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·1. November 2025
Hilfe! Über diese Bayern kann ich mich nicht mehr aufregen

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·1. November 2025

Als sein Mittelstürmer Harry Kane beim Pokalspiel in Köln die ersten zwei Kopfbälle nicht im Tor unterbrachte, ahnte Max Eberl plötzlich und im Scherz Unheil aufkommen. „Ich sah die Schlagzeile schon vor mir“, witzelte der Sportvorstand des FC Bayern vor Journalisten und titelte schmunzelnd: „Harry Kane in der Krise!“
Die Überschrift musste nie getextet werden. Besagter Harry Kane ließ die Saisontore 21 und 22 folgen und bugsierte seine Mannschaft mit dem 4:1 souverän in die nächste DFB-Pokalrunde. 14 Siege in 14 Spielen: Das hat’s in Europas Top-Ligen noch nie gegeben. Den allersten Rückstand der Saison drehten die Bayern innerhalb von fünf Minuten.
So weit sind wir also schon beim FC Bayern: Die üblichen Verdächtigen veralbern die Journalisten, weil sie nix Böses zu schreiben haben. Man kann ja keiner Mannschaft vorwerfen, dass sie alles gewinnt und dabei auch noch schön und überlegen spielt. So schwer es mir fällt, ich gebe zu: Da kann man nicht meckern. Ich rege mich nicht mal mehr über sie auf.
Früher, ja früher konnte man sich bei Bayern-Seriensiegen noch darüber herziehen, dass ein Bayern-Profi Gegenspieler mit Kabinettstückchen am Ball verulken wollte (Douglas Costa), die Ausführung eines Freistoßes mit Schnick-Schnack-Schnuck aushandelte (Arjen Robben) oder seinen Stammplatz mit Interviews öffentlichkeitswirksam festigte (Manuel Neuer).
Diese Mannschaft aber, die unter Trainer Vincent Kompany durch alle Wettbewerbe marschiert, ist so klinisch rein und erfolgreich, dass man notgedrungen die ZDF-Dokumentation „FC Hollywood“ in der Mediathek inhaliert und ins Schwärmen über die damaligen Streitigkeiten verfällt. Waren das herrliche Zeiten!
Matthäus, Basler, Helmer – da war immer was los. Einmal ohrfeigte der Franzose Bixente Lizarazu sogar Rekordnationalspieler Lothar Matthäus beim Training. Heute sind das Aufregendste, was wir bei seinem Landsmann Dayot Upamecano erleben, dessen aufgerissenen Augen und die Wartezeit auf die Vertragsverlängerung.
Es gibt keinen Ribery, der mehr Zuspiel verlangt. Keinen Robben mehr, der egoistisch jeden Torschuss wagt. Nicht mal mehr einen Sané, der die Zuschauer mit seiner provozierenden Lässigkeit in den Wahnsinn treibt. Stattdessen sehen wir Luis Diaz im Angriff, der zwar Großchancen verschwendet. Der aber gleichzeitig mit fünf Toren und vier Vorlagen 75 Mio. Euro Ablöse rechtfertigt.
In Köln wollte der neue Jungstar Lennart Karl einmal in seinem jugendlichen Übermut ein bisschen Zirkus auf dem Rasen veranstalten. Hacke, Spitze, eins-zwei-drei – das will sein Trainer Kompany aber nicht. Er maßregelte den Teenager sofort an der Kabine. Jede Wette, dass Lennart Karl kein einziges Mal mehr aus der Reihe tanzt?
Die erzieherische Maßnahme wäre übrigens niemals an die Öffentlichkeit gelangt, wenn nicht der ehemalige Bundesliga-Trainer Ewald Lienen einen Hinweis aus der Verwandtschaft erhalten und darüber in seinem Podcast „Sechzehner“ erzählt hätte. Einen Maulwurf in der Umkleidekabine des FC Bayern sucht man vergeblich: Die sind alle ausgestorben.
Die Langeweile, die Bayern München ausströmt, macht die Mannschaft brandgefährlich: Die Spielzüge laufen so mechanisch präzise wie das Innenleben einer Apple Watch. Auf Knopfdruck schießt Harry Kane keine Tore, sondern verteilt die Bälle in der eigenen Spielhälfte wie bei 2:1 gegen Borussia Dortmund. Die Bayern sind dann nicht zu stoppen.
Von der einen Meisterschaft 2024, als Bayer Leverkusen die Schale holte, lasse ich mich nicht täuschen. Seit 2013 diktiert Bayern München, was in der Bundesliga läuft, Jahr für Jahr mit einer Ausnahme. So wird’s auch 2025/26 passieren. Schlimmer noch: Die Bayern-Dominanz steigert sich in regelmäßigen Schüben.
Ich finde keine Argumentation dafür, dass RB Leipzig plötzlich ein Sieger-Gen in sich trägt, Borussia Dortmund keinen Schwächeanfall erlebt oder der VfB Stuttgart in Serie gewinnt. Nie habe ich mir mehr gewünscht, dass ich mich täusche. Die Buchmacher jedenfalls haben die Bayern-Spiele längst abgeschenkt.
Die Wettquoten zum vermeintlichen Top-Spiel gegen Bayer Leverkusen am Samstag sind eindeutig: Wer sein Geld auf den Ex-Meister setzt, bekäme bei einer Bayern-Pleite das Zehnfache – so pessimistisch geht der Marktführer Tipico ins Spiel. Bei einem Bayern-Sieg gibt’s nur ein bisschen mehr als den Einsatz zurück.
Man könnte natürlich die Tristesse im Titelkampf beklagen, dass kein angeblicher Bayern-Jäger schärferes Geschütz auffährt. Aber dafür können die Bayern ja nichts. Ihr Trainer Kompany tritt so gesittet und klug und respektvoll bei Pressekonferenzen auf, dass man ihn nicht nur als grundsympathisch empfindet.
Man wünscht sich dann fast seinen Vorgänger Thomas Tuchel zurück, der seinen Weltschmerz in verwertbaren Schlagzeilen-Häppchen servierte und damit seinem eigenen Vorstand die Agenda für die folgenden Tage diktierte. Das wird Kompany nie passieren. Der Belgier provoziert nicht, er punktet.
Nehmen wir nur mal die Torwartfrage. Als der Schalker Alex Nübel 2020 zu Bayern kam, herrschte sofort Theater mit Torwartlegende Manuel Neuer. Wie oft darf, soll und muss Nübel spielen, um den Generationswechsel einzuleiten? Die Schlagzeilen fielen mir, damals bei Sport1, fast täglich in den Schoß. Und jetzt?
Zum Vergleich: Seit Neuer-Ersatz Jonas Urbig im Januar vom 1. FC Köln, hat er mehr Pflichtspiele beim FC Bayern absolviert (15), als Nübel jemals vorher zu hoffen wagte. Nicht einen Mucks gab’s von Manuel Neuer in dieser Zeit. Vincent Kompany hat die Personalie in einer erschreckenden Professionalität gemanagt.
Oder nehmen wir Thomas Müller. Als ihn der damalige Bayern-Trainer Niko Kovac abservieren wollte, haute er einen PS-Vergleich in die Öffentlichkeit: „Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn man nur 100 schafft.“ Den Machtkampf verlor Kovac mit großem Getöse in den Medien.
Kompany dagegen: Nicht einen Kratzer bekam er ab, als Thomas Müller im Frühjahr keinen Vertrag mehr bekam und nach Vancouver wechselte. Im Gegenteil: Aus Kanada hört man erstens nur Löbliches über Bayern, und beim Heimatbesuchen trainiert er brav auf dem Vereinsgelände des FC Bayern an der Säbener Straße.
Ach, wie gerne würde ich heute Bayern München in den Senkel stellen. Aber ich kann mich nicht mehr aufregen. Das ist keine Kritik, sondern ein Hilferuf: Eine Bundesliga ohne FC Hollywood ist auch nicht mehr, was sie mal war. In der Redaktionen sagten wir, wenn’s still wurde: Kann jemand mal Uli Hoeneß anrufen? Ob er heute ranginge?









































