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·18. März 2025
Vier Stürmer, ein Ziel: Wer wird Nagelsmanns Neuner für 2026?

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·18. März 2025
Die deutsche Stürmersituation der vergangenen zehn Jahre ist wahrlich keine Erfolgsgeschichte. Seit dem Rücktritt von Miroslav Klose sucht der DFB auf dieser Position nach einer dauerhaften Lösung. Eine endgültige Antwort auf dieses Problem ist auch 2025 noch immer nicht gefunden. Doch zumindest gibt es so viele Kandidaten wie schon lange nicht mehr.
Erst im vergangenen Sommer wurde bei der Heim-Europameisterschaft heftig über die Besetzung des deutschen Sturmzentrums debattiert. Zahlreiche Fans und Experten forderten den „echten Neuner“ Niclas Füllkrug, letztlich spielen tat der gelernte Zehner und Edeltechniker Kai Havertz. Der 25-Jährige machte es alles andere als schlecht, riss immer wieder Lücken für seine Mitspieler und verarbeitete Zuspiele, die ein Angreifer des Profils Füllkrug qua seiner technischen Konstitution niemals hätte verarbeiten können.
Und doch war Havertz keineswegs unumstritten. Der schlaksige 1,93m-Mann, der beim FC Arsenal ebenfalls in vorderster Front zum Einsatz kommt, ließ zahlreiche Großchancen ungenutzt und erzielte während des gesamten Turniers kein einziges Tor aus dem Spiel heraus. Die DFB-Stürmerdiskussion wurde seitdem um ein weiteres Kapitel reicher und kann auch elf Jahre nach dem Rücktritt von Weltmeister und Rekordtorschütze Miroslav Klose noch immer nicht zu den Akten gelegt werden.
Dennoch herrscht unter der Fittiche von Bundestrainer Julian Nagelsmann ordentlich Bewegung im Angriff. Nach dem Ende der Heim-EM und dem damit verbundenen Rücktritt der Mittelfeld-Granden Toni Kroos und Ilkay Gündogan rückte Havertz eine Position weiter nach hinten und kombiniert nun an der Seite von Florian Wirtz und Jamal Musiala im offensiven Mittelfeld. In den sechs Nations-League-Duellen des vergangenen Länderspielhalbjahres setzte Nagelsmann mit Ausnahme der letzten Partie gegen Ungarn immer auf einen Neuner der klassischen Fußball-Schule. Dreimal stürmte Newcomer Tim Kleindienst, je einmal Niclas Füllkrug und Deniz Undav.
Mit Ausnahme des verletzten Füllkrug haben es diese Akteure auch in das Viertelfinal-Aufgebot gegen Italien geschafft. Dazu gesellt sich der 24-jährige Jonathan Burkardt, der im vergangenen Oktober seine ersten beiden Joker-Einsätze im DFB-Dress feierte. Nagelsmann steht also eine Vielzahl an Stürmern traditioneller Prägung zur Verfügung – das war in den letzten Jahren keinesfalls immer so!
Theoretisch hätte der Bundestrainer mit Nick Woltemade sogar eine weitere hochinteressante Option gehabt, doch der Youngster des VfB Stuttgart wird vorerst in den Reihen der U21-Auswahl weilen. „Im Moment, in der Aktualität, hätte er es sich sicher verdient gehabt, dabei zu sein. Aber wir haben ja auch noch eine U-21-EM im Sommer, in der Nick eine tragende Rolle spielen kann und wird höchstwahrscheinlich“, erklärte Nagelsmann in einer Videokonferenz mit Medienvertretern.
In naher Zukunft wird sich das Duell im deutschen Sturm also zwischen Kleindienst, Undav, Burkardt und einem vermutlich ab April wieder genesenen Füllkrug entscheiden. Aber wer hat aktuell die besten Karten?
Blickt man auf die abgelaufenen Partien, so dürfte die Antwort ganz klar auf Tim Kleindienst fallen. Der gebürtige Brandenburger befindet sich seit quasi drei Jahren in einer Art Dauerhoch, schoss den 1. FC Heidenheim erst in die Bundesliga und dann in die Conference League. Auch bei Borussia Mönchengladbach trifft Kleindienst, wie er will, steht bei 15 Saisontoren und fünf Assists. Im Oktober belohnte ihn Nagelsmann mit einer Nominierung in die Nationalmannschaft, wo Kleindienst ebenso ohne Umschweife funktionierte. Dreimal hintereinander stand der 29-Jährige in der Startelf und erzielte dabei zwei Tore. In Abwesenheit von Füllkrug scheint sich der Spätstarter zum DFB-Stürmer Nummer 1 aufgeschwungen zu haben.
(Foto: Getty Images for DFB)
Kleindienst verfügt neben seiner Stärke als Abschluss- und Kopfballspieler über herausragende Qualitäten im Spiel gegen den Ball. Der Routinier arbeitet enorm hart und zeichnet sich immer wieder durch starke Momente im Gegenpressing aus. So sehr, dass Nagelsmann im vergangenen Herbst sogar von ihm forderte, „ökonomischer“ zu spielen. „Er hatte drei, vier top Balleroberungen, aber es bringt ja nix, wenn du nicht mehr die Kraft hast, Tore zu machen“, erklärte der Bundestrainer nach dem 7:0-Sieg über Bosnien-Herzeowina mit einem süffisanten Lächeln. Und dennoch: Kleindienst hat im gehobenen Fußballer-Alter aussichtsreiche Chancen, zumindest im Hinblick auf die WM 2026 zum gesetzten Stammspieler zu werden.
Jonathan Burkardt dagegen ist ein Versprechen für Zukunft und Gegenwart. Der 24-Jährige gilt schon seit einigen Jahren als herausragendes Talent, wurde jedoch immer wieder von heftigen Verletzungsproblemen zurückgeworfen. Auch in dieser Saison ist Burkardt nicht gänzlich frei von Blessuren und verpasste auf diesem Wege unter anderem die Länderspielpause im November. Trotzdem spielt der Youngster die mit Abstand beste Saison seiner Karriere und hat elementaren Anteil daran, dass sich der FSV Mainz 05 berechtigte Hoffnungen auf die Champions-League-Qualifikation machen darf.
Burkardt arbeitet ähnlich wie Kleindienst überragend gegen den Ball, instruiert das enorm aufwendige Pressing von Bo Henriksen in vorderster Front. Der Rechtsfuß verfügt dennoch über eine gute Technik und ist immer wieder in das Kombinationsspiel der Rheinhessen eingebunden. Ein effizientes Spiel im Strafraum, 15 Tore und zwei Vorlagen runden die überragende Spielzeit des jungen FSV-Kapitäns ab. Auch wenn der gebürtige Darmstädter erst zweimal für den DFB spielte und aktuell noch an die Mannschaft herangeführt wird: Im Hinblick auf die kommenden Jahre ist Burkardt die aktuell wahrscheinlich heißeste Sturm-Aktie in Deutschland!
Die Aktie von Deniz Undav hingegen befindet sich momentan eher im Sinkflug. Der sympathische Angreifer des VfB Stuttgart wartet seit acht Bundesliga-Spielen auf eine eigene Torbeteiligung, scorte zuletzt im Januar gegen den SC Freiburg. Momentan macht der 28-Jährige einen überspielten Eindruck und kann somit nicht an das überragende Leistungsniveau seiner Vorsaison anknüpfen, das ihm erst einen Platz im DFB-Team verschafft hatte. Doch Nagelsmann mag Undav: Noch im Herbst zeigte der Stuttgarter famose Leistungen, traf gegen Bosnien doppelt und legte gegen die Niederlande ein Tor und eine Vorlage auf.
(Foto: Getty Images)
Im Gegensatz zu den großgewachsenen Kleindienst oder Burkardt ist Undav dabei viel weniger ein Box-Stürmer, sondern lässt sich gerne tief in das Mittelfeld fallen und agiert zwischen den Linien als Anspielstation. Mit einem Gardemaß von 1,79m ist der Stuttgarter deutlich kleiner und somit viel eher ein mitspielender Angreifer als eine Abnahmeoption für Flanken und hohe Bälle. Als hängende Spitze und Joker ist Undav fester Bestandteil des Kaders, doch die erste Option im Sturmzentrum stellt er aktuell nicht dar.
Diese Rolle bekleidete in den vergangenen Jahren zumeist Niclas Füllkrug, der für Deutschland eine überragende Quote von 14 Toren in 22 Einsätzen aufweist. Der 32-Jährige besitzt exzellente Qualitäten als Kopfballspieler und ist humorlos im Abschluss. Sein Wechsel zu West Ham United verlief bislang jedoch alles andere als nach Plan und dürfte auch seinen Stand im Nationalteam verschlechtert haben. Verletzungsbedingt machte Füllkrug erst neun Premier-League-Partien und verpasste zudem die letzten fünf Länderspiele.
Da sich in diesem Zeitraum andere – und vor allem jüngere – Kandidaten in die Gunst des Bundestrainer spielen konnten, hat Füllkrug seinen Status als erster DFB-Stürmer zumindest für den Moment verloren. Ob er sich diesen noch einmal zurückholen kann, hängt stark von seinem Gesundheitszustand und der komplizierten Situation bei West Ham ab. Denn das eigentlich schon sicher geglaubte Ticket für die WM 2026 befindet sich aktuell in akuter Gefahr. Und im Hinblick auf sein fortgeschrittenes Alter wird es über das Turnier in Nordamerika hinaus ohnehin schwer.
(Foto: Getty Images for DFB)