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Selina Eckstein·26. Mai 2024
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Selina Eckstein·26. Mai 2024
Den Zeigefinger auf den Mund, den Fans damit andeuten, dass sie still sein sollen. Dann wieder Anheizen und wieder Ruhe. Noch mal Anheizen und wieder Ruhe, bevor richtig gefeiert wird.
Nicht der Vorsänger war es, der nach Samsunspors Sieg gegen Antalyaspor im Februar die Menge einheizte, sondern der Trainer. Ein Mann, der in der Bundesliga gescheitert war, feierte da gerade den sechsten Sieg im zehnten Heimspiel. Mehrere Woche später folgte der Klassenerhalt. Mit einem sicher geglaubten Absteiger. Vom Verein und den Fans wird er geliebt. Wie also konnte es passieren, dass Markus Gisdol in der Türkei auf einmal zum Volksheld wurde?
Mit Abstiegskampf kennt er sich aus. Unter ihm stieg der Hamburger SV aus der Bundesliga ab. Beim 1. FC Köln wurde Gisdol im April 2021 nach einer 2:3-Niederlage gegen Mainz entlassen. Zu diesem Zeitpunkt standen die Geißböcke auf dem vorletzten Platz. Mit Friedhelm Funkel hielt der FC die Klasse, den Ex-Coach hingegen zog es weiter. In Deutschland waren die Perspektiven nach den Misserfolgen jedoch mau. Mit einem Zwischenstop bei Lok Moskau landete er im Oktober 2023 in der Türkei bei Samsunspor.
Der Klub hatte nach sieben Spieltagen gerade mal vier Punkte geholt und steckte mittendrin im Abstiegssumpf. Ein Retter, ein Feuerwehrmann musste her. Als Gisdol den Anruf aus der Türkei vom Samsunspor-Präsidenten erhielt, war er gerade in den USA und machte Urlaub. "Er hat gesagt: 'Du musst sofort herkommen'", erinnert sich der ehemalige Bundesliga-Coach im Interview mit 'Sky'.
Er habe es als eine Art Rettungsmission empfunden, unterschrieb deshalb nur einen Vertrag bis zum Saisonende. Weil es in der Süper Lig vier direkte Absteiger gibt, schien die Aufgabe noch größer und unlösbarer. Doch Gisdol nahm sich der Herausforderung an. Um sich voll und ganz darauf einzulassen, lernte er die Sprache und ließ sich auf die Kultur ein.
Damit habe er klarmachen wollen, dass er die Leute ernst nimmt, sagte er im 'Sky'-Interview. Seine Spieler, die Personen in und um den Klub sowie die Fans nahmen ihn mit offenen Armen auf. Doch nicht nur das: Gisdol wurde gefeiert. Beim Sieg gegen Antalyaspor huldigten die Anhänger*innen ihrem Trainer mit Sprechchören und er übernahm die Rolle des Capos.
Samsunspors Heimstärke trug sie durch die restliche Saison. Nur zwei Spiele gingen unter dem deutschen Trainer im eigenen Stadion verloren. Gegen Besiktas und Galatasaray. Zum Ende sind es nun 43 Punkte und aktuell Platz zwölf, die exakte Endplatzierung steht heute Abend nach den letzten Ligaspielen fest. Der 54-Jährige holte im Schnitt über einen Punkt. Er wird geliebt und als Held gefeiert. In der Stadt könne er mittlerweile nicht mehr zehn Meter gehen, "ohne auf einen Chai-Tee eingeladen zu werden", erzählt er. Die Emotionen, Liebe und die Zuneigung beeindrucken ihn.
Doch wie ist es ihm gelungen, sportlich erfolgreich zu sein? Die Spieler hätten ihm von Beginn an vertraut, was daran lag, dass er offen und ehrlich mit ihnen gesprochen habe, erklärte Gisdol rückblickend seine Vorgehensweise. Vor allem vom "geilen Angriffsspiel" schwärmt er. Dieses habe er beibehalten, schrittweise dann aber auch angepasst. 42 Tore schoss der türkische Erstligist, kassierte aber auch 52 Tore.
In der fußballverrückten Türkei ging es ihm darum das Emotionale mit Sachlichkeit zu verbinden. Doch der Coach weiß auch, dass es nicht ohne die Fans geht: "Die Anerkennung für die harte Arbeit und den Respekt, den man sich gegenseitig gegeben hat, fühlt sich richtig gut an." Bei wichtigen Heimspielen waren die Fans voll da und schrien das Team zum Sieg. 30.000 türkische Fans, die richtig Lärm machen, hören sich an wie 80.000 Fans in Deutschland, so Gisdols Vergleich.
Durch seine Zeit in der Türkei habe er gelernt offener zu werden. Er habe sich weiterentwickelt und könne nun auch auf Englisch alle Inhalte in Spielansprachen und Einzelgesprächen deutlich vermitteln. Bei seiner nächsten Station kann er das dann unter Beweis stellen. Seine Zeit bei Samsunspor ist in jedem Fall zu Ende, den Vertrag wird Gisdol nicht verlängern.
Er habe seine Mission erfüllt und gehe mit einem sehr guten Gefühl. Er werde "die Menschen in Samsun immer im Herzen tragen." Gleiches gilt auch umgekehrt. Schon im letzten Heimspiel, als die Entscheidung noch gar nicht feststand, rollten die Fans ein Plakat mit dem Spruch "Gisdol Rules" aus. Als der Klub via 'X' die Nachricht über das Ende der Zusammenarbeit mitteilte, folgte eine Welle der Dankbarkeit. Gisdol hatte die Mission erfüllt und obendrein die Liebe der Fans gewonnen.
Und wie sagte schon einst Jürgen Klopp? Es ist weniger wichtig, was die Leute von dir denken, wenn du kommst. Es ist viel wichtiger, was sie von dir denken, wenn du gehst.
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