Vertikalpass
·19. September 2024
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·19. September 2024
Ich weiß nicht, wie es euch geht: Aber ich schaue immer noch Video-Schnipsel an vom Spiel, vom Support vor Ort. Lese alles mögliche von Süddeutsche über Marca bis Gazzetta dello Sport. Und bin immer noch schwer beeindruckt vom Auftritt des VfB in Madrid.
Es war ein Auftritt in einer Mischung aus Respekt und Unverschämtheit, als fragten sich Trainer und Spieler: “Real? Who the fuck is Real?” Mit dieser Attitüde sind auch die Fans ins Stadion gegangen. Sich der Größe des königlichen Clubs, des Stadions und des Spiels durchaus bewusst, ohne sich dabei allerdings klein zu fühlen. Auch wenn das Stadion architektonisch atemberaubend sein soll, die Stimmung des heimischen Publikums ist es ganz und gar nicht.
Mannschaft und Fans des VfB passen zu einander wie Arsch auf Eimer. Da werden sich gegenseitig die Pässe zugespielt. Erst nehmen die Supporter die Stadt ein, dann das Bernabeu. Dann kommt die Mannschaft und macht dasselbe auf dem Rasen. Wir haben im Spiel beim spanischen Rekordmeister gesehen, dass der VfB Stuttgart definitiv in der Champions League mithalten kann – wenn er seiner Linie treu bleibt:
Eher einen Schritt nach vorne zu machen als zurück.
Lieber in den Druck hinein spielen statt hinten rum und auf Sicherheit zu gehen.
Eher spielerische Lösungen suchen, als den Ball hoch und weit zu schlagen, um mal kurz durchatmen zu können.
Natürlich haben wir auch gesehen, dass die Real-Spieler individuell auf einem komplett anderen Level unterwegs sind. Aber auch, dass der VfB als leidenschaftlich spielendes und verteidigendes Kollektiv dagegenhalten konnte.
Unter allen, die sich in Madrid hervorragend präsentiert haben, fielen manche besonders auf:
Zunächst die Fans. Es schien so als ob in der Stadt nur noch Schwäbisch gesprochen wurde. Und sicher ist, dass die Bewohner Madrids jetzt alle Stuttgart Songs auswendig kennen.
Dann natürlich Deniz Undav, der in erster Linie sein loses Mundwerk vor und nach dem Spiel präsentierte. Aber auch auf dem Feld Eindruck hinterließ. Selbstverständlich mit seinem Tor, aber auch mit seinem Hintern, an dem nicht nur Daniel Carvajal zerschellte. Schließlich mit seiner Lässigkeit und Spielintelligenz, unter anderm zu sehen bei der brillanten Vorbereitung von Angelo Stillers Großchance.
Was soll ich noch zu Enzo Millot sagen? Wenn er Pässe spielt, gehen gleich drei Sonnen auf! Seine Ballführung: einfach Prime! Druckresistenz, Übersicht, Gespür für Räume – man merkt: Die Champions League ist die Bühne, auf der er sich wohl fühlt. Man muss fast froh sein, dass Real ihn nicht gleich weggekauft hat.
Ich gehörte vor einem Jahr zu denen, die Jamie Leweling für keinen guten Transfer hielten. Von Fürth zu Union und dort nur auf der Bank – das soll ein VfB-Spieler sein? Ja, und nicht nur das: Er ist ein Champions League-Spieler! Bewiesen hat er das gegen Real und er schaut dabei immer noch so, als ob er es selbst nicht glauben könnte.
Unglaublich ist die Entwicklung des VfB unter Sebastian Hoeneß, zigtausendfach geschildert mit dem Weg von Platz 18 ins Bernabeu. Die Süddeutsche Zeitung nennt ihn „Europas neuen Modetrainer“. Womöglich war auch bei ihm der Gedanke: “Real? Who the fuck is Real?” als er sich dazu entschied, seine Mannschaft wie immer spielen zu lassen. Sich nicht groß anzupassen an den großen Gegner. Selbst das Spiel bestimmen zu wollen. Eine Visitenkarte abzugeben von seiner Philosophie, von seiner Art wie er Fußball denkt. Zu zeigen, wofür er und der VfB stehen.
Dass ihm das gelungen ist, zeigt die Anerkennung, die dem VfB entgegen schlägt: von Antonio Rüdiger, Jude Bellingham, von ehemaligen Real-Legenden wie Raul, Emilio Butrageno und Jorge Valdano, von allen nationalen und internationalen Medien.
Bei Jeff Chabot war klar, dass er sich von niemand beeindrucken lässt.
Der VfB hat wichtige Spieler verloren, ist jedoch trotzdem in der Lage, sich auf Augenhöhe mit dem Besten der Welt zu messen. Das sollten Hoeneß und seine Mannschaft mit in die nächsten Spiele der Champions League nehmen. Als nächstes kommt das Heimspiel gegen Sparta Prag, das immerhin am ersten Spieltag RB Salzburg mit 3:0 schlug.
Aber alle sollten dies vor allem mitnehmen in die Bundesliga. Das Spiel in Madrid brachte keine Punkte, sondern nur Anerkennung und Respekt. Das wäre im Liga-Alltag zu wenig – vor allem wenn es gegen Borussia Dortmund geht, die in Stuttgart komischerweise niemand besonders gut leiden kann. “BVB? Who the fuck is BVB?”
Apropos Dortmund: Waldemar Anton hätte den VfB am Dienstag als Kapitän auf den heiligen Rasen des Estadio Santiago Bernabéu führen können. Stattdessen saß er in Brügge eine Stunde auf der Bank bevor er eingewechselt wurde.
Zum Weiterlesen: Unser Spielbericht: Real Madrid ist eben Real Madrid.
„Die Reife des Auftritts legt den Gedanken nahe, dass Hoeneß’ VfB alles andere als eine Eintagsfliege ist“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Bild: Angel Martinez/Getty Images