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·20. Dezember 2025

Sunderland ´til they win

Artikelbild:Sunderland ´til they win

Von Uli Hebel

St. Mary´s Gemeinde mitten in einer der verlassensten Gegenden Englands. Die Menschen, die stellvertretend für das abgehängte Großbritannien inmitten des Brexits für sämtliche Dokumentationen herhalten müssen, sind zuhauf in der Kirche. Religion und der Fußball ist es, was die Einwohner Sunderlands überleben lässt. Und nicht zwingend in der Reihenfolge. Pfarrer Marc Lyden Smith ruft in seiner Predigt Gott an, den Spieler des frisch gewordenen Zweitligisten AFC Sunderland „Selbstvertrauen und einen zuversichtlichen Geist“ zu schenken. Denn der Erfolg des Vereins führe zum Erfolg und der Blüte des Ortes. Nun, manches kann auch ein Allmächtiger nicht bewirken.


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Im Dezember 2018 läuft „Sunderland ´til I Die“ auf Netflix an. Die Idee war es, den Premier-League-Absteiger hautnah beim Wiederaufstieg zu begleiten. Es wurde ein Abstieg in die dritte Liga. Im April 2020 – mitten in der Pandemiehochzeit – dann die zweite Staffel. Das Wiederaufrichten und der sofortige Wiederaufstieg in die sog. Championship der EFL solltefür einen Verein, der zuvor eine Dekade in der höchsten Klasse spielte, doch wohl machbar sein. Motive: Bekanntheitsgrad erhöhen und Erfolge dokumentieren. Was es wirklich wurde: Das Zusehen bei einem entstellenden und nicht enden wollenden Autounfall. Immerhin das mit der Bekanntheit hat funktioniert. Die ganze Welt lachte über Sunderland. Nach der ersten Staffel mag es Mitleid gewesen sein. Nach der zweiten waren es ausschließlich Häme. 

Allmählicher Wiederaufbau

24.5.2025. Sunderland gewinnt das sogenannte „richtest game of football“ und ist nach acht langen Jahren zurück in der Premier League: „Wir sind jahrelang nicht von einem Trip gekommen, den niemand jemals wollte“, erzählte Malcolm Dugdale, Sunderland-Blogger bei Rokerreport.com meinem Bruder passend, der das Finale gegen Sheffield United für SKY kommentierte. Die Helden sind im Schnitt 24,3 Jahre alt. Siegtorschütze Tom Watson, frisch 19, sollte später für 12 Millionen Euro zu Brighton wechseln. Andere Teil des neuen Kerns in der Erstligamannschaft sein. Dan Ballard, Trai Hume, Eleizer Mayenda. Sie spielen und kämpfen, wie das Publikum es liebt. Ob zuhause im „Stadium of Light“ oder eben im sehr viel glänzenderen Wembley – in London; Ort der politischen Abneigung für viele ihrer Anhänger. 

Was in der Zwischenzeit passiert ist, hat nicht der liebe Gott gebracht. Zumindest nicht alleine. 2020 übernahm Kyril Louis-Dreyfus, damals 23 Jahre alt, den Verein. Es ist keine sofortige Erfolgsgeschichte. Es ist zunächst gar keine Erfolgsgeschichte. KLD, wie sich der Sohn des ehemaligen Geschäftsführers eines herzogenauracher Sportartikelherstellers Robert, selbst abkürzt sieht erstmal drei weitere Jahre Drittligafußball. Das Stadion hatte runde 20 Jahre nach Errichtung die besten Zeiten hinter sich – ein Sinnbild für den Verein. Marode Infrastrukturen, mittelmäßige und satte Spieler. Kein Trainer, der etwas beizutragen scheint. Niemand interessiert sich mehr groß für Sunderland. Sie lachen nicht einmal mehr über die „Black Cats“. Die Stadt ist auf den Knien. 

Schwarze Katzen bringen doch Glück

Die Einwohner an der Tyne-and Wearside können mit Schlägen ins Gesicht umgehen. Sie haben eher Schwierigkeiten mit Hoffnung. Diese gab es 2020. Alleine dadurch, dass die alten, zum Teil überforderten Besitzer endlich weg waren – unterhaltsam festgehalten bei „Sunderland ´til I die“. Zwar ist in den Play-offs zum Zweitligaaufstieg im Halbfinale Schluss – so war es doch die erste positive Saison nach Jahren des Fallens. 2021 dann klappte es. Ab Sommer 2023 dann wirkte Louis-Dreyfus dann so richtig. Unter anderem kam Trai Hume, heute Stammspieler in der Premier League, für 170.000 Euro Ablöse. Sunderland verpflichtete fortan junge, entwicklungsbereite Spieler und spielte nach und nach ansehnlicher. In Kristjaan Speakman kam schon 2020 ein Sportdirektor, der diesen Ansatz allmählich einarbeitete. KLD frischte das medizinische Personal auf, küsste die alte „Academy of Light“ wieder wach und behob all die Stadionthemen in seinen fünf Wirkungsjahren. Auch nach Premier-League-Aufstieg sind sie ihrer Philosophie in Sunderland treu geblieben – nur eben auf die neuen Bedürfnisse angepasst. In Florent Ghisolfikam ein international erfahrener (u.a. AS Rom, Nizza) Kaderplaner dazu, vorher schon der in England übliche Perfomance Manager Shad Forsythe – genau, der, der unter Klinsmann alsGuru mit den Gummibändern bekannt wurde.

Nummer 1 im Nord-Osten

Im Dezember 2025 ist Sunderland Achter in der Premier-League-Tabelle. Nach einem Sieg, zuhause, gegen den absoluten Erzrivalen Newcastle United im berüchtigten Tyne-and Wear-Derby, hat Sunderland 26 Punkte in der Tabelle. Nach 16 Spielen. Noch 10 Punkte bis zu der Marke, die in den letzten zehn Jahren immer zum Klassenerhalt reichte. Auch, wenn durch den Newcastle-Sieg das wichtigste Saisonziel ohnehin schon erreicht ist. Das Team von Regis Le Bris war in nahezu allen Spielen kompetitiv. Auch gegen Newcastle, immerhin Champions-League-Teilnehmer, zeigen sich die „Black Cats“ von Beginn an mutig. Teils mit sechs Angreifern in letzter Linie kaufen sie den passiven Magpies von Beginn an klassisch den Schneid ab. Eins gegen eins über den ganzen Platz. Eines der unverkennbaren Merkmale Sunderlands in der laufenden Saison. Dazu zählen auch die Direktheit; kaum Ballbesitz – aber 11 % aller gespielten Pässe nach vorne. Die Übergänge des offensiven 4-3-3 in das defensive 5-4-1 sind ein Traum für jeden Taktiktwitterer. Und natürlich die 50-Meter-Carries in fünf Sekunden oder weniger eines unglaublichen Mittelfeldcasts. Quasi-Jobe-Bellingham-Ersatz Habib Diarra sieht nach einem Vielfachen der bezahlten 30 Millionen Pfund Ablöse aus. Noah Sadiki ist die Wahrheit. Ein Hybridsechser- bis Achter, den die ganze Welt Sommer für Sommer sucht. Und nebenbei der Spieler, der mich mehr denn je an N´Golo Kante erinnert. Und natürlich die transformativste Fachkraft der letzten Jahre im Fußball: Granit Xhaka. Wo Granit Xhaka spielt, verbessern sich offensichtlich die Aussichten. Nur ein Spieler gewann mehr Zweikämpfe in der Premier League – Nordi Mukiele. Spielt bei Sunderland. (Dan Ballard ist Nummer vier, Trai Hume Nummer fünf). Die meisten abgespulten km selbstredend. (Sadiki hat übrigens die zweitmeisten). Xhaka, der dem Schweizer Dreyfußschon vor Jahren von einem gemeinsamen Freund vorgestellt wurde, hat eine unvergleichliche Aura. Er ordnet, dirigiert, treibt an, gewinnt. Eine Mannschaft, die so auftritt, wie der heimische Pfarrer es sich schon vor Jahren vom Himmel gewünscht hat. 

Licht – nicht nur im Stadion

Das sportliche Department unter dem inzwischen 28-jährigen Dreyfus überzeugt. Auch nachhaltig. Die aktuellen Erfolge sind keineswegs über Nacht passiert. Sie fußen auf einer Reihe von kontinuierlich gelebten Entscheidungen. In jedem Department. Von der Organisation bis hin zum Management. Nicht einmal die in „Sunderland ´til I Die“ kultgewordene Kyrotheraphiekammer ist noch im Einsatz. Regis Le Bris, Doktor in Physiologie und Biomechanik, ist seit Sommer 2024 Trainer. Mit ihm kommt nicht nur eine kontrollierende Figur – sondern endlich Kontinuität. Er ist der erste Übungsleiter seit Jack Ross in der Saison 18/19 – natürlich dokumentiert in der Netflix-Doku – der eine ganze Saison überlebte. Seine Identifikation dauerte fast vier Monate. Damals wurde die Chaos-Theorie längst wieder hervorgeholt. Zu Unrecht, wie wir nach 1,5 Jahren wissen. Eine Art Überzeugung, die seit Jahren bei Sunderland nicht zu erkennen war. Bis auf das jubelnde Department, natürlich. Selbst zu schlechtesten Zeiten Die Menschen an der Tyneside gelten als die passioniertesten Sportfans der Welt – auch, weil sie wenig anderes haben. Das „Stadium of Light“ hat die Kraft, Spiele zu verändern. 

Inzwischen bemitleidet niemand mehr den AFC Sunderland. Aus den Ausgelachten wurde eine Truppe, für die viele Sportinteressierte ein Lächeln übrighaben. Die Engländer nennen ein solches Team oft einen „second favourite“, also eine Art Crush auf ein Team abseits des eigenen Lieblingsvereins. Seit Sommer wurde ich zu keinem Team der Liga öfter gefragt, als zu Sunderland. Woher der Erfolg kommt? Können die da oben bleiben? Und: War das vorherzusehen? Nun, die Vorhersehung ist dann doch eher die Sache von Father Lyden-Smith. Ob es auch Kontinuität in der St. Mary´s Gemeinde gibt und er noch heute dort zu den „Black Cats“ predigt, ist mir allerdings nicht überliefert. Was überliefert ist. In Sunderland sind Fußball und Religion etwas Elementares. Vielleicht sogar dasselbe.

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