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·25 July 2025
Toni Kroos: Das kickende Missverständnis

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·25 July 2025
In Spanien ein Stratege von Weltrang. Für Fußball-Deutschland „zu nüchtern“. Was Toni Kroos’ Karriere über unser Verständnis von Fußball erzählt.
Als Toni Kroos im Juni 2024 im Champions-League-Finale gegen Dortmund ausgewechselt wird, steht ganz Wembley. Applaus brandet auf – von den Real-Fans, die ihrer Legende in seinem letzten Vereinspflichtspiel die Ehre erweisen, aber auch aus dem Dortmunder Block.
Es ist ein Moment des Respekts für einen Mann, der alles gewonnen hat. Aber für Kroos doch ein Novum. Applaus aus Deutschland – ohne Vorbehalte. Das hat er selten erlebt.
In Spanien trägt er das Prädikat “Weltklasse”, ist Liebling der Fans. Aber hierzulande immer skeptisch beäugt worden. Zu nüchtern, zu unauffällig, zu wenig “Typ”. Neben, aber auch auf dem Platz. “Querpass-Toni” – sein Spottname wurde für viele zur Realität. Dabei steht er in Wahrheit für ein Missverständnis. Eines, das aber mehr über uns verrät als über ihn.
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Früh entdeckt bei Hansa Rostock, mit 16 schon zu Bayern. Ein Jahr später ein Traumdebüt im Europacup mit zwei Assists. Ein Wunderkind, das zunächst behutsam aufgebaut wird, das während der Leihe in Leverkusen reift, dem dann zurück bei Bayern aber die verdiente Wertschätzung verweigert wird. Gefeiert werden andere, Kroos bleibt Randnotiz.
Sein Problem: die oftmals nur sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit seiner Spielweise. Der deutsche Fußball feiert Künstler, aber vor allem Kämpfer. Zu oft verwechseln wir Lautstärke mit Leidenschaft. Doch Kroos spielt pragmatisch, eher selten spektakulär. Und daher starten die meisten Highlightvideos erst, nachdem er seinen Beitrag geleistet hat. Nachdem sein Pass den Raum gefunden hat, in dem andere glänzen.
Bestes Beispiel: das WM-Finale 2014. Gefeiert wird Siegtorschütze Mario Götze, vielleicht noch Vorlagengeber André Schürrle. Dabei hätte das DFB-Team ohne Kroos’ Gespür für die Lücke in Argentiniens Hintermannschaft, ohne seinen perfekten Pass unmittelbar zuvor, den Weltmeistertitel wohl nie feiern können. Die Anerkennung dafür und für ein insgesamt starkes Turnier bleibt Kroos in Deutschland wie so oft verwehrt. Seine Klasse vielen verborgen.
Die Anerkennung bekommt er erst bei Real Madrid. Dort wird Kroos in zehn Jahren zur unverzichtbaren Konstante, zur Legende. Denn Kroos spielt immer. Egal, ob erste Runde Pokal oder Finale der Champions League. Verlässlich und sicher gibt er dem Spiel der Königlichen Struktur. Er verlangsamt, wenn es zu hektisch wird, beschleunigt, wenn er eine Lücke erspäht. Mal steil und präzise, aber notfalls eben auch mal auf Sicherheit – mit einem Querpass.
In Spanien verleiht man ihm das Prädikat “Weltklasse” – aber in Deutschland passt er nicht ins Raster. Seine Ruhe auf dem Platz wird als fehlender Wille, nicht als Souveränität interpretiert, Querpässe fälschlicherweise als Ideenlosigkeit missdeutet. Seiner Spielweise werden die blamablen Auftritte der DFB-Auswahl bei der WM 2018 und der EM 2021 angelastet.
Kroos tritt aus der Nationalmannschaft zurück. Doch wie tief der Frust sitzt, zeigt sich ein Jahr später in einem legendären Interview direkt nach seinen fünften Champions-League-Sieg. ZDF-Reporter Nils Kaben stellt kritische Fragen. Und Kroos platzt der Kragen: „Du hattest 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen (…) und stellst mir zwei so Scheißfragen.“ Dann: „Ganz schlimm. Da weiß man direkt, dass du aus Deutschland kommst.“
Bei Kroos bricht der Frust durch, die jahrelang angestaute Irritation über den Ton, die Erwartung, die Haltung ihm gegenüber. Dieser Frust entlädt sich in einem vielleicht auch reinigendem Gewitter, das vielleicht hilft ein grundsätzliches Missverständnis aufzulösen und Kroos zu einer faireren Betrachtung zu verhelfen. Denn als sich Kroos 2024 von Bundestrainer Julian Nagelsmann zum Comeback für die Heim-EM überreden lässt, ist die Stimmung eine ganz andere geworden.
Statt Skepsis schlägt ihm Wohlwollen entgegen. Keine Euphorie, aber endlich Anerkennung. Obwohl Deutschland am Ende im Viertelfinale ausscheidet. Die Anerkennung, die ihm zusteht. Für seine sportlichen Erfolge, Weltmeister, sechsmaliger Champions-League-Sieger, 113 Länderspiele. Dafür, dass er sich nie anbiederte, nie für den Applaus spielte, sondern für den Fußball selbst.
Toni Kroos ist nie ein Spieler fürs grelle Rampenlicht gewesen, er hat selten Spektakuläres getan, aber immer zur richtigen Zeit den richtigen Ball gespielt. Dass das nicht der deutschen Vorstellung eines Sporthelden entspricht – und dass „Querpass-Toni“ zum geflügelten Vorwurf wurde – war nie sein Fehler, sondern unserer.
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