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·2. August 2023
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"Born for this" heißt die Doku, die den Weg des DFB-Teams zur WM 2023 begleitet. Und für wen passt dieser Titel schon besser als für Sydney Matilda Lohmann? Mit ihren zwei Vornamen, die dem Final-Ort und dem Spitznamen des australischen Teams entsprechen, scheint die 23-Jährige wie gemacht für diese WM. Sie hat das, was dem DFB-Team aktuell noch fehlt.
Bisher konnte Lohmann noch nicht ins Turniergeschehen eingreifen, denn sie war verletzt. Mal wieder. Es ist schwer, über Lohmanns Karriere nachzudenken, ohne sich die Frage zu stellen: Was wäre wohl ohne die Verletzungen gewesen? Davon hatte die Bayern-Spielerin schon Dutzende, von kleineren Verletzungen zu anhaltenden Hüftproblemen. Nicht umsonst schlagen die Suchmaschinen den Zusatz "verletzt" direkt vor, wenn ihr Name eingetippt wird.
In den letzten Jahren war es immer wieder das gleiche Schema: Lohmann glänzt in einem wichtigen Spiel, und schon kommen alle ins Träumen: Was wäre, wenn sie mal eine ganze Saison fit und in Topform wäre? Wie weit könnte sie es bringen? Aber dann kommt wieder eine Verletzung und bringt sie aus dem Tritt. Reha, Comeback, und das Ganze geht wieder von vorne für los.
So ist Lohmann mit 23 weiterhin ein Versprechen für die Zukunft. Ein großes Versprechen dazu, denn Lohmann hat das Zeug, eine der Besten werden, da sind sich alle einig, die sie schonmal zaubern gesehen haben: Ihre Ballmitnahmen, ihre Dynamik, ihre Zweikampfführung. Wenn Lohmann auf dem Platz ist, ist sie nicht zu übersehen. Sie hat die seltene Fähigkeit, ein Spiel direkt zu verändern und an sich zu reißen.
Lohmanns Talent wurde früh entdeckt, sie gilt schon lange als großes Versprechen: Ab der U15 spielte sie für den DFB, war währenddessen beim SC Fürstenfeldbruck aktiv. Mit 16 Jahren ging sie zum FC Bayern und gab nur einige Monate später schon ihr Bundesliga-Debüt. Mit 18 war sie fester Baustein des Bundesliga-Kaders und Stammspielerin und gab ihr Debüt für das A-Nationalteam.
Mit 18 hatte Lohmann schon erreicht, wovon viele noch viel später träumen. Alle Türen schienen ihr offenzustehen. Lohmann schoss immer mehr Tore, was ihr auch den Spitznamen "Goalmann" von Bayern-Fans einbrachte. Dann kamen ab der Saison 2019/20 die Verletzungen. Lohmann war immer wieder kurz oder lang raus, musste wieder reinfinden. Corona und Rückschläge in der Reha machten es nicht besser.
Wenn Lohmann fit war, war sie fast immer gesetzt und hatte viele tolle Momente. Sie überragte in mehreren Champions-League-Spielen, schoss Traumtore, dribbelte alle aus. Aber viel zu oft konnte sie für ein Spiel, eine Woche, einen Monat, nicht eingreifen. Das nagte auch mental an der 23-Jährigen: "Da will man dann mit der Mannschaft gewinnen und dem Team etwas geben, aber gleichzeitig hat man nach einer Verletzung so viel mit sich selbst zu tun", sagte sie in einem Interview.
So hat sie immer noch den Talent-Aufkleber, anders als etwa die zwei Jahre jüngere Lena Oberdorf: Durch die ständigen Verletzungen musste sich Lohmann immer wieder neu beweisen, konnte sich besonders im DFB-Team nicht mit ihren Mitspielerinnen einspielen. Martina Voss-Tecklenburg ist es wichtig, eine feste Achse mit Spielerinnen zu haben, denen sie vertraut.
Für Lohmann ist es daher schwer, über die Rolle als Ersatzspielerin herauszukommen. Bei der WM wollte sie endlich zu 100% fit sein - und dann kam doch wieder eine Verletzung und sie musstewegen einer Adduktoren-Blessur aussetzen. Dabei könnte sie viele Probleme des DFB-Teams lösen.
Bayerns Trainer Alexander Straus schwärmt gerne von seinen Spielerinnen: Lea Schüller attestiert er das Potenzial, eine der Besten der Welt zu werden, Sydney Lohmann auch. Der Norweger ist vielleicht nicht ganz unbefangen, aber er fasst Lohmanns Stärken gut zusammen.
"Sie kann den ganzen Tag und die ganze Nacht laufen, Räume abdecken, sie gewinnt viele Eins-gegen-eins-Duelle defensiv und offensiv (...) (Sie kann) enge Situationen mit dem Ball auflösen."- Alexander Straus, Bayern-Trainer
Bayern-Trainer Alexander Straus / Mark Wieland/GettyImages
Lohmann hat zunächst alle Voraussetzungen, die eine Top-Spielerin braucht: Ihre Ballbehandlung und Technik sind hervorragend, sie kann gut dribbeln. Auch auf engem Raum kann sie sich gut durchsetzen. Lohmann kann bei Standards mit ihrem guten Kopfballspiel punkten und hat einen starken Schuss.
Was sie aber wirklich ausmacht, sind zwei weitere Fähigkeiten, die dem DFB-Team aktuell fehlen. Zum Einen ist Lohmann, wie Alexander Straus es sagt, eine Lauf-Maschine. Auf ihrer liebsten Position, der Acht, ist sie defensiv deutlich stärker als viele Konkurrentinnen und vernachlässigt ihre Aufgaben nach hinten nicht.
Dabei helfen Lohmann ihre Zweikampfstärke und Physis, die sie Lina Magull und Sara Däbritz voraushat. Gerade gegen Kolumbien hätte das dem DFB-Team geholfen, Magull und Däbritz wurden zu oft abgedrängt. Lohmann wurde in dem Spiel noch geschont, laut Co-Trainerin Britta Carlson war sie ein "Notnagel" und das Trainerteam wollte nichts riskieren.
Gegen Südkorea und danach ist Lohmann aber wieder eine Option, und dazu eine, über die man ernsthaft nachdenken sollte. Denn schon bei dem Auftaktsieg gegen Marokko konnte das Mittelfeld nicht komplett überzeugen, gegen Kolumbien noch weniger. Magull und Däbritz sind beide Edeltechnikerinnen, die immer für ein tolles Tor gut sind und feine Pässe spielen können. Aber zu zweit harmonieren sie nicht perfekt, das war auch schon bei der EM so. Vielleicht sind sie sich einfach zu ähnlich, ein anderer Typ wie Lohmann könnte helfen und statt Däbritz die Acht übernehmen.
Lohmann zeichnet sich durch ihre defensive Arbeit aus, aber vor allem durch ihre Dynamik. Zu oft wirkte das deutsche Spiel statisch und langsam: gegen Kolumbien, davor in der Vorbereitung auch gegen Sambia oder Vietnam. Lohmann ist eine, die die Sache gerne in die eigene Hand nimmt, den Ball nach vorne treibt oder das Tempo anzieht.
Dabei will sie manchmal auch mit dem Kopf durch die Wand, verzettelt sich oder will es mit einer Gegenspielerin zu viel aufnehmen. Durch die vielen Verletzungen fehlte teilweise auch die Konstanz in ihrem Spiel, ihre Entwicklung verlief weniger steil als erwartet. Sie hat noch nicht die Ballsicherheit und Verlässlichkeit, die Voss-Tecklenburg an Däbritz schätzt.
Aber Lohmann ist eine explosive Spielerin, die für die so sehr vermisste Unberechenbarkeit sorgen kann. Mit ihren Läufen nach vorne und Dribblings schafft sie Platz für ihre Mitspielerinnen, aber kann auch selbst den entscheidenden Pass spielen. Nicht umsonst nennen auch ihre Mitspielerinnen sie eine der intelligentesten Akteurinnen auf dem Platz, Laura Freigang traut ihr den Ballon d'Or zu. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber es ist höchste Zeit, dass Lohmann ihre Fähigkeiten auch im DFB-Team unter Beweis stellen darf.