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·16. Juni 2025
Mit den weltbesten Fans? Boca Juniors wollen Klub-WM rocken!

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·16. Juni 2025
In der Nacht von Montag auf Dienstag greifen die Boca Juniors gegen Benfica in die Klub-WM ein. Die Argentinier werden in den USA von den vielleicht emotionalsten Fans der Welt unterstützt. Zeit also, um auf einen Fußballverein der etwas anderen Art zu blicken.
Wenn man im Herzen von Buenos Aires durch die Straßen von La Boca schlendert, spürt man sofort: Hier atmet der Fußball. Zwischen engen Gassen, Straßenmalereien und alten Fabrikgebäuden erhebt sich ein Ort, der für viele Argentinier viel mehr ist als nur ein Stadion: La Bombonera, die Heimat der Boca Juniors.
Mit der Teilnahme an der Klub-Weltmeisterschaft 2025 rückt der traditionsreiche Verein erstmals seit vielen Jahren wieder verstärkt ins globale Rampenlicht. Doch wer verstehen will, warum Boca so besonders ist, muss tiefer blicken: in die Geschichte und vor allem in die einzigartige Identität eines Klubs, der eng mit der argentinischen Fußball-Seele verwoben ist.
Gegründet wurde der Verein, der in Gänze Club Atlético Boca Juniors heißt, am 3. April 1905 von italienischen Einwanderern im Arbeiterviertel La Boca. Dieser Bezirk ist damals wie heute von Armut, Improvisation, aber auch von Zusammenhalt geprägt. Der Klub entstand aus dem Alltag der Hafenarbeiter und insbesondere aus dem Wunsch, im Fußball eine Stimme zu finden, wo in der Gesellschaft keine vorhanden war. Die Farben Blau und Gelb wählte man damals nach der Flagge des ersten Schiffes, das den Hafen anlief.
Boca legt daher bis heute großen Wert darauf, nie ein Verein der Eliten gewesen zu sein. Er war und soll auch weiterhin als Klub des Volkes in der Öffentlichkeit stehen. Im Gegensatz zum Stadtrivalen River Plate, der sich früh in wohlhabendere Gegenden verlagerte und deren Spieler und Anhänger als „Los Millonarios“ bezeichnet werden, blieb Boca seinen Wurzeln treu. „La mitad más uno“ – also die Hälfte plus eins – nennen sich die Fans selbstbewusst: Sie glauben, die Mehrheit des Landes hinter sich zu haben.
Die legendäre Heimstätte von Boca Juniors, das Estadio Alberto J. Armando, besser bekannt als La Bombonera, ist kein gewöhnliches Stadion. Mit ihren steilen Tribünen, die die Spielfläche fast zu erdrücken scheinen, erzeugt sie eine Atmosphäre, die selbst erfahrene Profis ins Wanken bringt. Hier wird nicht nur Fußball gespielt, hier wird Fußball gelebt!
Foto: Getty Images
Das Stadion bietet Platz für „nur“ 57.000 Zuschauer, doch die Intensität, mit der hier gesungen und geschrien wird, wirkt oft, als würde man vor 200.000 Fans spielen. In der berühmten Kurve, der La 12, stehen die fanatischsten aller Boca-Supporter. Choreografien, Trommeln, Feuerwerk und ununterbrochene Gesänge gehören hier zur Grundausstattung. Gegner sprechen ehrfürchtig von einem „Hexenkessel“, viele Spieler berichten von Gänsehautmomenten schon beim Aufwärmen.
Im Süden von Buenos Aires ist der Fan daher kein Zuschauer – er ist viel eher ein aktiver Bestandteil des Spiels. Für die Bewohner von La Boca ist ihr Verein Lebensinhalt oder sogar Religion. Spieltage sind Rituale, die nicht versäumt werden dürfen, Niederlagen ein kollektives Trauma. In La 12 finden sich Menschen jeder sozialen Schicht, die durch das gelb-blaue Trikot trotz schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse vereint werden.
Oftmals übersteigt die fanatische Liebe zu den eigenen Farben jedoch jegliche Art des gesunden Menschenverstandes. Das jüngste Beispiel: Im April dieses Jahres schieden die Juniors aus der Copa Libertadores aus, nachdem Spieler des Erzrivalen River Plate beim Gang auf das Spielfeld mit einem Reizstoff aus dem Publikum besprüht worden waren. Die River-Stars mussten darauf hin im Krankenhaus behandelt und das Achtelfinalspiel vorzeitig abgebrochen werden. Der Kontinentalverband CONMEBOL verhängte eine Strafe in Höhe von 200.000 Pfund und verdonnerte Boca zu vier Geisterspielen.
Über Zwischenfälle dieser und einer noch viel verheerenden Art ließe sich vermutlich eine beliebig lange Liste fortführen. In Argentinien starben laut der Reformgruppe „Salvemos al Futbol“ zwischen 2000 und 2009 durchschnittlich fünf Menschen pro Jahr bei Gewalt durch Fans. Die meisten Todesfälle ereignen sich aufgrund von Schlägereien zwischen verschiedenen Hooligan-Banden.
Das heftigste aller Hass-Duelle: Bocas Rivalität mit dem Stadtrivalen River Plate. Es ist eine Begegnung, die weit über das Sportliche hinausgeht. Der Superclásico ist ein sozialkultureller Ausnahmezustand, bei dem sich zwei Welten gegenüberstehen: die Arbeiterklasse von Boca gegen die bürgerliche Oberschicht von River. Es ist ein Spiel, das ähnlich wie das Old Firm in Schottland ein ganzes Land lahmlegt, Familien spaltet und die verrücktest möglichen Geschichten schreibt.
Foto: Getty Images
Die Rivalität wurzelt nicht nur im sportlichen Wettbewerb, sondern auch in der Geschichte: Während River Anfang des 20. Jahrhunderts aus La Boca wegzog und sich in den wohlhabenderen Norden von Buenos Aires verlagerte, blieb Boca dem eigenen Viertel treu. Daraus entwickelte sich eine Identität, die über den Platz hinaus Wirkung zeigt und Boca zum rebellischen Gegenentwurf des finanzstarken Nachbarn machte.
Ikonen wie Martín Palermo, Juan Román Riquelme, Carlos Tévez und allen voran Diego Maradona haben genau das verkörpert: Sie waren Identifikationsfiguren, weil sie Herz und Seele für Boca gaben. Trotz ihrer herausragenden technischen Fertigkeiten und der spielerischen Genialität war all diesen Akteuren anzumerken, wie wichtig ihnen die Farben des Vereins waren.
Unter anderem dank seiner Stars gehört Boca mit sechs Copa-Libertadores-Titeln zu den erfolgreichsten Klubs Südamerikas. In diesem Sommer nun wird das argentinische Powerhouse erstmals an der neu formierten Klub-Weltmeisterschaft teilnehmen. Die „Xeneizes“, wie sich die Fans selbst nennen, werden auf der internationalen Bühne also eine völlig neue Aufmerksamkeit erhalten.
Selbiges gilt naturgemäß auch für die Spieler, sich sich beim Turnier in den USA einer breiten Fußball-Öffentlichkeit präsentieren und für Aufmerksamkeit bei den europäischen Top-Klubs sorgen wollen. Junge Talente wie Innenverteidiger Marco Pellegrino (22), Spielmacher Williams Alarcon (24) oder die Flügelstürmer Kevin Zenon (23) und Exequiel Zeballos (23) besitzen definitiv das Potenzial für eine Top-Fünf-Liga.
Beweisen müssen sich einige altgediente Veteranen hingegen nicht mehr. Mit dem langjährigen argentinischen Nationalkeeper Sergio Romero (38) und den Ex-United-Stars Marcos Rojo (35) und Ander Herrera (35) verfügt Trainer Miguel Rangel Russo über einige Akteure von früherem Weltklasse-Format. Sein mit Abstand bekanntester Spieler: Edinson Cavani (37). Der Uruguayer geht seit 2023 für Boca auf Torejagd und wird die Mannschaft bei der Klub-WM als Kapitän anführen.
Foto: Getty Images
In einer Vorrundengruppe mit dem FC Bayern, Benfica und dem neuseeländischen Außenseiter Auckland City FC schielen die Südamerikaner derweil auf den zweiten Platz, der zu einer Teilnahme am Achtelfinale berechtigen würde. Damit könnte sich Boca zusätzlich zu jedem Sieg, der rund zwei Millionen Euro einbringt, eine fette Prämie in Höhe von 7,5 Millionen Euro sichern – für den Arbeiterklub eine große Chance!
Denn trotz seiner leidenschaftlichen Fans und der besonderen soziokulturellen Identität sind die Juniors wie jedes andere Team auf die im modernen Fußball einzig gültige Währung angewiesen: auf das große Geld!