OneFootball
Justus Pludra·3. November 2024
In partnership with
Yahoo sportsOneFootball
Justus Pludra·3. November 2024
"Der neue Trainer wird keine leichte Aufgabe haben", warnte ein entnervter Xavi als er im Mai beim FC Barcelona hinwarf. Sein Nachfolger sollte Hansi Flick werden, dem noch das "Graugänse"-Fiasko anhaftete. Doch statt zum nächsten Problem von Barça zu werden, formte neue Coach plötzlich zu einem schier übermächtig wirkenden Team.
Die Kantersiege gegen Bayern und im Clásico lassen die Fans wieder von glorreichen Zeiten träumen. Wie konnte das passieren?
Horrende Schulden, Stadion und Kader im Umbau, sportlich wie infrastrukturell zieht Erzrivale Real davon. Dazu lässt sich Flick zwei Monate Zeit bis zur offiziellen Vorstellung. Weil er Angst hat im Kreuzfeuer der Fragen unterzugehen? Mitnichten. Als es am 25. Juli soweit ist, sprudelt der Optimismus nur so aus dem 59-Jährigen.
Der FC Barcelona? "Ein herausragender Klub." Die Arbeit mit den Spielern? "Macht jede Menge Spaß." Manager Deco? "Hat einen fantastischen Job gemacht." Mögliche Titel? "Geben Sie mir ein paar Wochen, dann kann ich die Frage besser beantworten.“ Ein Kontrast zum genervten Pessimismus seines Vorgängers.
Die Aussagen klangen in der damaligen Situation von Blaugrana eher nach Masterstudiengang Public Relations als nach einem realistischen Fußballlehrer. Doch die Zeit sollte ihm recht geben.
Denn bis zur heutigen Zwischenbilanz implementierte Flick ein taktisches Konzept, dass seine Kritiker im wörtlichsten Sinne ins Abseits stellen sollte. Dafür brach der Trainerfuchs zunächst offensiv mit einigen als heilig geglaubten Barça-Traditionen. Statt stets besetzte Zonen und Tiki-Taka will Flick positionsloses Spiel und vertikale Pässe sehen.
Vor der Ankunft des Ex-Bundestrainer war es üblich, dass Barça den Ball so lange durch die eigenen kompakten Reihen zirkulieren ließ, bis sich eine Lücke auftat. Flick will diese mit einer deutlich auseinander gezogenen Positionierung selber kreieren. Der Abstand zwischen Abwehr und Stürmer ist viel größer.
Der geschaffene Platz soll anschließend mit riskanten, aber im Erfolgsfall extrem gewinnbringenden, diagonalen und eben vertikalen Pässen bespielt werden.
Die Veränderungen, verbunden mit der ausdrücklichen Freiheit der Offensivpieler ihre Positonen zu verlassen und Räume zu überladen, passen optimal zum vorhandenen Spielermaterial.
Vor allem Lamine Yamal und Raphinha mit ihrer Geschwindigkeit und Robert Lewandowski mit seiner Spielintelligenz nutzen den gewonnen Platz zu ihren Gunsten. Für stolze 33 der 46 bisherigen Saisontore des FCB zeichnet sich das Trio verantwortlich.
Der kaum auszurechnende Angriff ließ dabei die zwei letztgenannten Stars wieder aufblühen. Vor der Saison wären sie fast vom Hof gejagt worden. Lewandowski galt nach einer mäßigen Spielzeit als entbehrlicher Ballast auf der Gehaltsliste.
Statt Raphinha wollten viele Barça-Fans lieber Spanien-Youngster Nico Williams im Trikot mit der Nummer elf sehen. Doch Flick nutzte jede Gelegenheit seine beiden Schützlinge zu loben. Der Pole sei für ihn vor dem Tor "der beste Spieler". Sein brasilianischer Kollege zudem so besonders, dass sein Coach einen wie ihn "noch nie gehabt" habe.
📸 JOSE JORDAN - AFP or licensors
Im Handumdrehen zahlte das Duo ihr Vertrauen mit Spitzenleistungen zurück. "Lewa" und der Vize-Kapitän (jeweils 19 Rore/Assists) sind die Top-Scorer in einer torreichen Offensive unter dessen Räder zuletzt auch die Bayern und Real gerieten.
Die allein 37 Treffer aus bisher elf Ligaspielen toppt in Europa niemand. Gepaart wurde das Angriffsspektakel zudem mit einem aggressiven Gegenpressing, das bereits eindrucksvolle Früchte trägt.
Der Versuch schnell in der gegnerischen Hälfte den Ball zurückzugewinnen, bedingt viele Spieler in der Nähe des Spielgeräts. Im Umkehrschluss bedeutet das eine extrem hohe letzte Linie. Doch das riskante Unterfangen hat einen großen Vorteil: Mit ihrer weit aufgerückten Positionierung schafft die Abwehrkette einen riesigen Raum, der für die gegnerischen Stürmer tabu ist: Das Abseits.
Achtmal schnappte die Falle alleine in der ersten Hälfte des Clásico zu - geteilter Ligarekord. Am Ende hob der Linienrichter sogar ganze zwölf Mal die Fahne. Für die Katalanen in dieser Saison ein gewohntes Bild, dem kein Team in Europa auch nur im Ansatz nacheifern kann. Die Graugänse scheinen endgültig in die Vergessenheit davongezogen. Stattdessen habe Flick laut spanischer 'AS' "Barças Größe wiederhergestellt".
"Alles, was ich getan habe, hat ein Erdbeben verursacht", schimpfte Xavi auf seiner letzten Pressekonferenz über die unruhigen Bedingungen als Barcelona-Trainer. Nichtmal ein halbes Jahr später berichtet die 'Sport' von den nächsten seismischen Wellen um das Camp Nou.
Dieses Mal geht es aber um den spanischen und gar europäischen Fußball, den Flick und sein Team bald überrollen würden. Waren die Triumphe über Bayern und Real nur die ersten Ausschläge auf der Richter-Skala einer fußballerischen Übermacht oder finden die Gegner bis zum Frühling, wenn die wichtigen Titel vergeben werden, ein Gegenmittel zum Flicki-Flaka?