Miasanrot
·30. Oktober 2024
In partnership with
Yahoo sportsMiasanrot
·30. Oktober 2024
Vincent Kompany hat beim FC Bayern München eine Art Aufbruchstimmung erzeugt. Doch der Campus kommt bisher wie in den vergangenen Jahren zu kurz. Dem FCB täte mehr Mut in der Talenteförderung gut. Ein Kommentar.
Der FC Bayern München wurde viele Jahre für die Ausbildung von Talenten am teuren Campus kritisiert. Diese Kritik kann nicht mehr gelten. Zahlreiche Spieler haben den Weg vom NLZ in eine der Top-5-Ligen gefunden.
Das ist ein großes Qualitätsmerkmal. Doch trotz Spielern wie Josip Stanišić, Jamal Musiala und Aleksandar Pavlović bleibt ein großer Kritikpunkt bestehen: Man ist nicht mutig genug, die Talente noch viel näher an die eigenen Profis heranzuführen.
Beim FC Bayern ist der Anspruch riesig. Das führt dazu, dass oft nur jene es sofort schaffen, die wie Musiala oder Pavlović sofort nah am Spitzenniveau sind. Und selbst die haben es nicht immer leicht.
Dass Pavlović unter Thomas Tuchel eine Chance bekam, lag an mehreren Zufällen. Für das Trainingslager im Sommer rückte er damals einen Tag vor Abreise nach, weil sich jemand verletzte. Intern war er zu diesem Zeitpunkt noch hinter Frans Krätzig in der Prioritätenliste. Im Saisonverlauf profitierte er erneut von zahlreichen Verletzungen und Ausfällen, nutzte seine Chance.
Aber sein Weg zeigt auch, dass man den Kader nicht künstlich aufblähen muss. Warum nicht das Geld für neue Spieler ganz bewusst in die Qualität eines etwas dünneren Kaders stecken und die restlichen Positionen mit Jugendspielern auffüllen? Schaut man sich die Qualität der jungen Spieler an, dann ist kaum anzunehmen, dass man deshalb gleich sportliche Ziele gefährden würde.
Im Gegenteil sogar: Es bleibt mehr Geld übrig, weil man sich Transfers für zwei, drei Positionen spart, die ohnehin nur wenige Minuten sammeln und bei Einsätzen erfahrungsgemäß auch nur selten überzeugen.
Als der zu dünne Kader in der Vergangenheit kritisiert wurde, argumentierte man mit Platz für den Campus. Die Talente schafften es dennoch häufig nicht zu Einsatzzeiten. Aussagen, die als Feigenblatt zu verstehen sind, um die eigenen Fehler in der Kaderplanung zu verstecken.
Ein Blick zum FC Barcelona hilft, um zu verstehen, dass nicht immer die großen Ausgaben entscheidend sind. Barça hat sich wegen der schlechten Clubführung selbst zu diesem Weg und damit zu seinem Glück gezwungen. Verstecken muss sich der Campus längst nicht mehr vor den großen Ausbildern Europas.
Adam Aznou, Javier Fernández, Jonathan Asp Jensen und viele, viele mehr. Die kommenden Jahrgänge haben ein Riesenpotenzial. Der defensive Weg, sie erstmal zu verleihen, mag nicht generell falsch sein, aber manchmal wünscht man sich vom FC Bayern einfach etwas mehr Mut. Etwas mehr Blick darauf, was sein kann, als darauf, was aktuell ist. Wenn ein Spieler in einem halben Jahr mit vier Einsätzen über je 30 Minuten zeigt, dass er noch nicht weit genug ist, wird er eben verliehen. Dann hat er aber seine Chance bekommen.
Dass Aznou beispielsweise trotz starker Saison weiter auf diese Chance warten muss, ist absurd. Er debütierte für Marokko, spielte in verschiedenen Jugendmannschaften stark auf und überragte unter anderem in der Youth League. Selbst das große Barça mit der zweifellos tollen Jugendakademie trauert diesem Verlust hinterher, der in München als Statementtransfer gesehen wird.
Vor dem Hintergrund, dass Alphonso Davies den Club verlassen könnte, sollte man in München eigentlich größeres Interesse daran haben, auszutesten, ob Aznou ein möglicher interner Ersatz sein könnte. Wenn man das nur anhand von Trainingsleistungen tun möchte, ist das schlicht zu wenig.
Der Campus ist im Kampf mit den internationalen Topclubs ein Schlüssel zum Erfolg. Immer wieder betont man die finanziellen Unterschiede. Je mehr Talente man sinnvoll heranführen kann, desto mehr profitiert man auch finanziell: Sei es durch Transfers von jungen Spielern wie zuletzt bei Malik Tillman oder Joshua Zirkzee oder sei es durch die Besetzung einer Kaderrolle, die man auf dem Transfermarkt einsparen würde.
Nur muss man den Schlüssel eben auch mal ins Türschloss führen. Bei aller Aufbruchstimmung, die Vincent Kompany bisher erzeugt hat, ist das der einzige große Wermutstropfen. Ein weiterer Trainer, der es als zu großes Risiko sieht, jungen und hochtalentierten Fußballern eine Chance zu geben? Zu früh urteilen sollte man nicht. Für den Belgier ging es zu Beginn vor allem darum, anzukommen und seine Ideen zu implementieren. Zumal bekannt ist, dass das Umfeld einem es nicht leicht macht, junge Spieler einzusetzen.
Genau hier muss man aber ansetzen. Der FC Bayern braucht dahingehend einen neuen Louis van Gaal. Einen, der sich nicht in seine Arbeit quatschen lässt und den Mumm mitbringt, Spieler einfach reinzuwerfen. Der sich aber auch vor diese Spieler stellen und den Weg verteidigen kann. Es geht auch schlicht nicht darum, die eigenen Ansprüche zur Seite zu legen und zum reinen Ausbildungsverein zu werden.
Eher geht es darum, einen Teil des Kaders ganz bewusst für junge Talente freizuhalten, die man fördern möchte und ihnen proaktiv Spielzeit zu geben – nicht nur bei einer deutlichen Führung, sondern ganz generell. Der FC Bayern wird anhand der vorhandenen Campus-Spieler argumentieren, dass er das getan hat. Doch wenn er davon wirklich überzeugt ist, dann unterstreicht das die viel zu defensive Haltung. Es hätte mehr sein können, gar müssen.
Dann spielt eben hier und da kein Konrad Laimer, kein Leon Goretzka, kein Eric Dier, kein Thomas Müller, kein Kingsley Coman, sondern es kommen neue Gesichter, die frischen Wind reinbringen. Immer punktuell und immer so, dass es sportlich Sinn ergibt.
Das aber passierte in der Vergangenheit nur, wenn die Situation so richtig brenzlig war. Die wenigen Erfolgsfälle entstanden mehr oder weniger zufällig oder weil ein Spieler wie Musiala bereits mit viel Qualität aus dem Ausland verpflichtet wurde. Ansonsten scheint der Sprung für 17 bis 19-Jährige beim FC Bayern aber nahezu unmöglich zu sein. Dabei könnten sie gerade in diesem Alter enorm von konkreten Erfahrungen bei den Profis profitieren.
Mit René Marić haben die Bayern sogar jemanden im Trainerteam, der sehr gut mit jungen Spielern arbeiten kann und der sich am Campus in seiner kurzen Zeit hervorragend vernetzt hat. Die Schnittstelle ist da – auch mit Christoph Freund, der sich dahingehend stark einbringt.
Nur müssen auch mal Taten folgen. Die Situation von Aznou ist bisher eher frustrierend. Zumal auch die zahlreichen Talente, die jetzt bald aufrücken werden, genau beobachten dürften, wie sich andere Campus-Spieler bei den Profis schlagen. Die wenigen Spieler, die in der Vergangenheit Minuten sammeln durften, haben es nicht allzu schlecht gemacht. Im schlimmsten Fall fielen sie halt kaum auf.
Es ist Zeit, dem Campus endlich mal mehr Vertrauen zu schenken.