90PLUS
·12. Juni 2021
In partnership with
Yahoo sports90PLUS
·12. Juni 2021
Spotlight | Teemu Pukki benötigte Anlaufzeit, um sein Glück im Profifußball zu finden. Inzwischen wird er sowohl bei Norwich City als auch in der finnischen Nationalmannschaft verehrt. Entscheidend dafür war auch ein Umsatteln in der Einstellung.
Am 18.08.2011 erlangte Teemu Pukki (31) erstmals auf internationaler Ebene einen gewissen Ruhm. In den Europa-League-Playoffs sorget er mit einem sehenswerten Schlenzer sowie einem souverän vollendeten Konter sorgte er für den überraschenden 2:0-Hinspielerfolg von HJK Helsinki über den seinerzeit hochkarätig besetzten FC Schalke 04. Der Auftritt hinterließ mächtig Eindruck bei den Königsblauen. Denn nur wenige Tage später meldeten sie sich beim Angreifer und äußerten ihr Interesse. Der Deal wurde schließlich infolge des Rückspiels einhütet, wo Pukki bestätigte, dass die zwei Treffer keineswegs zufällig entstanden. Er steuerte das Ehrentor zur 1:6-Klatsche bei.
Absehbar war der Wechsel zu einem international renommierten Klub bereits in jungen Jahren. Mit 15 debütierte er für seinen Heimatverein Kotka in der ersten Liga. Rund zwölf Monate später erzielte er seinen ersten Treffer im Profibereich. Es folgte die Auszeichnung zum Nachwuchsspieler des Jahres sowie 2008 der Transfer für die eindrucksvolle Summe von eineinhalb Millionen Euro zum FC Sevilla. Dort fand sich Pukki zu keinem Zeitpunkt zurecht. Im Rückblick sagte er: „Ich lebte weit weg von zu Hause und war sehr jung, außerdem war es in Sevilla zu heiß im Vergleich zu dem Klima, an das ich in Finnland gewöhnt war.” Die Unterstützung von Mutter Teija, die ebenfalls nach Andalusien zog, sei zwar eine Hilfe gewesen, „aber ich litt auch unter der Sprache. Ich war schüchtern, viel schüchterner als jetzt.”
Charakterlich unverändert präsentierte sich Pukki – inzwischen ohne Hilfe aus dem Elternhaus – im stets aufgeregten Gelsenkirchen. Während seiner zwei Spielzeiten brachte er es auf eine durchaus akzeptable Trefferquote. Acht Tore standen in 37 Einsätzen zu Buche. Da er oftmals von der Bank kam, netzte er alle 133 Minuten ein – ein starker Wert. Eine realistische Chance auf einen Platz in der Startelf bestand allerdings nie. Zu herausragend war die Konkurrenz um Klaas-Jan Huntelaar oder den auch im Spätherbst seiner Laufbahn noch glänzenden Raúl. Zudem wurde die Spielweise des nur 1,80 Meter gewachsenen Stürmers intern als zu eindimensional betrachtet. Vor allem spielerisch offenbarte Pukki noch wesentliche Schwächen.
Nahezu logisch erschien daher der Schritt zu Celtic. Beim damals haushoch überlegenen schottischen Dauermeister besaß Pukki die Möglichkeit, an seinen Problemen zu arbeiten, konnte aber zugleich auch auf höchstem Niveau in der Champions League antreten. Doch sein Wirken im rauen Schottland erwies sich als großes Missverständnis. Nach anfänglichen Startelfnominierung bekam Finne das Vertrauen von Trainer Neil Lennon entzogen. Der Abschied glich letztlich einer Flucht. Kurz nach Bekanntgabe seiner Leihe zum dänischen Traditionsverein Bröndby IF warf Lennon dem 25-Jährigen wenig freundlich hinterher: „Ich würde nicht sagen, dass er eine Vollkatastrophe war.”
Zurück in Skandinavien bewies sich erneut, dass Pukki ein Wohlfühlspieler ist und sein Können unter Beweis stellte, wenn seine Vorgesetzten auf ihn bauten. Mit seinen neun Toren trug er zur Europacup-Teilnahme von Bröndby bei, das ihn daraufhin für 675.000 Euro verpflichtete. An der Seitenlinie ersetzte Alexander Zorniger den weiterziehenden Thomas Frank. Der für seinen radikalen Pressingansatz bekannte Zorniger sorgte für Euphorie im gesamten Klub, aber auch bei Pukki, der begann – wie er selbst beschrieb – seine „Faulheit” zu bekämpfen: „Er hat uns fit gemacht und ich habe realisiert, dass Defensivarbeit gut für mich ist.”
Zorniger brachte Bröndby ins Rollen, schnupperte in der Saison 2017/18 sogar an der Meisterschaft und gewann den nationalen Pokal. Der bei ihm unumstrittene finnische Angreifer lernte die harte Arbeit zu schätzen und erzielte in 71 Ligapartien unter seiner Leitung achtbare 37 Tore. Der ehemalige Stuttgarter Chefcoach schwärmte: „Er hat die Kombination aus Ausdauer und Geschwindigkeit, die man nicht so oft findet.” Angesichts des auflaufenden Vertrags war frühzeitig klar, dass Pukki wieder in eine größere Liga zurückkehren wollte.
Die Wahl fiel auf Norwich City, das mit Trainer Daniel Farke in der englischen Championship eine fußballbejahende Idee vertrat. Nach einer mittelmäßigen vorangegangenen Saison sollte der auf der Insel bis dato als No-Name geltende Pukki für einen entscheidenden Fortschritt sorgen, indem er die immer wieder durch das flüssige Kurzpassspiel entstehenden aussichtsreichen Einschussgelegenheiten verwertete. Der Plan ging voll auf. Verein und Spieler erlebten eine perfekte Spielzeit. Die Canaries stürmten in der Tabelle mit begeisterndem Fußball vorne weg. Am Ende sprang mit 94 Punkten der vollkommen unerwartete sowie souveräne Aufstieg in die Premier League. Pukki avancierte mit 29 Treffern zum Torschützenkönig und legte nebenbei – dank seiner Spielintelligenz – noch zehnmal für den Mitspieler auf.
Nach dem Sprung in die Premier League traf der inzwischen kurz geschorene Wirbelwind einfach weiter. Schon am zweiten Spieltag schnürte er einen Dreierpack zum ersten Saisonsieg über Newcastle. Fünf Tore aus den vier Anfangspartien waren schließlich gleichbedeutend mit der Wahl zum Spieler des Monats August. Parallel hatte Pukki, der im Sommer 2019 seine Lebensgefährtin Korsika Laurikon heiratete, die kurz zuvor eine Tochter zur Welt brachte, aber auch in der Nationalmannschaft an Fahrt aufgenommen. Vor seinem Wechsel nach Norwich kam er auf ein mageres Dutzend an Treffern.
Doch im finnischen Dress knüpfte er an seine blendende Verfassung an. Derweil ergab sich eine historische Chance, die der Vollstrecker gegen die direkten Konkurrenten Bosnien (2:0) und Griechenland (1:0) einleitete. Finnland konnte sich erstmals seit seinem Bestehen für ein großes Endturnier qualifizieren. In den entscheidenden Partien behielt Pukki den von Vereinstrainer Farke besonders angesehenen „Killerinstinkt” bei, traf jeweils doppelt gegen Armenien (3:0) und Liechtenstein (3:0), sodass seine Nation am 15.11.2019 als EM-Teilnehmer feststand.
Die finnische Nationalmannschaft wurde wenige Wochen später im eigenen Land – noch vor den Eishockey-Weltmeistern – zur Mannschaft des Jahres ernannt. Der herausstechende Pukki wurde obendrein gleich zum Sportler des Jahres gewählt. Sein Level an Popularität glich dem der bis dato erfolgreichsten Fußballer Jari Litmanen und Sami Hyypiä oder dem der konstant siegreichen Wintersportler. Es führte sogar bis in höchste politische Kreise. Ministerpräsident Antti Rinne überreichte dem fußballnahen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Marcron während eines Besuchs im Elysee-Palast ein mit dem Aufdruck von Pukki versehendes Finnland-Trikot.
Auf die grenzenlose Euphorie im Jahr 2019 fiel Pukki anschließend in ein kleines Loch. In der Premier League blieb er ein halbes Jahr erfolglos und damit bei elf Treffern stehen. Norwich stieg letztlich ohne Chance ab. Die aufgrund der Corona-Pandemie verschobene Europameisterschaft kam ihm gerade recht, da er in der Championship wieder zu alter Stärke zurückfand. Für rund ein Drittel der 75 Saisontore zeigte sich Pukki verantwortlich, sodass ungefährdet die sofortige Rückkehr in die Premier League gelang. Dabei traf er achtmal in Spielen, die mit einem Tor Unterschied gewonnen wurden. Eine Fähigkeit, die auch Finnland bei der Europameisterschaft benötigen könnte.
Die Huuhkajat treffen in der Gruppe B auf Dänemark, Russland und Belgien. In alle Begegnungen werden sie – angesichts der individuellen Qualität – als klarer Außenseiter hineingehen. Die Hoffnungen ruhen auf dem weiterhin ruhigen aber abgeklärt agierenden Teemu Pukki, der erst im Alter von Mitte 20 begann, sein Potenzial abzurufen. Den Status als Volksheld kann er nicht nur verfestigen, sondern bei einem Erfolgserlebnis noch einmal in neue Spähren bringen.
(Photo: Imago/Vesa Moilanen)