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·8. April 2021
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Spotlight | Mit Luca Waldschmidt, Julian Weigl und Odysseas Vlachodimos stehen drei gebürtige Deutsche im Kader des portugiesischen Schwergewichtes Benfica. In einer schwierigen Saison 2020/21 gehören die drei ehemaligen Bundesliga-Profis zu den Leistungsträgern der Portugiesen.
Bei Benfica möchte man die aktuelle Saison wohl so schnell wie möglich aus dem Gedächtnis löschen. Mit der Meisterschaft hat man dieses Jahr nichts zu tun und auch die Qualifikation für die Champions League droht man zu verpassen. Aktuell befindet sich die Mannschaft von Trainer-Rückkehrer Jorge Jesus (66) auf dem dritten Platz. Mit 54 Punkten liegt man elf Zähler hinter dem Tabellenführer und Stadtrivalen Sporting Lissabon, die ihre erste Meisterschaft seit knapp 20 Jahren anvisieren. Gemeinsam mit dem FC Porto und SC Braga liefert sich Benfica in dieser Spielzeit lediglich einen Kampf um die Plätze zwei und drei, die zur Teilnahme an der Königsklasse berechtigen.
Aufgrund des vergleichsweisen schwachen Wettbewerbs in der portugiesischen Liga NOS sind die Duelle gegen Braga, Porto und Sporting umso wichtiger. In eben diesen Duellen gegen die direkte Konkurrenz hatten die Adler in dieser Saison oft das Nachsehen. Dazu kommen viele Partien gegen deutlich schwächere Teams, in denen sich die Mannschaft teilweise schwertat. 105 Millionen Euro hat man im vergangenen Sommer für Neuzugänge in die Hand genommen. So viel wie nie zuvor. Das erste Mal seit der Saison 2013/14 hatte man am Ende der Sommertransferperiode sogar ein Transferminus (-28,08 Mio. Euro) „erwirtschaftet“. Eigentlich ein eindeutiges Zeichen an die Konkurrenz. Man sah sich gut aufgestellt für die aktuelle Saison.
Zu den insgesamt neun Neuverpflichtungen (Eigengewächse und Leihrückkehrer ausgenommen) zählte unter anderem auch Luca Waldschmidt (24), dessen Dienste Benfica sich 15 Millionen Euro kosten ließ. Für den siebenfachen deutschen Nationalspieler ist es die erste Station im Ausland. „Ich wollte diese Herausforderung, mich im Ausland bei einem großen Klub mit hohen Ansprüchen beweisen, wo du alle drei Tage deine Leistung abliefern musst, weil du gewinnen musst“, sagte Waldschmidt in einem Interview mit dem kicker.
Zuvor war er ausschließlich in Deutschland tätig. Seine insgesamt 103 Bundesligaeinsätze verteilten sich auf Eintracht Frankfurt (17 Spiele), den Hamburger SV (35 Spiele) und den SC Freiburg (53 Spiele). Die Zeit im Breisgau war es schließlich, die Waldschmidt in den Fokus internationaler Klubs rückte. Unter Trainer Christian Streich avancierte der Angreifer zum Leistungsträger und steuerte 23 Scorerpunkte (17 Treffer, sechs Assists) in insgesamt 56 Partien bei.
Im Kader von Benfica ist Waldschmidt bereits der dritte gebürtige deutsche Profi. Vor ihm sicherte sich der portugiesische Spitzenklub bereits die Dienste von Odysseas Vlachodimos (26) und Julian Weigl (25). Unter Jorge Jesus gehörte Waldschmidt auf Anhieb zum Stammpersonal, absolvierte bislang 34 von 42 möglichen Partien und stand in 21 davon in der Startelf. Das Debüt des 24-Jährigen war ein Einstand nach Maß, beim 5:1 Kantersieg gegen den FC Famalicão traf der Mittelstürmer doppelt. In seinen ersten zehn Einsätzen sammelte Waldschmidt insgesamt 8 Scorerpunkte (fünf Treffer, drei Assists).
Auf diesen starken Start folgte allerdings Ernüchterung. In den folgenden 24 Partien kam der Linksfuß lediglich auf fünf weitere Torbeteiligungen. „Ich kam gut rein“, konstatierte Waldschmidt und ergänzte: „Irgendwann im Winter hat ein wenig die Frische gefehlt, wir haben wegen der vielen Spiele aber auch generell rotiert.“ Zu der eher mäßig verlaufenden Saison hat er ebenfalls eine klare Meinung: „Wir sind natürlich nicht zufrieden, werden das aber bis zum Ende geraderücken und in die Champions League einziehen!“
Ein halbes Jahr vor Waldschmidt schlug Julian Weigl seine Zelte in der portugiesischen Hauptstadt auf. Für 20 Millionen Euro wechselte der fünfmalige deutsche Nationalspieler von Borussia Dortmund zu Benfica. Für viele kam der Abgang des Mittelfeldspielers überraschend, da er unter dem damaligen BVB-Coach Lucien Favre (63) gesetzt war. Trotzdem entschied sich Weigl für einen Tapetenwechsel. „Es hat sich der Wunsch breitgemacht, etwas anderes zu probieren“, erklärte er in einem Interview mit der Sport BILD. „Wir sind auch junge Menschen, die Wünsche und Träume haben. Meine Frau und ich wollten immer einmal das Abenteuer Ausland wagen. Ich hatte einige Optionen. Bei Benfica hat das Bauchgefühl sofort gepasst“, fügte Weigl hinzu.
Bei seinem neuen Klub nahm der 25-Jährige direkt eine wichtige Rolle ein, sorgte im defensiven Mittelfeld für die nötige Stabilität und gab dem Aufbauspiel Benficas Struktur. Auch unter dem neuen alten Trainer Jorge Jesus hat sich die Rolle Weigls nicht geändert. „Ich bin kein Spieler, der viele Tricks macht und das Stadion dann aufschreit. Meine Qualitäten liegen als Defensivspieler woanders“, so Weigl auf die Frage nach seinem eher unauffälligen Spielstil.
Jesus hält viel von seinem Sechser. „Er ist einer von wenigen, die sich seit meiner Ankunft hier stark verbessert haben. Er ist fundamental für unser System“, sagte Jesus gegenüber der portugiesischen Zeitung A Bola. „Am Anfang ist er nicht mehr als zehn Kilometer pro Spiel gelaufen, mittlerweile läuft er knapp 13 Kilometer pro Partie. Er hat verstanden, was mir für die Position wichtig ist. Sein Spiel ohne Ball ist jetzt noch intensiver. Er ist definitiv einer der Spieler, die sich am meisten weiterentwickelt haben“, ergänzte der Benfica-Coach. Seit seinem Abgang aus der Bundesliga stand Weigl 56-mal im Dress der Adler auf dem Platz und erzielte sogar zwei Treffer.
„Meine Ziele für diese Saison sind: Oberligameister zu werden, die süddeutsche Meisterschaft zu gewinnen und mich positiv weiterzuentwickeln!“ Vergleichsweise bescheidene, aber doch entschlossene Ziele, die der damals 14-jährige Odysseas Vlachodimos in einem Interview mit der EnBW—Oberliga geäußert hat. Knapp 13 Jahre später spielt der gebürtige Stuttgarter beim portugiesischen Rekordmeister Benfica Lissabon, ist dort unumstrittener Stammtorwart und hütet auch das Tor der griechischen Nationalmannschaft. Besser hätte es kaum laufen können.
Und doch war der Weg bis hierhin kein leichter. Der Sohn griechischer Einwanderer galt beim VfB Stuttgart lange als das nächste große Torwart-Talent und wurde 2011 in seiner Altersklasse mit der Fritz-Walter-Medaille in Bronze ausgezeichnet. Bei den Schwaben sollte es aber nie für den ganz großen Sprung reichen. Für den VfB kam Vlachodimos vorwiegend bei der zweiten Mannschaft zum Einsatz.
Während lange Zeit einfach kein Weg an der damaligen Nummer eins Sven Ulreich vorbei führte, setzten die Stuttgarter nach dessen Abgang zum FC Bayern München auf Mitchell Langerak oder Przemyslaw Tyton. Also entschied sich der damals 21-jährige Vlachodimos für einen Wechsel und schloss sich im Januar 2016 zunächst Panathinaikos Athen an. „Für mich ging es damals darum, alle negativen Gedanken aus meiner Zeit in Stuttgart hinter mir zu lassen“, sagte Vlachodimos in einem Gespräch mit 11Freunde.
Bei Panathinaikos verbrachte der ehemalige Stuttgarter die erste Zeit ebenfalls auf der Bank, bevor er sich in der Saison 2016/17 als Stammkeeper der Athener etablieren konnte. Seine guten Leistungen riefen unter anderem Benfica Lissabon auf den Plan, die Vlachodimos im Sommer 2018 für gerade einmal 2,4 Millionen Euro verpflichteten. Seit diesem Wechsel steigerte der 26-Jährige seinen Marktwert um 500 Prozent auf mittlerweile 15 Millionen Euro. Damit ist er der wertvollste Keeper der gesamten portugiesischen Liga. Mit 17 Gegentoren in bislang 24 Ligapartien stellt Benfica die zweitbeste Defensive. Zum Großteil auch ein Verdienst von Vlachodimos, der nicht nur marktwerttechnisch zur Torwartspitze der Liga gehört und sich international einen Namen gemacht hat.
Seit kurzer Zeit ist der ehemalige Stuttgarter aber nicht mehr die Nummer eins bei Benfica. „Ich dachte, es wäre an der Zeit, etwas zu ändern“, sagte Jesus kürzlich gegenüber Record. Unter anderem leistete sich Vlachodimos im Derby gegen Sporting (0:1) einen kapitalen Patzer, der die Partie letztlich zu Gunsten des Tabellenführers entschied. Seinen Platz zwischen den Pfosten nimmt aktuell Helton Leite (30) ein. „So ist das nun mal in einem großen Team“, begründete Jesus seine Entscheidung. „Wenn man jedes Wochenende auf dem Platz stehen will, muss man für eine Mannschaft aus dem Tabellenmittelfeld spielen.“
Nachdem Benfica im Meisterschaftsrennen der letzten Saison bereits das Nachsehen hatte, scheint der Titelgewinn auch dieses Jahr sehr unwahrscheinlich. In der Liga stehen zwar noch zehn Partien aus und es sind noch 30 Punkte zu vergeben. Leistet sich Sporting aber keine groben Patzer, sollte es kaum eine Chance für die Mannschaften dahinter geben. Da die Meisterschaft also kaum noch eine realistische Option darstellt und man in der Europa League nicht über das Sechzehntelfinale hinauskam, ist der portugiesische Pokal die einzige verbliebene Chance auf einen Titel in dieser Spielzeit. Am 23. Mai trifft man im Finale der Taça de Portugal Placard auf den SC Braga. Aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest mit Waldschmidt und Weigl in der Startelf.
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