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·23 September 2025

Nach Gerichtsaussagen: Negreira-Sohn lässt Barças Verteidigung bröckeln

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Negreira-Sohn Javier Enríquez (Mitte) hat mit seinen Aussagen vor Gericht erneuten Schwung in das Barça-Gate gebracht – Foto: IMAGO / Europa Press

Barça zahlte bis 2018 Millionen an Schiri-Vizepräsidenten

Zweieinhalb Jahre ist es mittlerweile her. Im Februar 2023 kam an die Öffentlichkeit, dass der FC Barcelona jahrelang dem Vizepräsidenten des spanischen Schiedsrichterkomitees CTA geheime Zahlungen geschickt hat. Anfangs war die Rede von rund sieben, dann acht Millionen Euro, mittlerweile hat die Guardia Civil sogar über zehn Millionen Euro entdeckt, die nach und nach auf verschiedene Unternehmenskonten von José María Enríquez Negreira geflossen sind – all das von 2000 bis schlussendlich 2018, als es im Verband RFEF eine Razzia nachdem der damalige Verbandspräsident Ángel María Villar (im Amt von 1988 bis 2017) unter anderem wegen Korruptions- und Geldwäscheverdacht im Gefängnis landete. Dann endete auch die Beziehung zwischen Barça und Negreira, dessen Unternehmen DASNIL 95 SL, SOCCER CAMP und NILSAD SCP nahmen plötzlich keinen Euro mehr ein, auch wenn der scheidende CTA-Verantwortliche Negreira selbst versuchte, Barça noch zu halten, wie EL MUNDO herausfand: „Ich kann euch mit dem VAR helfen. Mit mir wärt ihr besser gefahren (der VAR wurde erst 2018/19 in LaLiga eingeführt; d. Red.), geht aus einem Fax im Sommer 2020 – Real Madrid hatte frisch die Meisterschaft gewonnen – hervor. Erfolg hatte er damit offensichtlich nicht, zumal er schon vorher versuchte, die jahrelange Zusammenarbeit unter vier Präsidenten, darunter auch Joan Laporta, der die Honorare an Negreira sogar vervierfachte, aufrechtzuhalten. Auch mit (leeren) Drohungen: „Ich werde alles preisgeben, was ich weiß. (…) Wenn es keine Einigung gibt, werden alle Unregelmäßigkeiten ans Licht kommen“, geht aus einem weiteren Fax aus 2018 hervor.


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Was genau preisgeben? Das wird seit langer Zeit versucht herauszufinden – durch die Guardia Civil, die Staatsanwaltschaft, aber auch durch Anhörungen vor Gericht. Richter Joaquín Aguirre glaubt dabei seit September 2023 an „systematische Korruption“, genauer an eine „neuartige Form möglicher unrechtmäßiger Vergütung“, bei der es nicht um ein spezifisches Spiel, einen Schiedsrichter ging, sondern darum, jahrelang ein System zu schaffen, in der die Schiedsrichter nach gewissen strittigen Entscheidungen besondere Vergütungen durch Negreira erhalten würden – mal monetär, mal besondere Partien wie Clásicos, Pokalfinals oder im Europapokal.

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Vor Gericht: Negreira-Sohn lässt Verteidigung bröckeln

Natürlich gilt ohne Schuldspruch die Unschuldsvermutung – die Zahlungen allein stellen nicht automatisch eine Straftat dar – und Negreira wie auch der FC Barcelona dürfen sich verteidigen. So hieß es früh, die vielen Überweisungen seien für Schiedsrichter-Berichte gewesen. Zwar erklärten Trainer aus jener Zeit wie Ernesto Valverde und ein Assistent von Gerardo Martino bereits, sich nicht an derartige Berichte erinnern zu können, trotzdem bauen die Katalanen darauf ihre Verteidigung auf. Und genau diese könnte nun ordentlich bröckeln – aus dem Kreis der Angeklagten. Denn bei aktuellen Gerichtsvorladungen, darunter die Ex-Präsidenten Sandro Rosell und Josep Bartomeu, musste sich auch Javier Enríquez Romero erklären, der Sohn des jahrelangen CTA-Vizepräsidenten. Und der war ebenfalls in die Zusammenarbeit verwickelt, indem er angeblich beispielsweise Schiedsrichter am Flughafen abholte und zur Spielstätte fuhr. Aber auch, indem er die besagten Schiedsrichter-Berichte erstellt. Und nachdem aus dem Gerichtssaal erste angebliche Aussagen geleakt wurden („Die 7,5 Millionen waren nicht für Berichte, ich habe nur 60.000 Euro bekommen.“) gibt es nun auch ein Video, das den Sohn bei seiner Aussage zeigt. Und das auch zeigt, dass der Sohn wohl nicht von allem wusste, was der Vater getrieben hat. „Während der Untersuchungen des Finanzamts im Jahr 2021 habe ich entdeckt, dass DASNIL über eine Million Euro direkt an den FC Barcelona abgerechnet hat. Das erste, was ich tat, war meinen Vater anzurufen. Er weicht aus. Er sagt mir, dass er den Verein beraten habe. Dass mich das nichts angehe. Und er sagt es mir in dem Tonfall, in dem er immer mit mir spricht, wenn er in die Defensive geht.“

„Was zur Hölle geht dich das an?“

Zwar würde Javier Enríquez Romero seinen Vater „sehr lieben“ und ihm sogar „vergeben habe, für das, was er mir antat“, aber: „Das ändert nichts daran, dass er ein sehr autoritärer, aggressiver Mensch war. Und in diesem Moment erinnere ich mich sogar daran, was er mir gesagt hat. Wenn Sie erlauben: Er sagte zu mir: „Was zur Hölle geht dich das überhaupt an?“ Ich hatte absolut keine Ahnung, dass mein Vater über NILSAD oder sogar über SOCCER CAMP zwischen 2003 und 2005 auch nur einen Euro vom FC Barcelona erhalten hatte. Das war undenkbar! Ich weiß und sage mit Nachdruck, dass ich nie einen Euro aus den Gewinnen meines Vaters genommen habe, geschweige denn aus seiner Beziehung zum FC Barcelona, von der ich nie etwas gewusst habe.“ Waren die Zahlungen an Negreiras unterschiedliche Unternehmen also so geheim, dass nicht mal der Sohn von etwas wusste? Obwohl es heißt, Javier Enríquez Romero sei unter anderem Fahrer gewesen? Die angeblich rund 600 Schiedsrichter-Berichten soll es wohl gegeben haben, aber: Javier Enríquez dafür nur 60.000 Euro erhalten haben. Und die anderen Millionen? So soll er laut Zeugen vor Gericht gesagt haben, aber das geht aus dem einmüntigen Video nicht hervor: „Barça hat das Finanzamt belogen, um sich von meinem Vater zu distanzieren, und mich als Vorwand benutzt.“ Für die Berichte?

Berichte, ja, aber für 60.000 Euro. Und die Millionen?

Nun könnten seine Aussagen ähnlich glaubhaft und vertrauenswürdig sein – unklar ist weiter, welche Schiedsrichter-Berichte erstellt wurden, möglicherweise als Vorwand, und wie weit diese im Klub kamen -, wie die Aussagen von beispielweise Bartomeu oder Rosell, die vor Gericht ohnehin nur Fragen von ihren Anwälten beantwortet haben sollen. Und so das Kartenhaus der Schiedsrichter-Berichte aufrecht zu halten versuchen. Doch durch die Aussagen von Javier Enríquez Romero wackelt dieses mal wieder, wofür auch zukünftige Aussagen der für 25. November vorgeladenen Ernesto Valverde und Luis Enrique Martínez sowie Joan Laporta selbst sorgen könnten. Auch deswegen wurde der Prozess vor wenigen Wochen um sechs weitere Monate verlängert.

Verjährung? Laporta sorgte 2004 für Weichenstellung

Ob das Kartenhaus schlussendlich wirklich einstürzt und dann rechtliche oder gar sportliche Konsequenzen möglich sind? Das ist noch völlig offen, zumal ohnehin die Verjährung greift, Negreira angeblich sogar behauptet, an Alzheimer erkrankt zu sein. So heißt es zudem, gewisse Prozesse des Finanzamts seien verschleppt worden – von den ersten Entdeckungen des Finanzamts im Jahr 2021 bis 2023 unter anderem EL MUNDO erstmals berichtete – damit Laporta (Präsident von 2003 bis 2010 und ab 2021) und andere Verantwortliche so den Kopf aus der vermeintlichen Schlinge ziehen können. Dabei war es Laporta, dem eine Schlüsselrolle zugesprochen wird, unter anderem weil er 2004 angeblich eine Abmachung der LaLiga-Klubs brach und dafür sorgte, dass der damalige RFEF-Präsident Villar doch nochmal im Amt bleibt, während sich andere Klubs darauf verständigt hatten, einen anderen Präsidenten (Gegenkandidat Gerardo González) wählen zu wollen. Diese Machenschaften bestätigte vor vielen Jahren und voller Begeisterung Alfons Godall, der Barça von 2003 bis 2010 als Vizepräsident diente (im Video ab 1:19, deutsche Untertitel möglich). Ob dies bei Schiedsrichterentscheidungen half? „Ohne jeden Zweifel“, so der Spanier.

Und trotzdem: Zweifel bestehen dennoch. Hat der FC Barcelona das spanische Schiedsrichtersystem wirklich nachhaltig korrumpiert und sich durch geheime Zahlungen so Vorteile erschlichen? Der komplexe Fall mit (teils bewusster?) Verjährung und verschiedenen Beteiligten wie den vier Präsidenten, aber auch den beiden Negreira-Herren sowie den Verantwortlichen Óscar Grau und Albert Soler (mehr dazu im unten stehenden RMTV-Video), wird den spanischen Fiskus noch etwas länger beschäftigen. Sechs weitere Monate sogar. Ob es dann im März 2026 zu Gerichtsverhandlungen geschweigedenn einem Urteil kommt und sowohl Barcelona als auch Negreira der Sportkorruption schuldig gesprochen werden? Völlig unklar. Richtiger Aguirre erklärte schon vor langem, dass der Straftatbestand der Bestechung sei „mit der Zahlung erfüllt, unabhängig davon, ob die systemische Korruption als Folge dieser Zahlungen nachgewiesen wird oder nicht.“ So bleibt es auch zweieinhalb Jahre nach den Negreira-Leaks spannend im spanischen Fußball.

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