MillernTon
·21. Dezember 2024
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Dank einer taktisch gut eingestellten Mannschaft, einer überragenden kämpferischen Leistung und etwas Glück gewinnt der FC St. Pauli mit 1:0 beim VfB Stuttgart.(Titelfoto: Alexander Hassenstein/Getty Images/via OneFootball)
Was. Für. Ein. Jahresabschluss! Es war sicher nicht das beste Spiel des FC St. Pauli in der bisherigen Bundesliga-Saison. Doch endlich lief ein Spiel dann auch mal in Richtung des FCSP, man fing sich eben nicht das Gegentor und ging stattdessen selbst in Führung. Und auch, wenn weit nicht alles gelang – Chancen wurden zugelassen, eigene Großchancen nicht genutzt – ging der FC St. Pauli als Gewinner vom Platz. Nach all den Spielen, in denen es eben in genau die andere Richtung lief, ist dieser Sieg in Stuttgart eine Wohltat gewesen und der verdiente Lohn für die aufopferungsvolle Arbeit in diesem Spiel, aber auch jene in den letzten Monaten.
Eric Smith konnte die Reise nach Stuttgart nicht antreten, fehlte dem FC St. Pauli somit in der Innenverteidigung. Immerhin konnten Scott Banks und Adam Dźwigała nach überstandenen Infekten mitreisen, waren beide Teil des Kaders. Somit gab es zwei Veränderungen in der Startelf des FCSP: Morgan Guilavogui ersetzte Danel Sinani auf der offensiven Außenbahn und Lars Ritzka kam für Smith in der Innenverteidigung in die Anfangsformation.
Denkbar war vor Anpfiff auch eine Umstellung auf eine Viererkette, aber der FC St. Pauli hielt an seiner 3-4-3-Grundformation fest. Hauke Wahl rückte von der rechten Seite ins Abwehrzentrum auf die Smith-Position. David Nemeth wechselte innerhalb der Innenverteidigung von links nach rechts und Ritzka übernahm die freie Position links.
Beim VfB Stuttgart gab es eine Veränderung in der Startelf: Atakan Karazor fehlte aufgrund eines Infekts, Yannik Keitel besetzte die freie Position auf der Doppelsechs. Das Team von Sebastian Hoeneß agierte nominell in einem 4-2-3-1, aber diese Formation war so dermaßen fluide, dass man sie auf dem Spielfeld so gut wie nie zu sehen bekam.
Aufstellung beim Spiel VfB Stuttgart gegen FC St. Pauli:
VfB: Nübel – Vagnoman, Rouault, Chabot, Mittelstädt – Keitel, Stiller – Millot, Führisch – Demirovic, Woltemade
FCSP: Vasilj – Nemeth, Wahl, Ritzka – Saliakas, Irvine, Boukhalfa, Treu – Guilavogui, Eggestein, Afolayan
Vor der Partie machte Alexander Blessin gar keinen Hehl daraus, wie groß diese Aufgabe gegen den VfB Stuttgart sein wird. Aber er betonte eben auch, dass man einige Probleme beim VfB ausgemacht habe. Eines wollte er auch aktiv heraufbeschwören: „Wir wollen sie mit unserem Pressing zu Fehlern zwingen“. Wie gut das besonders in der ersten Halbzeit funktionierte, damit dürfte er vermutlich selbst nicht gerechnet haben.
Der VfB Stuttgart zeigte sich die gesamte Partie über sehr kreativ im Spiel mit dem Ball. Oft ließ sich einer der beiden Sechser in die Innenverteidigung fallen und sorgte so dafür, dass die beiden Außenverteidiger ihre Position im Aufbau verlassen konnten. Das taten Vagnoman und Mittelstädt dann auch regelmäßig. Vagnoman zog es zumeist sehr hoch auf der rechten Außenbahn, was der FC St. Pauli mit seiner Fünferkette gut kontrollieren konnte. Mehr Probleme bereiteten da eher die Bewegungen von Mittelstädt, der oft in den Halbraum hinter der ersten Pressinglinie des FCSP einlief, wodurch diese einige Male überspielt werden konnte.
Auffällig war auch, dass Angreifer Nick Woltemade eine sehr flexible Rolle vorne in der Offensive spielte, sich oft eher Richtung Außenbahn bewegte, weniger – wie er es sonst oft tut – alleine in Richtung Zehnerposition. Sturm-Partner Ermedin Demirovic zeigte ganz ähnliche Bewegungen. Beide versuchten vor allem in der ersten Halbzeit, ihre Gegenspieler (Ritzka und Nemeth) aus der Kette herauszuziehen – durch Fallenlassen in den linken und rechten offensiven Halbraum. Durch diese Bewegungen wollte der VfB Stuttgart die Räume hinter Nemeth beziehungsweise Ritzka öffnen, die dann von Enzo Millot und Vagnoman auf der einen und Chris Führich auf der anderen Seite hätten attackiert werden können. Der FC St. Pauli blieb in diesen Situationen aber cool und dadurch kompakt, ließ sich nicht locken. Er tat also genau das, was Blessin auf der PK vor dem Spiel von seinem Team forderte.
Der VfB Stuttgart war also sehr kreativ im Offensivspiel und kam so während der gesamten Partie immer wieder zu Torgelegenheiten. Da kann man sich drüber ärgern, dass ihnen das gelang, aber es ist einfach Wahnsinn, wie gut die sind in der Offensive. Aber gut bedeutet nicht, dass es auch fehlerlos ist. Und da kommt der FC St. Pauli ins Spiel…
Denn direkt in den ersten Spielminuten gelang es dem FCSP, entweder direkt in der Hälfte der Stuttgarter oder in Umschaltmomenten gefährlich zu werden. Nicht nur gelang es, auch in tiefer Verteidigung und nach guten Aktionen der Stuttgarter, kompakt zu bleiben, nach Ballgewinnen schien das Team ziemlich genau zu wissen, wie und welche Räume man bei den Stuttgartern findet und bespielen muss. Ein erstes Ausrufezeichen setzte ein tiefer Ball auf Guilavogui, wenig später (8. Minute) gewann der FC St. Pauli den Ball tief in der Hälfte der Stuttgarter und der folgende Abschluss von Eggestein sauste haarscharf am Pfosten vorbei.
Nach rund einer Viertelstunde setzten sich die Stuttgarter dann ein wenig in der Hälfte des FC St. Pauli fest. Für die FCSP-Spieler begann die erste von einer ganzen Reihe von Spielphasen, in denen sie leiden mussten. Auffällig war aber bereits bei den beiden Chancen von Millot (13. und 18. Minute), dass der FC St. Pauli vielbeinig im eigenen Strafraum unterwegs war. Diese Situationen sollten sich im weiteren Spielverlauf einige Male wiederholen. Der VfB Stuttgart hatte am Spielende unfassbare 59(!) Ballkontakte im Strafraum des FC St. Pauli – eine Anzahl, die ich bei einem Spiel mit Beteiligung des FCSP noch nie gesehen habe.
Mitten in diese Druckphase der Stuttgarter setzte der FC St. Pauli dann die perfekte Antwort: Das Team positionierte sich im Pressing sehr hoch und der VfB machte in Person von Innenverteidiger Rouault einen folgenschweren Fehler. Boukhalfa fing den schwachen Pass rund 30 Meter vor dem gegnerischen Tor ab. Die folgenden Flanke von Afolayan zu Guilavogui konnte zwar geklärt werden, allerdings setzte Irvine nach und produzierte per Knie eine Bogenlampe zu Eggestein in den Strafraum. Der Angreifer nahm den Ball runter, wie sonst nur Mütter ihre Neugeborenen liebkosen und netzte zur Führung des FC St. Pauli ein – BÄM!
Die spielentscheidende Szene: Johannes Eggestein erzielt das 1:0 für den FC St. Pauli gegen den VfB Stuttgart //
(c) Alexander Hassenstein / Getty Images / via OneFootball
Fast war ich geneigt zu denken: „Scheiße, jetzt geht es in diesem Spiel tatsächlich um etwas!“ Denn wirklich viele Chancen durfte sich der ersatzgeschwächte FC St. Pauli vor der Partie eigentlich nicht ausrechnen. Nun lag man aber plötzlich in Führung. Am Spiel selbst änderte dieser Umstand wenig: Der VfB Stuttgart arbeitete sich weiterhin energisch und vielfältig vor das Tor des FC St. Pauli. Nikola Vasilj hätte eigentlich bereits in der 25. Minute eine Verwarnung für Zeitspiel erhalten können. Und allein das zeigte bereits: Der FCSP wollte an diesem Samstag diese Führung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen. Bis zur Halbzeitpause kam der VfB zwar noch zu ein paar Gelegenheiten, doch anders als in vielen FCSP-Spielen zuvor führte keine davon zum Ausgleich. Es ging mit dem knappen 1:0 in die Pause.
Und es war völlig klar, dass der VfB Stuttgart in diesem zweiten Abschnitt noch viel energischer daran arbeiten würde, zum Torerfolg zu kommen. In die zweite Hälfte starteten sie mit einer kleinen Umstellung: Demirovic und Woltemade standen nun viel enger und boten sich viel seltener für Anspiele in den Halbräumen an. Lösungen, um ins letzte Drittel zu kommen, fand der VfB trotzdem gegen den FC St. Pauli, der nun häufiger eher ins 5-4-1 fiel, als im 5-2-3 zu verteidigen. Ein paar Zahlen zur Dominanz des VfB gefällig? 223 erfolgreiche Pässe spielten die Stuttgarter im zweiten Abschnitt in der Hälfte des FCSP, der wiederum insgesamt auf gerade einmal 75 kam.
Doch der FC St. Pauli blieb auch seinereits torgefährlich. Denn umso energischer der VfB Stuttgart wurde, und das nahm minütlich zu, umso vielversprechender waren die Umschaltmomente des FCSP. Klar, hinterher kann man immer eine Story erzählen und erklären, warum etwas so lief, wie es lief. Aber es war sicher nicht nur das konzentrierte und leidenschaftliche Verteidigen des FC St. Pauli, sondern auch die stete Gefahr in Umschaltmomenten, die dafür sorgte, dass er diese Partie gewann. Denn selbst wenn kein weiteres Tor des FCSP auf die Anzeigetafel kam, so konnte der VfB aufgrund der gefährlichen Konter des Gegners nie komplett ins Risiko gehen.
The Art of Zweikampf mit Philipp Treu und Josha Vagnoman
// (c) Alexander Hassenstein / Getty Images / via OneFootball
Und bereits früh im zweiten Abschnitt gab es die große Gelegenheit für den FC St. Pauli, die Führung auszubauen: Dapo Afolayan wurde an der Strafraumkante von Gegenspieler Chase umgecheckt. Die einzige Frage, die der VAR beantworten musste, war, ob das Foul im Strafraum stattfand. Das war sicher knapp, aber es gab den Elfmeter für den FCSP. Eggestein nahm sich der Sache an, doch Nübel ahnte das Vorhaben des FCSP-Angreifers und blieb beim Schuss in die Mitte einfach stehen – Chance vertan.
Somit musste sich der FC St. Pauli weiterhin mit der nur knappen Führung im Rücken voll und ganz auf die Verteidigung des eigenen Tores konzentrieren. Dabei stand das Team insgesamt etwas tiefer als in vielen Spielen zuvor. Vermutlich, weil man dem VfB so kompakter in der wirklich gefährlichen Zone begegnen konnte. Satte zwölf Abschlüsse der Stuttgarter konnten von FCSP-Spielern geblockt werden und ich bin nicht sicher, ob ich die Ballannahme von Eggestein vor dem 1:0 oder die Grätschen von Philipp Treu (und vielen anderen Spielern) schöner fand. Immer und immer wieder bekam der FC St. Pauli im eigenen Strafraum doch noch ein Körperteil dazwischen, verhinderte so etliche Torsituationen.
Und mit jeder Minute, die diese ohnehin ewig lang wirkende zweite Hälfte andauerte, wuchs die Gewissheit, dass der FC St. Pauli diese Partie tatsächlich gewinnen kann (gefallen hat mir übrigens Sinani als ballsicherer Spieler im Offensivzentrum – das war absolut nötig, dass vorne jemand ist, der technisch versiert die Bälle verteilen konnte). Afolayan hätte in der 80. Minute die Partie bereits entscheiden können, scheiterte aber am Pfosten. Doch das machte nichts, denn der VfB kam nicht mehr zum Ausgleich. Die extreme Laufstärke des Teams und die Bereitschaft, sich in jeden Ball reinzuwerfen, sie machten sich endlich mal bezahlt. Das Momentum stand dieses Mal auf Seiten des FCSP und so konnte nach vielen guten Leistungen gegen Top-Teams endlich mal eines dieser Spiele gewonnen werden.
Um zu verstehen, wie wichtig dieser überraschende Erfolg in Stuttgart ist, reicht ein Blick auf die Tabelle: Holstein Kiel gewann zu Hause deutlich gegen den FC Augsburg, wäre also bis auf drei Punkte an den FC St. Pauli herangerückt. Da die TSG Hoffenheim die Partie gegen Mönchengladbach verlor, zog der FCSP zum psychologisch wichtigen Zeitpunkt kurz vor der Winterpause an der TSG vorbei und wird nun auf Platz 14 überwintern. In Augsburg (16 Punkte) und Berlin (17 Punkte) dürfte der Blick auf die Tabelle ebenfalls Abstiegssorgen auslösen. Aus Sicht des FC St. Pauli also eine gute Ausgangslage, um in die zwar kurze, aber wohlverdiente Pause zu gehen.
Immer weiter vor!// Tim
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