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·15 November 2025

Schock-Umfrage über unsere Nationalmannschaft beruhigt mich am Ende doch

Article image:Schock-Umfrage über unsere Nationalmannschaft beruhigt mich am Ende doch

Beim ZDF-Sportstudio, wo er kürzlich zu Gast war, fiel’s mir wieder auf: Unser Nationalspieler David Raum ist ein Kunstwerk – man kann seinen Blick einfach nicht von ihm abwenden. Wohin man auch schaut: Sein Körper ist ein einziges Wimmelbild mit Tattoos. Ein Blitz hinter dem linken Ohr. Ein Erzengel unter dem rechten Ohr. Ein Löwe auf dem Unterarm. Eine Rose auf der Hand. Sein Hals: voll gekrakselt bis zum Kinn. Fotos zeigen sein größtes Tattoo. Auf seiner Brust steht geschrieben: „Living the Dream“. Den Traum leben. Das tut er, ganz offensichtlich.

Ich erwische mich dabei, wie ich den Kopf schüttle und denke: Mit einem Nationalspieler, der seine Haut mit einem Burda-Schnittmuster aus Kinderhand verunstaltet, kann ich mich schwerlich identifizieren. Er ist ein guter Kicker, gar keine Frage, und Kapitän beim Bundesligisten RB Leipzig.  Aber der Generationenkonflikt ist unübersehbar, wenn X auf Z trifft. Die Generation X (Jahrgang 1965 bis 1980) findet es furchtbar, wenn Tinte geometrische Bildchen am Körper verewigt. Die Generation Z (Jahrgang 1997 bis 2012) definiert Tattoos als Ausdruck von Individualität. 


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Damit sind wir beim Thema: Wie ist es um die Identität mit unserer Nationalelf bestellt? Raum ist ja nur einer von zwei Dutzend Nationalspielern, die ihren Traum leben. Diejenigen, die wie ich ein paar Tage älter sind, müssen nicht nur mit den Angewohnheiten der einen Spielergeneration klarkommen. Schade und Leweling, Atubolu und Brown sowie zuletzt El Mala und Ouedraogo: Bundestrainer Nagelsmann nominiert ständig noch jüngere Talente, die sich bisher keinen Namen gemacht haben. Ist es nur so ein Gefühl, dass man so langsam den Überblick verliert?

Repräsentative Umfrage vom Bundesliga-Barometer

Wir Fachleute kennen die Neulinge zwar aus der Bundesliga – aber wie steht’s um die breite Masse in Deutschland? In solchen Fällen schafft Professor Alfons Madeja eine zuverlässige Orientierung. Sein Umfrage-Tool Bundesliga-Barometer lieferte diese Woche eine repräsentative Antwort im Auftrag von Focus Online. Von 6.036 befragten Fußballfans sind tatsächlich 60,4 % der Meinung, dass sie sich „weniger stark als früher“ mit der deutschen Nationalmannschaft identifizieren. Lediglich 3,9 %, also vier von hundert Fans, spüren eine stärkere Bindung.

Das Ergebnis hat mich geschockt. Ich sehe ja die vollen Stadien, wenn Deutschland zu Hause spielt, und habe noch die Schlachtgesänge von der Heim-EM 2024 im Ohr. Wir fiebern den zwei WM-Qualifikationsspielen am Freitag in Luxemburg und Montag gegen die Slowakei entgegen, wo wir sicherstellen können, dass wir bei der Weltmeisterschaft 2026 in Nordamerika dabei sind. Wie kommt dann dieser Umfrage-Schock zustande? Der zweite Blick wird Julian Nagelsmann freuen: Die Stimmung im Land hat sich gebessert, seit er sein DFB-Amt im Herbst 2023 antrat.

Die aktuelle Schulnote 2,85 zur Frage „Wie stark identifizierst du dich derzeit mit der deutschen Nationalmannschaft?“ rangiert tatsächlich eine ganze Note höher als die Bewertung aus der Zeit seines Vorgängers Hansi Flick. Aber: In den zwei Nagelsmann-Jahren lag sie zwischenzeitlich auch schon besser (bei 2,48 im November 2024). Wir können also unterm Strich festhalten: Zwei von drei Fans hadern zwar bei der Identität mit der Nationalmannschaft, weil ihre Bindung früher eine engere war – doch von Entwöhnung oder sogar Entfremdung kann keine Rede sein.

Fan-Umfrage: 60,4 Prozent weniger starke Identität als früher

Wie müssen wir die 60,4 % bei „weniger starke Identität als früher“ verstehen? Bei der Analyse eines solchen Zahlenwerks treibt mich immer die Sorge um, dass die Ursachenforschung einen Weg Richtung Diversität zeigt. Man muss in den Sozialen Medien ja nur die Kommentarspalten lesen, um Zweifel an der Weltoffenheit zu erahnen. Aber die Umfrage beruhigt mich am Ende doch: Die Identifizierung mit Nationalspielern hat nichts damit zu tun, ob deren Wurzeln im Schwäbischen (Kimmich), Libanesischen (El Mala) oder Ivorischen (Gnabry) zu finden sind.

Die Umfrage ist da eindeutig: Auf die Performance kommt es an. Den größten Einfluss, ob sich die deutschen Fans mit ihrer Nationalmannschaft identifizieren, haben drei Kriterien: die sportliche der Mannschaft (74,1 %), das Auftreten der Spieler auf dem Platz, zum Beispiel mit Kampfgeist und Leidenschaft (71,2 %) und damit die Spielweise (59,9 %). Keine Rolle spielen die Bekanntheit der Spieler (8,4 %) oder Star-Status (16,3 %). Die Erwartungshaltung kann man so zusammenfassen: Wer den Adler auf der Brust trägt, muss alles geben, am besten siegen – dann ist alles gut.

  1. Wenn aber die Nationalmannschaft wie im Sommer drei Spiele in Folge vergeigt, hat das sofort Auswirkungen auf die Stimmungslage im Land. Dann fremdeln sogar die 80 Millionen Bundestrainer im Land mit dem liebsten Kind der Deutschen. So einfach ist das manchmal.

Ich gebe zu: Mich lehrt das Umfrage-Resultat vor allem, dass es völlig gleichgültig ist, ob David Raum auch den letzten Quadratzentimeter seines Körpers tätowieren lässt – er muss halt geile Flanken schlagen. Darin liegt übrigens auch die Hoffnung für Leroy Sané, der bei Bundestrainer Nagelsmann um seine letzte Chance auf ein WM-Ticket kämpft: Man wird ihm seine schlaffe Körpersprache aus der Vergangenheit gerne verzeihen, sobald er jetzt Leidenschaft auf dem Rasen lebt und endlich zeigt, was er drauf hat. Fans wissen das, siehe oben, zu schätzen.

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