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·5. Februar 2025

Weg damit! Oder?

Artikelbild:Weg damit! Oder?

Beim FC St. Pauli wird über den Umgang mit dem Lied „Das Herz von St. Pauli“ diskutiert. Ist es möglich, weiterhin am Lied festzuhalten?(Titelfoto: Stefan Groenveld)

Ein Kommentar von Tim


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Ob wir wollen oder nicht – wir müssen uns dem Thema stellen. Das Lied „Das Herz von St. Pauli“ wurde von Personen verfasst und präsentiert, die in der NS-Zeit, teilweise sogar davor, vom Naziregime profitierten, es sogar stützten – das ist ein Problem. Ohne eine Aufarbeitung dessen dürfte es unmöglich sein, dieses Lied noch am Millerntor zu spielen und es damit als Teil des FC St. Pauli und der eigenen Fankultur zu behalten. Wichtig ist jetzt, dass man sich dieser Diskussion stellt, sie führt und als Verein und Fanszene eine gemeinsame Lösung findet. Der Verein hat dazu auf seinem hauseigenen Blog etwas veröffentlicht – schaut da rein, bringt euch ein!

Der Umgang mit solchen Fällen ist nicht einfach. Und gerade deshalb sollte die Diskussion dazu öffentlich und möglichst transparent geführt werden. Die Biographien von Komponist Michael Jary und vor allem von Texter Josef Ollig sind problematisch. Jary hat vom NS-Regime profitiert, für das Regime gearbeitet, zeitgleich aber auch einen Freund aus dem Gefängnis heraus geholfen. Ollig hat bereits vor der Machtergreifung für ein Medium gearbeitet, welches durchaus als einer der Wegbereiter der Machtergreifung bezeichnet werden kann, hat zudem während der Kriegsjahre menschenverachtende Texte verfasst.

Kann man Werk und Autor trennen?

Doch das Lied „Das Herz von St. Pauli“ ist nicht während der NS-Zeit verfasst worden. Es trieft vor Lokalpatriotismus, ist aber vom Inhalt her nicht direkt mit dem in Zusammenhang zu bringen, was Ollig während der NS-Zeit verfasste (was er verfasste ist aber ziemlich krass – bitte hört euch dazu einfach mal den Artikel von Ollig an, den Celina im Podcast vorliest (ab 01:03:00)). Reicht das, um zu sagen: Wir können dieses Werk des Autors von seinen anderen Werken trennen? Und sowieso: Darf man Werk und Autor voneinander trennen? Ist das bei diesem Lied vielleicht sogar schon der Fall? Das sind Fragen, mit denen man sich nun beim FC St. Pauli beschäftigen muss. Spoiler: Eine Antwort, mit der alle zufrieden sein werden, gibt es wohl nicht.

Auch alle Fans des FC St. Pauli müssen sich die Frage stellen: Sollte man sich von allem distanzieren, was diese Personen erschaffen haben? Auch von den Dingen, die sie nach Kriegsende erschaffen haben? Die Medienlandschaft in der Zeit kurz nach 1945 ist gespickt mit Personen, die ganz ähnliche Biographien vorzuweisen haben wie Jary und Ollig. Bei der ARD gibt es den Fall um den ehemaligen Programm-Direktor Hans Abich, beim WDR gab es den Fall Werner Höfer, vielfach beleuchtet wurde auch die Biographie von Henri Nannen. Es dürfte kaum ein bekanntes Werk aus den ersten 15 Jahren nach Kriegsende geben, an dem nicht Personen mit ähnlicher Vita wie der von Michael Jary, vielleicht sogar der von Josef Ollig mitgewirkt haben. Das macht es nicht besser oder schlechter, zeigt aber die Tragweite auf, die so eine Entscheidung haben kann.

Ähnliche Diskussion 97-98

Beim FC St. Pauli wurde eine ähnliche Diskussion bereits geführt. Denn der ehemalige Vereinspräsident Wilhelm Koch, zu dessen Ehren (oder aufgrund der Schulden des Vereins) das Stadion jahrelang den Namen Wilhelm-Koch-Stadion trug, war NSDAP-Mitglied und habe, so Autor Rene Martens im Buch „You’ll never walk alone“ (Die Werkstatt), persönlich von der NS-Zeit profitiert. Es folgten emotionale Diskussionen auf der Mitgliederversammlung 1997. Schließlich wurde das Wilhelm-Koch-Stadion 1998 umbenannt, heißt seitdem Millerntor-Stadion.

Bei der nun laufenden Diskussion, ob das Lied „Das Herz von St. Pauli“ auch weiterhin so prominent vom FC St. Pauli verwendet werden sollte, stehen zwei Fragen im Vordergrund: Zum einen wie Ollig nach Ende der NS-Zeit zu seinen Tätigkeiten stand. Das herauszufinden, dürfte enorm schwer bis unmöglich sein. Denn während Berühmtheiten der Branche die Möglichkeit hatten, sich öffentlich dazu zu äußern, ist das bei Personen wie Ollig schwieriger. Vielleicht hat er sich ja klar davon distanziert, es aber eben nicht öffentlich getan? Vielleicht ist er auch einfach ein strammer Nazi gewesen, auch nach Kriegsende?

Ist das „Das Herz von St. Pauli“ positiv besetzt?

Allerdings gibt es auch die berechtigte Frage: Würde es etwas ändern, wenn Ollig sich von seinen Tätigkeiten während der NS-Zeit distanziert hätte? Würde es die Sachlage in so einem Maße verändern, dass man als Verein und Fanszene weiterhin vor jedem Heimspiel „Das Herz von St. Pauli“ voller Stolz mitsingen kann? Diese Frage beantworten viele klar mit „Nein!“.

Die zweite Frage, die im Vordergrund der Diskussion steht: Würde es etwas ändern, wenn man zum Beispiel auf wissenschaftlicher Basis feststellt, dass man in diesem Fall Werk und Autor voneinander trennen kann, es vielleicht schon getrennt ist? Denn das Werk könnte inzwischen sehr positiv besetzt sein. Eben weil es mit dem FC St. Pauli und seiner Fanszene in Verbindung gebracht wird. So mag das Lied zwar aus der Feder von Josef Ollig stammen, es steht durch die Verwendung aber für etwas ganz anderes – für die Werte, die der FC St. Pauli als Verein und dessen Fanszene vertreten. Zugegeben, das ist ein argumentativ sehr schwieriger Pfad. Aber einer, über den zumindest nachgedacht werden sollte.

Aktuell kann ich mir nicht vorstellen, dass ich im Stadion dieses Lied noch hören, geschweige denn voller Emotionalität mitsingen kann, ohne daran zu denken, wer dieses Lied erschaffen hat. Auf der anderen Seite fände ich den Gedanken auch gut, wenn wir es als Verein und Fanszene schaffen, dieses Lied zu „unserem“ Lied zu machen, es so positiv zu besetzen, dass man es eben nicht mehr mit anderen Dingen in Verbindung bringt. Aber ist das überhaupt möglich und sinnvoll? Das alles zeigt: Eine vom FC St. Pauli angeleitete Diskussion dazu ist extrem wichtig und richtig.// Tim

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