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·29. Dezember 2025
Enttäuschung des Jahres: Mohamed Salah und der FC Liverpool

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·29. Dezember 2025

In der langen Geschichte des Fußballs gab es schon viele Meister, die in der anschließenden Saison abgestürzt sind. In Deutschland gelang dem 1. FC Nürnberg sogar einmal das Kunststück als amtierender Titelträger abzusteigen – ein bis heute einmaliger Vorgang.
Juventus Turin ist ein weiteres gutes Beispiel. Die Bianconeri dominierten die 2010er-Jahre, wurden mittlerweile aber von Milan, Inter und Neapel überholt. In England passiert dieses Phänomen seltener, in diesem Jahr ist es mal wieder so weit gewesen. In den Hauptrollen: der FC Liverpool, Mohamed Salah, Arne Slot und Geld – sehr viel Geld.
Um zu verstehen, weshalb die Reds für mich die Enttäuschung des Jahres sind, muss man etwas zurückgehen. Man kann es angesichts der turbulenten Schlagzeilen in letzter Zeit schnell vergessen, aber vor etwas mehr als einem halben Jahr war Liverpool ganz oben in der Premier League. Arne Slot führte das Team zum Titel, durchbrach die Dominanz von Manchester City und das alles quasi ohne einen echten Neuzugang.
Doch dann kam der Sommer und Liverpool war nicht mehr das Liverpool, das man kannte. Das hatte neben dem Kaufrausch noch einen anderen Grund: den plötzlichen Tod von Diogo Jota. Der Portugiese starb bei einem Autounfall und hinterließ sportlich aber vor allem menschlich eine riesige Lücke in der Mannschaft, dem Verein und der Fußballwelt.

Diogo Jota ist in Liverpool unvergessen / Michael Steele/GettyImages
Keiner von uns kann nachvollziehen, wie der tragische Verlust Jotas den Verein und vor allem die Spieler beeinflusst hat. Doch gerade vor diesem Hintergrund war die Transferstrategie, die die Reds in diesem Sommer fuhren, vielleicht nicht unbedingt die richtige.
Eine Mannschaft, die gerade erst solch einen Schicksalsschlag hinter sich hatte, einen eigentlich nicht notwendigen Umbruch aufzuzwingen und mehrere neue Spieler zu holen, die in einer der schwierigsten Phasen der Vereinsgeschichte neu zu einem Team stoßen, das noch mit Trauerbewältigung beschäftigt ist, ist ein Ritt auf der Rasierklinge.
Zumal einige Verpflichtungen den Eindruck machen, als hätte Liverpool gar nicht auf den spielerischen Fit geachtet, sondern einfach gekaut, weil sie es können. Wie sonst lässt sich die Verpflichtung von Jeremie Frimpong erklären? Der Niederländer ist ein klassischer Schienenspieler, die Reds agieren jedoch seit Jahren mit einer Viererkette. Wenig verwunderlich also, dass Frimpong nicht sein Leistungsniveau aus Leverkusener Zeiten erreicht.

Jeremie Frimpong rennt seiner Topform aus Leverkusener Zeiten hinterher / Soccrates Images/GettyImages
Ähnliches lässt sich über Alexander Isak sagen. Der Schwede kam am Deadline Day für 144 Millionen Euro von Newcastle United – ein neuer Transferrekord. Aber hat es den wirklich gebraucht? Schließlich kam einige Wochen zuvor mit Hugo Ekitiké bereits ein Stürmer, der mit 95 Millionen Euro auch nicht gerade billig war. Zudem war Isak aufgrund seines Streiks bei den Magpies nicht austrainiert und dementsprechend lange ein Fremdkörper.
Auch Florian Wirtz, seines Zeichens der zweitteuerste Transfer des Sommers, kam bei Liverpool lange auf überhaupt keinen grünen Zweig. Auf sein erstes Pflichtspieltor wartet er immer noch – auch wenn das weniger mit ihm, sondern mehr mit seinen Mitspielern zu tun hat. Dennoch: Von der Vision, mit der Slot den 22-Jährigen im Sommer überzeugte, ist noch nicht viel zu sehen.

Florian Wirtz sucht noch seinen Platz bei den Reds / Liverpool FC/GettyImages
Wirtz pendelt aktuell zwischen Ersatzbank und Startelf, einen festen Platz in der Offensive hat er nicht. Er spielte in dieser Saison von Zehner über Linksaußen und Rechtsaußen bis hin zu Mittelstürmer schon alles. Zwar findet er sich mittlerweile besser zurecht, doch auch er ist noch weit von seiner Bestform entfernt.
Das Wirtz-Problem führt dabei direkt zu Arne Slot. Der Norweger muss sich den Vorwurf gefallen lassen, zu wenig taktische Änderungen vorgenommen zu haben – insbesondere in der Phase mit vier Liga-Niederlagen in Folge. Warum hat er nicht sein System auf eine Dreierkette angepasst, um beispielsweise Jeremie Frimpong besser zur Geltung zu bringen? Warum ließ er einen teilweise nicht fitten Isak anstelle von Ekitiké spielen? Und wie konnte es sein, dass Liverpool nach Gegentoren, wie in der Champions League gegen Eindhoven, so auseinanderfiel?

Arne Slot erlebt seine erste Krise in Liverpool / Marc Atkins/GettyImages
Ich glaube, Slot hat an einem bestimmten Punkt versucht, zu viele Neuzugänge in seine Startelf einzubauen und dabei die Stabilität der Mannschaft geopfert, die diese letzte Saison noch auszeichnete. Das Team der letzten Saison war eingespielt, die Automatismen haben gegriffen und verstand sich blind. Hier gleich bis zu vier neue Spieler, davon drei Angreifer, in die Startelf einbauen zu wollen, ist eine Herausforderung und ich glaube, dass Slot hier zu schnell zu viel wollte.
Slot hat zu lange an Profis festgehalten, die außer Form waren oder sein Vertrauen nicht gerechtfertigt haben. Zu ihnen gehört allen voran Mohamed Salah. Der Ägypter spielte einen enttäuschenden Oktober und November und wurde dementsprechend konsequent auf die Bank gesetzt – und damit brach das nächste Drama los.
Denn dem 33-Jährigen schmeckte die Degradierung so gar nicht. Und so trat er nach dem 3:3 gegen Leeds United vor die Mikrofone und lieferte eines der aufsehenerregendsten Interviews der letzten Jahre ab. Salah nahm kein Blatt vor den Mund, er fühlte sich vom Verein "unter den Bus geworfen" und kritisierte Arne Slot, zu dem er "gar kein Verhältnis" mehr habe.
Dass er obendrein offen ließ, ob er auch im Februar noch für Liverpool spielt, setzte dem ganzen die Krone auf. Und hier zeigt sich wieder einmal Salahs Persönlichkeit. Der Ägypter bleibt eine der größten Diven im Weltfußball. Jamie Carragher hat völlig Recht, wenn er sagt, dass Salah immer nur dann vor die Mikrofone tritt, wenn er seine persönliche Situation verbessern oder den Verein unter Druck setzen will.
Letzteres tat er mit seinen Aussagen – und offenbarte dabei, dass es ihn vor allem immer um eine Sache geht: sich selbst. Auf dem Platz übersieht er regelmäßig besser postierte Mitspieler – Florian Wirtz kann davon ein Lied singen – und man wird das Gefühl nichts los, dass ihm seine persönlichen Statistiken am wichtigsten sind.

Mohamed Salah sorgte für viel Wirbel / Robbie Jay Barratt - AMA/GettyImages
Das soll damals schon Zankapfel mit Sadio Mané gewesen sein. Angeblich war Salahs egoistische Spielweise ein Grund, weshalb sich Mané dem FC Bayern anschloss. Solange es gut läuft, sagt niemand was, aber in schlechten Phasen braucht man Spieler die voran gehen. Eigentlich sollte Salah so eine Rolle übernehmen können, doch stattdessen verhält er sich wie ein bockiges Kind.
Das Wohl des Vereins kommt für ihn an zweiter Stelle. Sportlich war die Entscheidung, ihn auf die Bank zu setzen, nämlich vollkommen richtig. Nicht nur liefert Salah keine Scorerpunkte, sondern lässt auch defensive Mitarbeit vermissen. Da war es kein Wunder, dass Slot ihn gegen Dominik Szoboszlai austauschte, um zum einen mehr Kreativität auf dem Feld zu haben, zum anderen aber auch defensiver stabiler zu sein.
Ja, Salah ist eine Vereinslegende, das steht außer Frage. Aber das gibt ihm nicht den Freifahrtsschein für einen Stammplatz, egal wie schlecht seine Leistungen sind. Dass er aber genau das anscheinend einfordert, zeigt wie verschoben seine Perspektive mittlerweile ist.
Dass er aufgrund von drei Spielen, in denen er nicht von Anfang an spielte, bzw. nicht zum Einsatz kam, direkt mit einem Abschied im Winter kokettiert, ist respektlos und ein Schlag ins Gesicht für den Verein. Liverpool hat Salah alles gegeben, was er wollte und das ist sein Dank dafür? Mit all diesem Drama hat der Ägypter vor allem eins geschafft: Sein eigenes Vermächtnis nachhaltig beschädigt, wenn nicht sogar zerstört. Nochmal: Salah ist nicht alleine Schuld am Liverpooler Niedergang, aber er ist durch jenes Interview eines der größten Symptome der Krise.
Und so bleibt beim Blick auf den FC Liverpool 2025 vor allem Folgendes hängen: Eine Mannschaft, die ganz oben war, dann von einem Schicksalsschlag heimgesucht wurde und anschließend einen Umbruch erzwingen wollte, der in diesem Ausmaß eigentlich gar nicht nötig war.
Die Episode um Mohamed Salah, der unzufriedenen Vereinslegende, liefert den perfekten Schlusspunkt für ein Jahr, das aus Liverpooler Sicht perfekt startete, sich dann aber immer mehr zu einem absoluten Albtraum entwickelte.
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