VfL Osnabrück
·12 November 2024
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Er war einer der bekanntesten VfLer des 20. Jahrhunderts und prägte die Geschichte der Lila-Weißen nicht nur als Spieler, sondern auch als Trainer. Heute feiert Erwin „Ata“ Türk seinen 90. Geburtstag.
Dass der Fußball in seinem Leben eine zentrale Rolle spielen würde, war zunächst nicht absehbar. Denn der junge Erwin Türk spielte leidenschaftlich gern Handball. Erst mit 15 Jahren entschied er sich endgültig für eine andere Sportart, in der er bald Erfolge feierte. Mit dem VfB Bielefeld gelang dem schnellen Mittelläufer der Gewinn der Westfalenmeisterschaft und der Aufstieg in die 2. Liga West. Seiner Geburtsstadt verdankte er aber auch den seltenen Spitznamen. Ein Bielefelder Kaufmann verpasste Erwin den geschichtsträchtigen Zusatz „Ata“, der an den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) erinnerte.
1957 wechselte er an die Bremer Brücke und erlebte hier nur ein Jahr später einen der größten Tage der Vereinsgeschichte. Am 21. Juni 1958 gewann das Team von Hellmut Meidt in der Kampfbahn Brinkstraße den Nordpokal durch einen spektakulären 3:2-Sieg gegen den Hamburger SV. Der Überraschungscoup war auch den cleveren Schachzügen des Trainers zu verdanken, der Türk nachhaltig beeindruckte. „Bei Meidt habe ich zum ersten Mal gelernt, was es heißt, richtig zu trainieren – und begriffen, was Taktik bedeutet“, erinnerte er sich später.
Uwe Seeler und Pelé
Türk war mittlerweile ein erstklassiger, extrem zweikampfstarker, aber auch vorausschauend agierender Verteidiger und seine Lernerfolge bekam auch der Superstar des Hamburger SV zu spüren. Beim Pokalfinale stand Uwe Seeler zwar nicht auf dem Platz, doch in der Liga kreuzten sich seine Wege mit denen des zweikampfstarken Defensivstrategen, der im Zweifelsfall einen halben Meter auf Distanz deckte, damit ihm die Hamburger keinen Doppelpass in den Rücken spielen konnten. Das Rezept ging auf, Uwe Seeler blieb an der Bremer Brücke ohne Torerfolg, und auch Fußball-Ikone Edison Arantes do Nascimento, besser bekannt als „Pelé“, hatte mit Erwin Türk so seine Schwierigkeiten. Beide trafen sich am 13. Juni 1959, als das brasilianische Starensemble vom FC Santos zum Freundschaftsspiel gegen eine Niedersachsenauswahl antrat. Für die Lila-Weißen absolvierte Türk insgesamt 168 Spiele (9 Tore), ehe er seine Karriere 1964 wegen einer Meniskusoperation unterbrach und als Spieler und Trainer zu seinem Heimatverein VfB Bielefeld zurückkehrte.
Comeback als Trainer
Sieben Jahre später war er wieder da. Als Cheftrainer sollte Erwin Türk einen gewaltigen personellen Umbruch bewältigen, denn von der legendären Nordmeister-Mannschaft des Jahres 1969 trugen nur noch Friedhelm Holtgrave, Hannes Schaaf und Karl-August Tripp das Trikot der Lila-Weißen. Die Fans, verwöhnt von drei Titelgewinnen in Folge, erwarteten den nächsten großen Coup und tatsächlich zog der VfL auch unter Ata Türk wieder in die Aufstiegsrunde ein. Nach einem gelungenen Start gerieten die Osnabrücker gegen die favorisierten Wuppertaler um den Ex-VfLer Günter Pröpper allerdings böse unter die Räder. Die Lila-Weißen blieben zweitklassig und auch im kommenden Jahr wurde das große Ziel verfehlt. Allerdings belegte der VfL wieder Platz 2 in der Regionalliga Nord und qualifizierte sich einmal mehr für die Aufstiegsrunde.
Den Vorwurf, der vermeintliche Disziplinfanatiker habe seine Mannschaft zu defensiv ausgerichtet, hörte Türk trotzdem immer wieder – und er bestritt ihn vehement. „Wer Meister werden und aufsteigen will, darf gar nicht defensiv spielen. Aber ein Konzept muss er schon haben“, meinte Ata Türk. Und die Statistik gab ihm durchaus Recht. 1971/72 kassierte der VfL die mit Abstand wenigsten Gegentore (20 in 34 Spielen), erzielte aber 62 Treffer – mehr gelangen nur St. Pauli, Wolfsburg und Göttingen 05. Ein Jahr später standen 75 Treffer zu Buche, diesmal war nur St. Pauli torgefährlicher.
Die Kiez-Kicker hatte Türk von 1968 bis 71 trainiert, ebenfalls in die Aufstiegsrunde geführt, und auch ein saarländischer Verein klopfte unter seiner Leitung noch einmal an die Tür zur Bundesliga. „Ata“ Türk wechselte 1973 zu Borussia Neunkirchen und führte sein Team zunächst zur Südwestmeisterschaft und dann in die neu gegründete Zweite Bundesliga Süd. Der erfolgreiche Coach sollte schließlich sogar Nachfolger von Erich Ribbeck beim 1. FC Kaiserslautern werden und war dem Vernehmen nach auch bei Branchengrößen wie Borussia Dortmund und dem FC Bayern ein Thema.
Doch Erwin Türk hatte auch nach seiner aktiven Laufbahn immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Er musste sich zahlreichen Knieoperationen unterziehen und litt schließlich an einem steifen Bein. Den Humor verlor der Mann, der mehr Fußball-Anekdoten kennt und erzählen kann als die meisten seiner Zunft – aber trotzdem nicht. Vor zehn Jahren gab er der „Neuen Westfälischen“ zu Protokoll, dass die Überreste seiner ersten Meniskus-Operation (eingelegt in Spiritus!) in seinem Badezimmer ausgestellt würden …
Eine berufliche Alternative drängte sich allerdings immer mehr auf und so begann Erwin Türk nach seinem letzten Engagement beim damaligen Zweitligisten Eintracht Bad Kreuznach eine zweite Karriere.
Edle Tropfen
In seiner Jugend hatte er eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann begonnen, diese aber nach zwei Jahren abgebrochen. Stattdessen trat er in die Fußstapfen seines Vaters, wurde Nähmaschinenmechaniker, später Außendienstmitarbeiter der Allianz und schließlich Verkaufsleiter des renommierten Weingutes Pieroth. Den Kundenstamm in Ostfriesland betreute Türk von seinem Wohnort Leer bis 2004. An seiner alten Wirkungsstätte hatte er übrigens auch schon einmal mit alkoholhaltigen Getränken zu tun. In der Wesereschstraße betrieb Türk eine Zeitlang die Gaststätte „Ata“, die eigentlich für 50 Personen ausgerichtet war. „Aber da kamen immer viel mehr“, verriet er später. „Wir haben im Monat 28 Hektoliter Bier verkauft!“
Das Verhältnis zu seinen früheren Vereinen blieb auch als Fußball-Rentner „Erste Sahne“. Ata Türk wurde zur 100-Jahr-Feier bei Borussia Neunkirchen, zur 100-Jahr-Feier des FC St. Pauli und zur 110-Jahr-Feier beim VfL Osnabrück eingeladen und war auch jenseits großer Jubiläen immer wieder bei den Ex-Klubs zu Gast. An seinem Ehrentag werden sich viele Fußballfreunde, Spieler und ehemalige Weggefährten an Erwin „Ata“ Türk erinnern und ihm alles erdenklich Gute wünschen!
Text: Thorsten Stegemann
Bild: NOZ-Archiv / Am 7. Mai 1972 musste Hartwig Piepenbrock Trainer Erwin Türk beruhigen. In Wolfsburg hatten zwei VfLer die rote Karte gesehen, der VfL gewann trotzdem mit 4:0.