EM 2024 | Der Idealtrainer für den Kader: Wie Rangnick Österreichs Fußball revolutioniert hat | OneFootball

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·16. Juni 2024

EM 2024 | Der Idealtrainer für den Kader: Wie Rangnick Österreichs Fußball revolutioniert hat

Artikelbild:EM 2024 | Der Idealtrainer für den Kader: Wie Rangnick Österreichs Fußball revolutioniert hat

Die österreichische Nationalmannschaft hat bei der EM 2024 eine sehr anspruchsvolle Gruppe erwischt. Polen, die Niederlande und Frankreich lauten die Gegner. Eigentlich wäre es nur natürlich, Team Austria die Rolle des Außenseiters zuzuschreiben. Doch das wäre nicht richtig.

Österreich hat es nämlich geschafft, sich in einem derart positivem Maße zu entwickeln, dass die Niederlande und auch Frankreich gehörigen Respekt haben. Ein 6:1 gegen die Türkei, ein 2:0 gegen Deutschland und viele weitere ordentliche Spieler unter Ralf Rangnick setzten einen neuen Maßstab in Österreich. Es hat sich vieles verändert, doch an welchen Stellschrauben wurde genau gedreht?


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Österreich: Der wichtige Blick auf die Vor-Rangnick-Ära

Um das genauer unter die Lupe zu nehmen, haben wir uns mit Experten unterhalten. Alex Belinger, UEFA-A-Lizenz-Inhaber und Nachwuchstrainer bei Admira Wacker in Österreich, gab uns ebenso Auskunft wie Clemens Zulehner, der als Co-Trainer für den LASK in der österreichischen Bundesliga tätig ist, zur neuen Saison aber zum SV Ried wechseln wird, um dort Sportlicher Leiter der Akademie zu werden. Will man den Einfluss Rangnicks auf das Spiel der österreichischen Nationalmannschaft bestmöglich verstehen, dann ist es wichtig, sich zumindest kurz mit der Vor-Rangnick-Ära zu beschäftigen. Der Nationaltrainer hieß Franco Foda, der Kader war bereits hochkarätig besetzt, doch die Fußballwelt eine ganz andere.

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„Es gab nicht die notwendigen Ergebnisse, dafür viel Kritik zu hören. Dass es Probleme gab lag auch an der Mentalität und Ausrichtung von Foda, der sehr viel auf Fehlervermeidung aus war, defensiver spielte. Man hatte währenddessen immer das Gefühl, dass mehr möglich gewesen wäre, weil auch viele Spieler aus der RB-Schule kamen und aktiveren Fußball gewohnt waren“, sagt Alex Belinger. Darüber hinaus gab es auch immer wieder Meldungen, wonach die Spieler selbst unzufrieden mit der Ausrichtung waren und das Gefühl hatten, sie seien zurückgehalten worden.

Die Entscheidung pro Rangnick war für Alex Belinger folgerichtig und eine wichtige Weichenstellung: „Mit Rangnick wurde dann ein Trainer ausgewählt, der perfekt zu dem Kader passte, der auch mutiger war. Das war optimal für die Mannschaft. Es ist ein Trainer, der die wichtigen Werte für das Team gut vorlebt. Er arbeitet auch sehr gut und akribisch, hat ein sehr gutes Trainerteam. Der Stil ist klar vom Pressing, Gegenpressing und dem offensiven Umschalten geprägt. Vieles, was man aus dem RB-Kosmos kennt, wird umgesetzt.“

Österreich mit RB-Fußball auf neuer Ebene

Im Sommer 2022 übernahm der neue Coach den Cheftrainerposten bei Team Austria, startete mit einem 3:0 gegen Kroatien, verlor dann aber vier der darauffolgenden fünf Spiele, wenngleich die Gegner unter anderem Frankreich und Dänemark (je zweimal) lauteten. Und viele dieser Partien waren eng. Es wurde mutiger gespielt als zuvor, trotzdem war rund um die Nationalelf immer noch eine gewisse Skepsis zu erkennen. Die Probleme aus der Foda-Ära waren einfach noch zu präsent, Veränderungen hin oder her. Der neue Trainer hatte die Aufgabe, auch den Spielern, die in ihrer Jugend- oder Profikarriere nicht mit dem RB-Fußball in Kontakt kamen, die Grundprinzipien zu vermitteln. Und das ist bei Nationalmannschaften besonders schwer, denn viele Trainingseinheiten, um taktische Elemente auf höchstem Niveau einzustudieren, gibt es nun einmal nicht.

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(Photo by GEORG HOCHMUTH/APA/AFP via Getty Images)

Es dauerte ein wenig, aber die Anpassungen trugen Früchte. Österreich verbesserte sich sukzessive, erreichte langsam, aber sicher eine neue Ebene. Mannschaft und Fans sahen, was mit einer klaren Struktur und einer guten Ausrichtung möglich ist. Man wurde mutiger, aktiver. Der RB-Fußball hielt Einzug in Österreich und begeisterte, nahm alle mit. „Dieses intensive Spiel zeichnet das Team mittlerweile aus. Rangnick legt viel Wert auf das Team als Ganzes, dass jeder mitverteidigt, sich jeder im Angriffsspiel einbringt. Es ist eine aktive und intensive Spielweise, die allerdings viele Spieler schon kennen, weil sie so ausgebildet wurden. Deswegen haben auch die Ergebnisse nach und nach besser gepasst“, erklärt Clemens Zulehner.

Mittlerweile sind die Automatismen zu erkennen, die Mannschaft ist eingespielt. Klare Mechanismen nach Ballgewinn werden regelmäßig abgespult, die Spieler wissen, welche Laufwege sie selbst nehmen müssen und wie sich ihre Teamkollegen bewegen. Und auch wenn gewechselt wird, ist selten ein Qualitätsabfall zu erkennen. Mit Erfolg: Vor Turnierstart wurden sieben Länderspiele nacheinander ungeschlagen bestritten.

Österreich: Der breite Kader als Schlüssel

Dass die klare Ausrichtung der österreichischen Mannschaft fast unabhängig der personellen Zusammenstellung zu erkennen ist, hat nicht nur etwas mit dem System zu tun. Das kann eine große Unwucht im Kader nämlich nur in Teilen kaschieren. Rangnick steht aber ein Pool an Spielern zur Verfügung, die von relativ ähnlicher Qualität sind. Es gibt zwar keine absoluten Topstars, vor allem nicht in Abwesenheit von David Alaba, der sich noch von den Folgen eines Kreuzbandrisses erholt, aber 17-20 Spieler, die allesamt den gestiegenen Ansprüchen genügen.

Schaut man sich zum Beispiel die Bank im Spiel gegen die Schweiz an, dann fiel auf, dass dort unter anderem Patrick Wimmer (Wolfsburg), Florian Grillitsch (Hoffenheim), Maximilian Wöber (Gladbach) und Altstar Marko Arnautovic zu finden waren. Das hilft natürlich, gleichermaßen hat Rangnick die Zusammenstellung durch mehr von ihm präferierte Spielertypen noch einmal verbessert. Im Mittelpunkt steht das Kollektiv, Schlüsselspieler gibt es natürlich trotzdem. „Konrad Laimer ist ein Beispiel dafür. Er verkörpert das System und den Fußball, den man spielen will, perfekt. Er ist laufstark, hat Dynamik, ihn willst du nicht als Gegenspieler auf dem Platz haben“,  so Alex Belinger.

Daran muss Österreich unter Rangnick noch arbeiten

Ja, Ralf Rangnick hat den Fußball der österreichischen Nationalmannschaft revolutioniert, daran besteht kein Zweifel. Dennoch gab und gibt es noch ein paar Baustellen, an denen gearbeitet werden muss. Der hohe Druck, die permanente Intensität auch durchzuhalten, ist ein Thema. „Grundsätzlich gibt es Österreich durch die intensive Spielweise das Hauptthema, diese Intensität auch über 90 Minuten zu halten. Durch viele Wechsel kann das kompensiert werden. Es wird aber generell ein Schlüssel im Verlauf des Turniers sein, die intensive Spielweise gegen den Ball über die 60. Minute hinaus zu halten oder auch Phasen, in denen man tiefer steht, trotzdem aktiv zu gestalten. Das könnte ein Thema werden, das wird der Teamchef aber auch auf dem Schirm haben“, analysiert Clemens Zulehner.

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(Photo by Carsten Harz/Getty Images)

Für ihn ist auch das Spiel mit dem Ball noch ausbaufähig: “ Luft nach oben ist eventuell auch noch in der Spielgestaltung mit Ball, obwohl ich anmerken möchte, dass es auch da einen klaren Plan gibt. Rangnick ist jetzt kein Coach, der rein gegen den Ball arbeiten will.“ Hier liegt das Problem eher woanders, meint Alex Belinger: „Der entscheidende Faktor hier ist eher bei den Spielerprofilen zu suchen, nicht bei den Vorgaben des Trainers. Die Innenverteidigung ist zum Beispiel im Aufbau nicht so dominant, das trifft auch auf die 6er um Nicolas Seiwald zu. Deswegen ist auch Grillitsch so wichtig, weil er eine Pressingresistenz hat, die andere nicht haben.“

Kaschieren ließe sich das durch offensivstarke Außenverteidiger, aber auch hier ist das Angebot begrenzt. Philipp Mwene, Stefan Posch, mit Abstrichen noch Maximilian Wöber: Die Besetzung ist eher bieder. Laufstark sind sie alle, aber eben keine Außenverteidiger modernster Prägung, die sich in Ballbesitz auch mal in das Zentrum des Mittelfelds bewegen, dort unterstützen. Das sorgt kurioserweise aber auch wieder dafür, dass der rangnicksche Fußall noch einmal besser zur Geltung kommt. Und gegen zwei der drei Gruppengegner muss Österreich das Spiel nicht mit dem Ball bestimmen, in der möglichen K.O,-Runde ebenso nur in den wenigsten Fällen.

Für das vollständige Erfolgsrezept der österreichischen Mannschaft gibt es viele Zutaten. „Chefkoch“ Ralf Rangnick hat es geschafft, seine Vorstellungen umzusetzen, weil er die für die Umsetzung seiner Philosophie notwendigen Spieler zur Verfügung hat, teilweise auch noch mit dem RB-Background. Viele kleinteilige Veränderungen waren nötig, um ein Gesamtbild zu konstruieren, das stimmig ist. Rangnick ist dabei wieder einmal seinem Ruf als absoluter Fachmann gerecht geworden. Wenn es ihm jetzt im Turnierverlauf gelingt, das Maximum aus dem Team herauszuholen und die kleinen Schwachstellen zu kaschieren, kann Österreich eine sehr gute Europameisterschaft spielen. Der Revolution sei Dank.

(Photo by Michael Campanella/Getty Images)

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