilianern eher weniger. Im größten Land Südamerikas sind Zeitangaben bei Verabredungen oftmals eher Richtwerte – eine Angewohnheit, mit der sich Arthur Chaves gar nicht anfreunden kann. Und so erscheint er – beinahe typisch deutsch – drei Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt zu seinem ersten Gespräch mit SPIELFELD. „Es macht mich in Brasilien wahnsinnig, wenn Leute nicht pünktlich sind. Das liebe ich an Deutschland“, sagt er.
Generell hat er nur wenig gemein mit den vielen Brasilianern, die vor ihm das TSG-Trikot getragen haben. Kein Bling-Bling oder ausgefallene Tattoos wie Carlos Eduardo oder Roberto Firmino. Das Seriöse, das Ernsthafte ist ihm ohnehin in die Wiege gelegt worden. „Der Großvater meiner Mutter war aus Deutschland“, sagt Chaves und erklärt: „Meine Mutter trug bis zur Hochzeit mit meinem Vater sogar noch den Nachnamen Zimmermann.“ Auch wenn er den Handwerkerberuf nicht im Namen trägt, ist Arthur Chaves jemand, der sein Handwerk versteht. Der 23-Jährige wurde nach seinen ersten Einsätzen von Trainer, Mitspielern und Medien gleichermaßen für resolutes und schnörkelloses Spiel gelobt. „Mein Ziel ist es immer, den Ball so schnell wie möglich zu erobern“, sagt Chaves, der für das ‚schöne Spiel‘, das ‚jogo bonito‘, seine ganz persönliche Definition hat: „Ich spiele einfach, weil ich der Mannschaft damit am meisten helfe.“
Eine offensivere Rolle hat der Verteidiger, dessen Vorbild unter anderem der ehemalige Leverkusener und Bayern-Spieler Lucio ist, aber ohnehin nie angestrebt. „Ich habe als Kind höchstens mal im zentralen Mittelfeld gespielt“, sagt Chaves mit einem Lächeln. Aber die offensiveren Positionen entsprächen auch gar nicht seinem Naturell. „Mein Vater hat immer gesagt: ‚Einer muss die Drecksarbeit machen.‘ Und so sehe ich es auch, ich mache das mit großer Freude.“
Dass ihm doch auch zumindest ein kleiner Torinstinkt zu eigen ist, bewies er im DFB-Pokal gegen den 1. FC Nürnberg, als er durch seinen Kopfballtreffer das Weiterkommen sicherte. „Das war ein besonderer Moment für mich, mein Vater war hier zu Besuch und hat mich das erste Mal in Deutschland im Stadion gesehen.“ Im Januar soll seine Mutter dann die lange Reise von seiner Heimat Florianópolis über São Paulo und Frankfurt auf sich nehmen, gegen ein erneutes Tor unter den Augen einer engen Bezugsperson hätte der Innenverteidiger nichts einzuwenden. Der Treffer gegen den ‚Club‘ war dabei der finale Beleg dafür, dass Arthur Chaves bei der TSG angekommen ist. Sein Debüt, als er schon nach einer Viertelstunde in Stuttgart für den verletzten Tim Drexler eingewechselt wurde, kam dabei für ihn unverhofft. „Ich hatte deshalb auch gar keine Zeit, nachzudenken oder mir einen Kopf zu machen. Bei den Spielen in der Startelf war ich nervöser, in Stuttgart habe ich mir nur schnell das Trikot angezogen und bin auf den Platz gegangen.“ Nach seinem Debüt wurde er in zahlreichen weiteren Partien eingesetzt – häufig in der Startelf.
Mit seinem Fleiß – ebenfalls eine gemeinhin typisch deutsche Eigenschaft – möchte er sich auch unter dem neuen Trainer Christian Ilzer für weitere Einsätze empfehlen. „Ich arbeite jeden Tag dafür. Als Spieler muss man bereit sein, wenn sich Chancen bieten“, sagt der 23-Jährige, der in den vergangenen beiden Spielzeiten noch in der zweiten portugiesischen Liga für Académico Viseu auflief. Die höhere Qualität in der Bundesliga hat ihn aber nicht abgeschreckt. „Alles ist eine Dimension größer. Das Niveau, die Fans, die Qualität der Spieler – aber ich habe mich bereit gefühlt für die Herausforderung. Das war genau der Schritt, den ich für meine Entwicklung gehen wollte.“
Bestärkt hat ihn dabei auch eine zweimonatige Zeit mit der brasilianischen U23-Nationalmannschaft im Januar und Februar 2024. Beim Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele in Paris, die Brasilien als Dritter der Qualifikation knapp verpasste, stand Arthur Chaves nicht nur in sechs der sieben Partien auf dem Feld, sondern spielte auch gemeinsam mit den größten Talenten seines Landes – darunter auch Endrick, der seit Sommer für Real Madrid aufläuft und einen Marktwert von 60 Millionen Euro aufweist. „Ich habe in diesen Wochen unglaublich viel gelernt, ich durfte ja nicht nur mit solch talentierten Jungs spielen, sondern mich auch im Training gegen sie beweisen. Deshalb war diese Zeit für mich unheimlich wichtig, ich habe auch dort das Gefühl erhalten, dass ich bereit bin für den nächsten Schritt in meiner Karriere.“ Sein Credo seitdem: „Wenn man mit den Besten trainiert, wird man auch irgendwann zu den Besten gehören.“ Dass Arthur Chaves sich an einhohes Niveau ohne Anlaufzeit anpassen kann, hat er bei der TSG bereits bewiesen.
Der Profi-Fußball war dabei bereits seit Kindheitstagen das große Ziel. „Wie jeder Junge in Brasilien habe ich auf der Straße angefangen“, sagt Chaves. Erst im Alter von zehn Jahren folgte der Vereinsfußball, in seinem Heimatverein Avaí FC reifte er auch zum Profi, ehe im Alter von 21 der Wechsel nach Portugal folgte. „Die Unterschiede sind – aufgrund ähnlicher Kultur und Sprache – nicht so groß gewesen, deshalb gehen viele Brasilianer zunächst nach Portugal“, erklärt der Innenverteidiger.
Seine Heimatstadt Florianópolis im Süden des Landes ist laut Chaves „sehr sicher und sehr sauber“, was in Brasilien keineswegs selbstverständlich ist. Das weiß er genauso zu schätzen wie den Umstand, in seiner Heimatstadt seine ersten Schritte im Profifußball gemacht zu haben. „All das ist in der Gesamtheit ein Privileg“, sagt Chaves. Zudem sei Florianópolis eine „traumhafte Stadt“ – wenn man die Bilder seiner Heimat sieht, glaubt man es sofort.
Das Paradies hat er zurückgelassen. Es gibt in seiner Muttersprache einen Begriff für dieses Gefühl: ‚Saudade‘. Die Sehnsucht nach Zuhause bleibt immer, aber seine Entscheidungen bereut er keineswegs. „Ich würde mein jetziges Leben für nichts in der Welt eintauschen. Hier zu sein, ist das, was zählt.“ Dennoch bereitet ihm die nun anstehende Jahreszeit auch gewisse Sorgen. „Auf den Winter muss ich mich mental vorbereiten“, sagt er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. Er weiß noch nicht genau wie das wird, selbst im Winter kennen die Thermometer in Florianópolis keine einstelligen Temperaturen. Doch eins ist gewiss: Auch an die Kälte wird sich Arthur Chaves schnell gewöhnen.