MillernTon
·19 November 2024
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Die Flugreisen des FC St. Pauli nach Leipzig und Dortmund stehen in der Kritik und zeigen einmal mehr, wie schwer das ist mit dem „Ein anderer Fußball ist möglich“.(Titelbild: Stefan Groenveld)
Alexander Blessin hat als Cheftrainer des FC St. Pauli bisher nicht den Eindruck erweckt, dass er sich gerne mit Medienvertreter*innen anlegt. Und wenn, dann hat dies eher einen humoristischen Hintergrund. Mit Humor hatten Blessins Worte auf der Pressekonferenz vor dem Pokalspiel in Leipzig aber nichts zu tun. Wenige Tage zuvor wurde Kritik an der Anreise des FC St. Pauli zum Auswärtsspiel in Dortmund laut, weil man die weniger als 400 Kilometer lange Strecke per Charterflug zurücklegte.
Auf der Pressekonferenz vor dem nächsten Auswärtsspiel, jenem in Leipzig (ebenfalls weniger als 400km entfernt), war Blessin dann schon merklich angefressen, als er auf die Anreise des Teams angesprochen wurde. Der FC St. Pauli flog auch nach Leipzig per Chartermaschine und der Cheftrainer erklärte dazu: „Wir sind keine Kirmestruppe. (…) Wenn die Möglichkeit besteht, dann werden wir die Reisen mit dem Bus oder auch dem Zug vollziehen. Aber in so einer Woche, wo es um eine kurze Regenerationszeit geht, haben wir diesen Flug, weil wir nochmal daheim schlafen und besser regenerieren können.“
Nun ist das Spiel des FC St. Pauli in Dortmund und auch jenes in Leipzig bereits einige Wochen her. Trotzdem sollte das Thema Flugreisen nicht wieder in der Versenkung verschwinden. Zu wichtig ist das Signal, was von ihnen ausgeht. Und es ist dann aber auch einfach zu komplex, um es mit der bloßen Feststellung zu versehen, dass Flüge doof sind.
Wichtig ist bei der Thematik, dass die Flüge des FC St. Pauli nur einen Bruchteil der CO2-Emissionen des Vereins ausmachen. Das geht hervor aus dem kleinen Einblick in den CO2-Fußabdruck des FCSP, den der Verein gewährte. Einen viel größeren Einblick darf man zu Beginn des kommenden Jahres erwarten. Der FC St. Pauli kündigte auf der Mitgliederversammlung an, dass man im ersten Quartal 2025 einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen werde.
Vor dem Hintergrund des eher geringen Beitrags von Flugreisen zum gesamten CO2-Fußabdruck des FC St. Pauli, mag es verwirrend erscheinen, warum gerade dieses Thema so viel Aufsehen erregt und weniger die Strom- und Wärmeerzeugung im Millerntor-Stadion (was ein viiiiieeeeeelll wichtigeres Thema sein sollte in diesem Zusammenhang). Es dürfte dabei eher um die Symbolik der Aktion gehen. Fußballclubs dienen als Vorbilder. Sie haben eine hohe Relevanz und ihre Aktionen eine Wirkung auf die Gesellschaft. Wenn sich ein Fußballclub zum Beispiel für den Hamburger Zukunftsentscheid einsetzt, zeitgleich aber verhältnismäßig kurze Strecken mit einem Flugzeug zurücklegt, dann erzeugt das ein Geschmäckle und ist ein gefundenes Fressen für all jene, die dem FC St. Pauli nur allzu gerne das Wort „Doppelmoral“ an den Kopf werfen. Flugreisen von Fußballclubs machen also vielleicht nur einen kleinen Bruchteil der Emissionen aus, sie sind aber emotional extrem aufgeladen.
Alexander Blessin hatte die jüngsten Flugreisen des FC St. Pauli unter anderem mit der wichtigen Regeneration erklärt. Dabei dürften regelmäßige Auswärtsfahrer*innen wohl sofort daran denken, wie ungelenk und schwer sich die Beine anfühlen, wenn man in Heidenheim aus dem in Hamburg gestarteten Bus aussteigt. Doch ganz so einfach ist es nicht. Und viel wichtiger scheint eine andere Sache zu sein: Das eigene Bett. Aber der Reihe nach.
Prof. Dr. Thimo Wiewelhowe kennt sich mit der Thematik aus. Der Sportwissenschaftler arbeitet an der IST-Hochschule zum Thema Trainingswissenschaft und hat seine Doktorarbeit über Belastung und Erholung im Hochausdauerbereich und seine Habilitation über Regenerationsmaßnahmen im Sport geschrieben. Er erklärt, dass langes Sitzen, zum Beispiel im Bus, durchaus einen Effekt auf die Regeneration habe könne, besonders nach dem Sport: „Lange Busfahrten können nach intensiven muskulären Beanspruchungen, die zu mikroskopischen Muskelschädigungen und in der Folge zum bekannten Muskelkater führen, ein Problem sein. Denn beim langen Sitzen kann es unter anderem zu Ödembildung in den Beinen kommen, was für die muskuläre Regeneration dann ungünstig ist.“
Da Fußballclubs aber oft nicht nur nach Spielen den Flieger nutzen, sondern das (auch) vor den Spielen passiert, ist das Argument der Regeneration nicht mehr so einfach zu vertreten (weil das Spiel ja noch bevorsteht). Und ganz grundsätzlich, so erklärt es Wiewelhove, ist es ziemlich schwer den Einfluss des Reiseverhaltens auf die Leistungsfähigkeit von Sportler*innen zu messen. Entsprechend wenig bis gar keine Forschung gibt es zu dem Thema. Wiewelhove erklärt sich die Flugreisen der Clubs mit Routinen: „Es geht wohl eher um einen Wohlfühl- und Zeitfaktor. Die Clubs wollen die Spieler so lange wie möglich in gewohnter Umgebung lassen. Eine lange Busreise ist ein Stressor, das ist in kurzfristiger Wettkampfvorbereitung suboptimal.“ Zwar sei nur schwer messbar, wie sich die Anreise auf die Leistungsfähigkeit auswirke, doch es ist bekannt, „dass die Leistungsfähigkeit am höchsten ist, wenn man in seinen Routinen, also auch Essensroutinen“ bleibe, was bei längeren Bus- und Bahnreisen schwerer umsetzbar sein dürfte.
Alexander Blessin erklärte bei seiner „Keine Kirmestruppe“-Aussage, dass das Team durch die Anreise per Flieger „nochmal daheim schlafen“ könne. Während das lange Sitzen bei der Anreise noch nicht so richtig in Bezug auf den Profisport erforscht wurde, ist hinlänglich bekannt, wie wichtig guter Schlaf für Sportler*innen ist (Wiewelhove: „Schlaf ist neben Ernährung die fundmentale Regenerationsstrategie“). So wichtig, dass einige Clubs entscheiden, dass das eigene Bett hohe Priorität genießt – was ein gewichtiges Argument für die schnellere Reisezeit per Flieger ist. Und an diesem Punkt vermischen sich auch Logistik und Sportmedizin.
Denn natürlich könnte man den Schlaf im eigenen Bett und die Anreise zum Abendspiel in Dortmund miteinander verbinden. Von der reinen Fahrzeit her würde das nämlich reichen, zumal der FC St. Pauli auch den Mannschaftsbus zu jedem Auswärtsspiel fahren lässt (hierzu erklärt der Verein: „Dieser ist nicht nur ein Erkennungsmerkmal und Aushängeschild des Vereins und der Mannschaft auswärts. Er ist daher immer vor Ort. Zudem wird mit dem Bus häufig das benötigte Material befördert.“)Es müsse aber berücksichtigt werden, dass die Anreise am Spieltag per Bahn oder Bus anfälliger für Probleme sei: „Das Reisen per Bahn ist nur möglich, wenn wir das enorme Verspätungsrisiko der Bahn mit einkalkulieren und sicher sein können, dass die professionelle Spielvorbereitung nicht gefährdet ist.“
Der FC St. Pauli sei „keine Kirmestruppe“ erklärte Alexander Blessin vor dem Spiel in Leipzig, zu dem per Charterflieger angereist wurde.
// (c) Stefan Groenveld
Doch trotz der Vorteile die Flugreisen aus logistischer und sportmedizinischer Sicht bieten könnten, ist man beim FC St. Pauli schon darauf aus, auf Flugreisen zu verzichten: „Grundsätzlich prüfen wir bei Auswärtsspielen unserer Lizenzmannschaft immer gewissenhaft die Reisemöglichkeiten – und zwar in der Reihenfolge Bus, Bahn, Linienflug, Charterflug.“Herausgekommen bei der Prüfung ist in den letzten beiden Spielzeiten jeweils siebenmal die Antwort: Fliegen. Auch für die aktuelle Saison rechnet der FC St. Pauli damit etwa gleich oft zu den Auswärtsspielen zu reisen. Diese Anzahl dürfte ziemlich genau im Mittelfeld der Bundesliga liegen. Die taz hatte Anfang 2023 eine Anfrage an alle Bundesligisten gestellt. Zwar haben nicht alle Clubs geantwortet, aber die gelieferten Zahlen liegen zwischen sechs und dreizehn Flügen pro Saison.
Doch ein Vergleich innerhalb der Bundesliga kann das Bild auch verzerren. Denn zum einen muss bei den Reisen der Clubs die Reiseaktivität berücksichtigt werden. Clubs, die unter der Woche im Europapokal im Einsatz sind, fliegen generell häufiger, als jene, die „nur“ am Wochenende spielen. Zudem ist auch der Standort an sich ein wichtiger Faktor. Von Kiel oder Hamburg sind die Auswärtsreisen oft um einiges länger, als von Wolfsburg oder Frankfurt aus.
Explizit angefragt hatten wir beim FC St. Pauli eine Aufsplittung der Reiseaktivitäten zwischen Linien- und Charterflügen. Denn Charterflüge über kurze Strecken sind die absoluten BadBoys in Klimabilanzen, wie sich in einer Grafik des Bayrischen Rundfunks anschaulich erkennen lässt. Je weniger Personen befördert werden und je kürzer die Strecke ist (weil Start und Landung am meisten Emissionen erzeugen), umso schlechter ist es für das Klima (Charterflüge verursachen zumeist irgendwas zwischen fünf und 14-mal mehr pro-Kopf-Emissionen als Linienflüge – und 50-mal mehr als Zugfahrten). Zudem werden für Charterflüge nicht selten auch sogenannte „positional flights“ notwendig (die in den Klimabilanzen oft fehlen), welches die BBC am Beispiel der Premier League aufzeigte. Vor diesem Hintergrund sind die kurzen Flüge des FC St. Pauli mit gecharterten Maschinen nach Leipzig und Dortmund besonders kritisch zu betrachten.
Der Verein erklärte, dass die meisten Flüge im Rahmen der Auswärtsspiele mit einer Chartermaschine absolviert werden. Und das, obwohl man selbst „wenig Interesse“ daran habe, unter anderem weil diese Art des Reisens „erhebliche Kosten“ mit sich bringe. Als Gründe für die Anmietung eigener Flieger nannte der FC St. Pauli die schlechte Anbindung des Flughafens Hamburgs, die Anfälligkeit von Linienflügen für Verspätungen und auch die Verfügbarkeit für die notwendige Anzahl an Personen.
Im Falle von der Verbindung von Hamburg zum Flughafen Dortmund stimmt das mit der Anbindung, es gibt da nämlich keine Direktverbindung. Gleiches gilt für Leipzig. Der Flughafen Düsseldorf (wird mehrfach pro Tag aus Hamburg angeflogen) ist aber nur 70 Kilometer vom Dortmunder Stadion entfernt. Da werden auch Erinnerungen daran wach, dass der FC St. Pauli im März 2023 zum Auswärtsspiel nach Sandhausen – unbeeinflusst von Länderspielen und Englischen Wochen – nicht mit dem Linienflieger nach Frankfurt (90km vom Stadion entfernt) flog, sondern stattdessen per Charter nach Mannheim (25km vom Stadion entfernt). Es mag jeweils gute Gründe für den Verzicht auf Bus, Bahn und Linienflüge geben und diese werden vom Verein ja auch benannt. Angesichts der vielfach schlechteren CO2-Bilanz von Chartermaschinen müssen diese Gründe aber schon sehr gewichtig sein.
Je nachdem, wie und wo die Prioritäten liegen, können die Flugreisen des FC St. Pauli als notwendig angesehen werden: Das Spiel in Dortmund fand am Freitag nach einer Länderspielpause statt. Kapitän Jackson Irvine kehrte zum Beispiel erst am Mittwoch von den Länderspielen zurück. Zudem war, auch aufgrund von Ferien, Baustellen und dem anstehenden Wochenende, ein Verkehrschaos vorprogrammiert, was einige FCSP-Fans leider auch in Form des verpassten Anpfiffs erfahren haben. Das Spiel in Leipzig fand am Dienstag in einer Englischen Woche statt, in der Regenerationszeiten eh bereits kurz sind. Ob man anders angereist wäre, wenn die Termine anders gelegen hätten? Der Verein verweist darauf, dass man zum Beispiel zum Pokalspiel nach Halle und auch zu weiteren Spielen in noch größeren Entfernungen in diesem Jahr mit dem Zug gereist sei.
Es gibt also – wie so oft – auch bei diesem Thema kein Schwarz und Weiß. Der FC St. Pauli wird mit seinem Reiseverhalten nicht den deutschen Nachhaltigkeitspreis gewinnen, ist aber im Vergleich mit anderen Clubs auch alles andere als ein Negativbeispiel. Der Verein erklärt die Flugreisen auch damit, dass man die Verantwortung habe „für den Erfolg des FC St. Pauli im Profi-Fußball die besten Möglichkeiten zu schaffen“ und zeigt damit klar das Spannungsfeld auf, in dem er sich bewegt. Und die Entscheidung die bestmöglichen Rahmenbedingungen für den Profi-Fußball zu schaffen ist eben auch Ausdruck des Paradigmenwechsels hin zu einem Fokus auf sportlichen Erfolg, den der Verein in den letzten Jahren vollzogen hat.
Beim Thema Flugreisen könnte dieser Spagat kaum größer sein: Auf der einen Seite die möglichst professionelle Arbeitsweise für erfolgreichen Fußball. Auf der anderen Seite das mächtige „Ein anderer Fußball ist möglich“, welches der FC St. Pauli stolz vor sich herschiebt – und welches beim Thema Flugreisen einfach nicht standhalten kann.
// Tim
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