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·24 January 2025
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Seit 28 Jahren legt Margarita Luengo bei jedem Heimspiel von Atlético Madrid einen Strauß Blumen an einer Eckfahne des Estadio Metropolitano ab. Das Nelkengebinde der 78-jährigen Atlético-Anhängerin ist mittlerweile der berühmteste Blumenstrauß des Profifußballs und für den Klub das, was beim Liverpool FC das ’You’ll never walk alone’ ist oder bei West Ham United die Seifenblasen. Ein unverzichtbares Ritual, ein Sakrileg.
Es ist davon auszugehen, dass Jeremie Frimpong sich der Bedeutung dieses heiligen Bouquets nicht bewusst war, als er am Dienstagabend den zwischenzeitlichen Leverkusener Führungstreffer mit einem beherzten Tritt gegen ebenjenen Blumenstrauß feierte. Nur wenige Sekunden später wurde ihm der Nimbus von Margarita Luengos Nelken allerdings ein wenig näher gebracht. Da nämlich bauten sich auf einmal 185 Zentimeter Atlético-Abwehrmoster vor ihm auf und erteilten dem unwissenden Leverkusener eine kleine Nachhilfestunde in Atlético-Madrid-Vereinsgeschichte.
Um den floralen Fehltritt Frimpongs, für den er sich im Nachhinein auch öffentlich entschuldigte, soll es hier aber gar nicht gehen, sondern um den Mann, dem dieser Strauß am Dienstag so wichtig war: José María Giménez.
Diejenigen, die Atlético Madrid im letzten Jahrzehnt ein bisschen genauer verfolgt haben, wird es kaum wundern, dass es Giménez war, der Frimpong zur Rede stellte. Denn wie kaum ein anderer bei den Colchoneros ist der 30-jährige Uruguayer einer, der für den Verein steht und einsteht. Einer, dem die Kultur und Identität des Vereins wichtig sind. Was das abseits der Verteidigung der Stadion-Flora bedeutet, bekamen die Spieler von Bayer Leverkusen am Dienstag ebenfalls zu spüren.
Denn rund um den Leverkusener Führungstreffer bekam nicht nur Jeremie Frimpong sein Fett weg. Auch Torschütze Piero Hincapié und Nathan Tella bekamen in einer im Estadio Metropolitano zum guten Ton gehörenden Rudelbildung nochmal mit Nachdruck und auf Kosten von Giménez’ vierter Gelbverwarnung im sechsten CL-Spiel erklärt, warum man als Auswärsteam bei Atlético eher nicht vor den Heimfans jubeln sollte.
Nun könnte man ihm natürlich vorwerfen, ein unverbesserlicher Hitzkopf zu sein, der seine Mannschaft mit Standpauken und Rudelbildungen auch nicht weiterbringt. Damit wird man ihm allerdings so gar nicht gerecht. Denn das Gewusel, das Giménez nach dem Bayer-Treffer angezettelt hatte, resultierte nicht nur in einer Verwarnung für ihn selbst, sondern auch in gelbem Karton für Piero Hincapié und Nathan Tella. Wenngleich man Giménez’ ganz sicher nicht absprechen kann, dass ihm sowohl die Verteidigung von Margarita Luengos Blumenstrauß als auch das Unterbinden der Leverkusener Feierlichkeiten vor der Heimkurve ein ernstes Anliegen waren, ist das Kalkül dahinter nicht schwer zu erkennen.
Man muss dafür nur in die 25. Minute zurückspulen, in der Atléticos Pablo Barrios Rivas für ein übles Foul an Nord Mukiele nach VAR-Check vom Platz gestellt wurde. Würde man das Spiel im Re-Live noch einmal sehen und hätte dabei die Möglichkeit, die Kamera auf einzelne Spieler zu lenken, würde man bei vielen Atlético-Profis und allen voran José Maria Giménez ab dem Moment des Platzverweises wahrscheinlich immer wieder eine den Mund verdeckende Hand im Gesicht feststellen. Denn so trashtalked es sich deutlich besser. Und das verbale Provozieren ist ein wesentlicher Bestandteil der Mission, die in diesem Moment begann: Mission zehn gegen zehn.
Sofort nach Atléticos Platzverweis merkte man dem Spiel an, dass Atlético nun alles daran setzte, wieder für numerische Ausgeglichenheit zu sorgen. Trashtalk, kleine Fouls, eine generell deutlich härtere Gangart; all das sollte einen Leverkusener Platzverweis erreichen. Der erste richtige entscheidende Stich gelang dann Giménez mit dem provozierten Doppelgelb nach dem Führungstreffer. Für den späteren Gelb-Rot-Platzverweis von Piero Hincapié hatte er damit den Grundstein gelegt und so einen wesentlichen Anteil am späten 2:1-Sieg von Atlético.
Dass Atléticos Nummer zwei aber nicht nur als Speerspitze von Simoeones mit allen Abwassern gewaschener Provokationsmaschinerie wichtig ist, zeigt ein Blick in den Ligaalltag, wo Atlético am Samstag gegen Leganés zum ersten Mal seit Oktober wieder ein Spiel verlor und so die Tabellenführung wieder abgeben musste. Wegen einer Muskelverletzung in dieser Partie nicht dabei: Giménez. Nicht nur als als vorderster Schubser und Provokateur, sondern auch als mittlerweile unbestrittener Abwehrchef ist er unverzichtbar.
Und trotzdem ist er in seiner Rolle als oberster Rüpel für Atlético wahrscheinlich noch wichtiger. Denn niemand steht so sehr für den Ansatz von Diego Simone, den Herrscher der dunklen Seite des Fußballs. Ein Ansatz, bei dem Spiele selten nur mit dem Ball gewonnen werden. José María Giménez steht dafür, dass man, sobald man sich auf Atléticos Psychospiele einlässt, im Estadio Metropolitano keinen Blumentopf gewinnt. Und von den Sträußen sollte man auch lieber die Füße lassen.
📸 Denis Doyle - 2025 Getty Images