EM 2024 | Belgien: Goldene Generation nur noch in der Offensive | OneFootball

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·14. Juni 2024

EM 2024 | Belgien: Goldene Generation nur noch in der Offensive

Artikelbild:EM 2024 | Belgien: Goldene Generation nur noch in der Offensive

Die Nationalmannschaft Belgiens nimmt zum siebten Mal an einer EM-Endrunde teil. Höhepunkt war bisher das Endspiel 1980, das gegen Deutschland verloren wurde. Zuletzt erreichte die belgische Auswahl zweimal in Folge das Viertelfinale, trotz teilweise hervorragender Voraussetzungen.

Diese sind nicht besser geworden. Sprach man in den letzten Jahren nicht selten von einer goldenen Generation in Belgien, so gilt das für den aktuellen Kader nur noch bedingt. Es herrscht eine horrende Diskrepanz zwischen den Mannschaftsteilen. Das zu kaschieren und die Stärken so gut es geht auf den Platz zu bringen, wird die große Aufgabe von Trainer Domenico Tedesco sein.


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Belgien: Souveräne Qualifikation ohne zu zaubern

Die belgische Auswahl musste sich in einer Fünfergruppe für das Turnier qualifizieren. Der stärkste Gegner war Österreich, doch mit vier Punkten aus dem direkten Duell mit Team Austria setzte sich Belgien am Ende als Gruppensieger durch. Sechs Siege und zwei Remis gab es in der Qualifikationsphase, nur vier Gegentore wurden kassiert. Das klingt erst einmal sehr positiv, die anderen Gegner waren allerdings Schweden, Estland und Aserbaidschan. Viel geprüft wurde Belgien in dieser Phase also nicht. Trotzdem sorgt eine problemlose Qualifikation für das Turnier immer für einen positiven Einfluss auf das Selbstvertrauen.

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Zauberfußball gab es hingegen keinen zu sehen. 22 Tore in acht Partien entsprechen den Erwartungen an die Offensive, mehr aber auch nicht. Auch die Serie von mittlerweile mehr als 15 Länderspielen, die ungeschlagen absolviert wurden, ist ein wenig zu relativieren. Einerseits, weil die Gegner von höchst unterschiedlicher Qualität waren und andererseits, weil es in dieser Zeit auch einige Remis gab, so zum Beispiel im März gegen England und Irland. Die beiden Vorbereitungsspiele gegen Montenegro und Luxemburg (2:0, 3:0) liefen ebenfalls ordentlich, auch hier bestand aber kein Grund zur übergroßen Euphorie.

Offensiv mit vielen Möglichkeiten, aber die Abwehr…

Sehr interessant ist die Kaderstruktur der belgischen Mannschaft. In den letzten Jahren war nicht selten zu hören, dass die Belgier mit einer „goldenen Generation“ in ein Turnier gingen. Sinnbildlich dafür standen Kader mit Thibaut Courtois, Toby Alderweireld, Jan Vertonghen, Eden Hazard, Romelu Lukaku, Yannick Carrasco, Dries Mertens und Kevin de Bruyne, nicht selten gleichzeitig auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. In allen Mannschaftsteilen waren die Belgier mit individueller Topqualität ausgestattet. Waren. Denn das gehört der Vergangenheit an.

Zweifellos ist die Offensive noch immer das Prunkstück. Kevin de Bruyne zieht die Fäden im Mittelfeld, Leandro Trossard ist flexibel einsetzbar und kommt aus einer brillanten Saison mit Arsenal, Jeremy Doku hat sich bei Man City zu einem sehr wichtigen Spieler im Offensivbereich entwickelt, Johan Bakayoko von der PSV Eindhoven ist ein unberechenbarer Spieler, Charles de Ketelaere, der mit Atalanta die Europa League gewann, kann aus der hängenden Position für Gefahren sorgen und die Mittelstürmer sind Lois Openda, der enorm antrittsstark ist, und Romelu Lukaku, der primär mit seiner Physis und Wucht punktet. Hier stimmt die Mischung auf jeden Fall.

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(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

Die Kehrseite der Medaille ist allerdings die Defensive. Torhüter Courtois ist nach Kreuzbandriss nicht mit dabei, obwohl er im Endspiel der Champions League zwischen den Pfosten stand. Innenverteidiger Vertonghen steht zwar noch im Kader, ist aber mittlerweile 37 Jahre alt, spielt „nur“ noch in Anderlecht. Der große Star im Abwehrverbund fehlt, auch Thomas Meunier befindet sich, genau wie Axel Witsel, der bei Atletico oft in einer Dreierkette innen spielt, schon im gehobenen Fußballalter. Ihnen fehlt es zwar nicht an Erfahrung, dafür an der nötigen Spritzigkeit, dem berühmten letzten Prozent.

Wout Faes, Arthur Theate, Zeno Debast, Maxim de Cuyper und Timothy Castagne füllen die Abwehr auf. Zweifelsohne sind das keine schlechten Spieler, insbesondere von Debast und de Cuyper könnte man in Zukunft noch einiges hören, im Vergleich fallen sie aber zur Offensive und zu Teilen des Mittelfelds um Everton-Star Amadou Onana ab.

Belgien-Trainer Tedesco mit einer Vielzahl an Aufgaben

Wie kann es jetzt gelingen, aus dieser Gesamtsituation ein funktionierendes, homogenes Konstrukt herzustellen? Für Trainer Domenico Tedesco, der in der Bundesliga für Schalke 04 und RB Leipzig arbeitete, stehen einige Aufgaben an. Die beiden Testspiele sorgten in jedem Fall für eine gute Grundstimmung. Dass beide Male zu Null gespielt wurde, hilft der Defensive auch. Klar, die Gegner waren nicht absolut hochkarätig, aber vielleicht war das auch das Mittel zum Zweck für die belgische Mannschaft.

Ein wichtiger Aspekt in der Vorbereitung der Belgier war und ist die Balance. Es ist kein Geheimnis, dass bei einem Ungleichgewicht im Kader der besser besetzte Mannschaftsteil seinen Teil dazu beitragen muss, um den schwächer besetzten zu unterstützen. Das kann auf verschiedene Arten gelingen. Ist die Offensive zum Beispiel das Problem, kann ein größerer Wert auf Kompaktheit, einen tiefen Block und schnelles Umschalten mit einer Fokussierung auf ruhende Bälle gelegt werden. Bei einem Qualitätsabfall in der Defensive kann entweder offensiv umso druckvoller agiert werden oder der Fokus liegt mehr auf der Balance, wie es die Belgier versuchen werden.

Heißt: Gegen den Ball ist jeder wichtig, auch in der Offensive. Die Flügelspieler müssen einerseits das Pressing initiieren, andererseits mit ihrem Tempo auch versuchen, hinter den Ball zu kommen. Gerade gegen stärkere Gegner werden die Belgier nicht 90 Minuten dominieren (können), sondern auch Spielphasen erleben, in denen man leiden und reagieren muss. Eine gute Balance herzustellen, unter der die Offensive in ihren Freiheiten nicht leidet, ist also mit intensiver Arbeit verbunden. Dafür braucht es viel Disziplin– im gesamten Kader.

Die Gruppe ist Pflichtprogramm – und dann?

Die Gruppenauslosung hat es rein nominell gut gemeint mit der belgischen Auswahl. Slowakei, Rumänien und die Ukraine warten auf die Tedesco-Elf. Auf Konter muss in jedem Spiel aufgepasst werden, das steht außer Frage, aber diese Gegner werden die Defensive nicht so fordern, wie es England, Frankreich, Portugal oder auch eine deutsche Auswahl könnte. Deswegen sollte die Gruppenphase als Pflichtprogramm angesehen werden. Ein Auftaktsieg würde die Weichen auf Gruppensieg und Achtelfinale stellen, danach können sich die vorhandenen Basics langsam etablieren.

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(Photo by BRUNO FAHY/Belga/AFP via Getty Images)

Der Umstand der sehr machbaren Gruppe könnte also für die Belgier sprechen. Nicht selten festigen sich Elemente in einem Turnierumfeld schnell, Automatismen entstehen und ein Team reitet auf einer Welle. Deswegen sollte diese Auswahl auch nicht abgeschrieben werden, insbesondere auch aufgrund der langen Serie an ungeschlagenen Spielen. Doch die Zweifel an der Defensivreihe, vor allem gegen größere Gegner, bestehen weiterhin, auch nach der Vorbereitung. Und diese Zweifel muss Belgien höchstselbst beseitigen. Aktuell deutet vieles darauf hin, dass gegen die erste Topnation die Hoffnungen auf eine Endspielteilnahme schon wieder passé sind.

(Photo by KENZO TRIBOUILLARD/AFP via Getty Images)

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