MillernTon
·6 août 2025
„Es geht um Kontrolle“ – Nein zur Bezahlkarte

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·6 août 2025
Auch nächste Saison können am Millerntor Gutscheine gegen Bargeld getauscht werden. Wir haben der Initiative „Hamburg sagt NEIN zur Bezahlkarte“ ein paar Fragen gestellt.(Titelfoto: Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte)
In Hamburg wurde im Februar 2024 als erstes Bundesland die Bezahlkarte für Asylbewerber*innen eingeführt. Bei der Bezahlkarte handelt es sich um eine Guthabenkarte, die ohne ein Konto funktioniert. Sie wird an Asylbewerber*innen ausgegeben, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben. Die Karte funktioniert nur in Geschäften, die VisaDebit-Zahlungen akzeptieren. Die Bargeldauszahlung ist begrenzt, denn es können nur 50€ im Monat (plus 10€ pro Kind) abgehoben werden. Für Zahlungen im Ausland, für Online-Bestellungen, Glücksspiele oder Geldtransfers kann die Karte nicht verwendet werden.
Da nicht alle Geschäfte Kartenzahlung akzeptieren und 50€ Bargeld im Monat meist nicht ausreichen, können Asylbewerber*innen nicht selbstbestimmt über ihre Ausgaben entscheiden. Viele weitere Probleme mit der Bezahlkarte zeigt Pro Asyl auf. Dennoch: an der Bezahlkarte soll bundesweit weiter festgehalten werden, ihre Nutzung sogar ausgeweitet. Zum Beispiel in jene Bereiche, die Sozialleistungen in bar auszahlen.
Die Initiative „Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte“ hat sich zum Auftrag gemacht, gegen die Bezahlkarte vorzugehen und Asylbewerber*innen dabei zu helfen, leichter an Bargeld zu kommen. Die Idee: ein Gutscheintausch. Asylberwerber*innen kaufen mit ihrer Bezahlkarte Gutscheine, zum Beispiel von Supermärkten, die durch andere Menschen in Bargeld umgetauscht werden. Dafür gibt es mehrere Tausch-Standorte in Hamburg. Auch bei Spieltagen am Millerntor. Wir haben mal bei der Initiative „Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte“ nachgefragt, um sie näher kennenzulernen und um darüber zu sprechen, wie gut ihr Angebot zum Gutscheintausch angenommen wird.
MillernTon: Wie kam es zur Gründung von „Hamburg sagt NEIN zu Bezahlkarte“?Mehr oder weniger gleichzeitig wie die Einführung der Bezahlkarte als Pilotprojekt im Februar 2024 haben wir uns als solidarische Einzelpersonen zusammen gefunden. Wir haben uns überlegt, wie wir bezüglich den Restriktionen der Bezahlkarte gegensteuern können und die betroffenen Personen – zu jenem Zeitpunkt nur Menschen in Erstaufnahmen, seit Anfang 2025 alle die über das Aslybewerber Leistungsgesetz Sozialleistungen beziehen – solidarisch unterstützen können.
MT: Wie seid ihr auf die Idee des Gutscheintausches gekommen?Der eigentliche Anstoss für die Gutschein-Tausch-Aktion kam von der Gruppe NINA („FraueN IN Aktion – Migrantische Selbstorganisation für FLINTA Personen in Hamburg“). Anfangs noch mit einem solidarischen Einkaufs-Tandem wurde dann beim ersten Versuch direkt auf die Gutschein-Variante gewechselt. So ist die Aktion weniger kompliziert und unabhängiger von individuellen Einkaufswünschen.
MT: Könnt ihr eine Bilanz ziehen? Wie gut ist das Angebot bisher angenommen worden? Das Angebot wird seit Beginn von allen Seiten sehr gut angenommen. Durch die Gutschein-Tausch-Aktion verhelfen wir Menschen mit Bezahlkarte – auf der neben anderen Einschränkungen eine Beschränkung von 50€ Bargeld im Monat ist – zu mehr Bargeld. Cash ist nach wie vor – entgegen der Aussage des Hamburger Senat, Hamburg steuere auf eine bargeldlose Stadt zu – immer noch enorm wichtig!Angefangen mit wenigen tausend Euro liegt der Tauschwert mittlerweile bei 40.000€ pro Monat und das bezieht sich nur auf unsere Tausch-Aktion. Die vier Orte, welche Die Linke bespielt, sind da nicht mit eingerechnet.
MT: Ihr fordert ein Basiskonto für alle. Könnt ihr etwas näher auf die Forderung eingehen und wie könnte diese konkret umgesetzt werden? Ein Basiskonto ist nichts Neues und wird für jede Person z. B. von den Sparkassen angeboten. Einige Geflüchtete die mittlerweile die Bezahlkarte erhalten, haben schon seit Jahren ein eigenes Konto. Für diese bedeutet die Bezahlkarte einen massiven Rückschritt in ein bevormundendes System. Es kostet 5€ / Monat, du kannst nicht in Dispo gehen aber ansonsten hat es die gleichen Möglichkeiten wie ein normales Konto: Daueraufträge, SEPA- Lastschriftverfahren, Paypal-Nutzung möglich, Überweisungen generell ok, Bargeldabhebung ohne Einschränkung und Gebühren möglich, eine EC-Karte, die in jedem Laden einsetzbar ist. Sprich: alles was wir gewöhnt sind und für selbstverständlich halten.Im Vergleich: Die Bezahlkarte ist eine Nicht-Kontogebundene Debit Karte, die von SecuPay und VISA zur Verfügung gestellt wird. Neben der Bargeldbegrenzung – bei Abhebung gehen jedesmal 0,65€ Gebühren an VISA – katsching! (Man merke sich: Gebühren auf sozialgelder, eigentlich nicht rechtens….) – sind auch Überweisungen und Lastschriftverfahren nur eingeschränkt möglich. Für Lastschrift-Mandate muss erstmal eine virtuelle IBAN-Nr. beantragt werden und dann für jede einzelne Überweisung/Mandat einen Antrag bei der Sozialbehörde gestellt werden. Termine, deutsche Bürokratie… Oje oje…..Dies bedeutet, dass die Sozialbehörde den kompletten Überblick hat, wann du wieviel Geld an wen überweist. Hallo, Datenschutz?!? Überweisungen sind zudem nur möglich an Konten, die von der Behörde auf einer sogenannte Whitelist genehmigt wurden. Dein eigenes Konto? Per Gesetz ausgeschlossen. Das Konto eine*r Freund*in? Unmöglich, da du über jedes Mandat/Überweisung eine Rechnung vorlegen musst.Die Mandate können von der Behörde auch abgewiesen werden. Wenn das dreimal passiert (also die Behörde zu einer Überweisung „Nein“ sagt) – und wir wissen zu diesem Zeitpunkt noch nicht inwiefern eine Ablehnung eines Lastschriftmandats begründet wird und womit – dann wirst du möglicherweise komplett gesperrt für Lastschrift-Mandate. Falls dein Konto mal nicht gedeckt war zum Beispiel für ein SEPA-Lastschriftverfahren, fallen 25€ Mahngebühren an. Autsch…Logische Schlussfolgerung: es geht um Kontrolle. Die Alternative Basiskonto ist nicht gewollt. Auch wenn die Bezahlkarten-Variante einen enormen Mehraufwand für die Behörde bedeutet.
Fazit: es sind gewollte Einschränkungen. Diskriminierung wird nicht nur in Kauf genommen, sondern ist vorprogrammiert. Bevormundung statt Selbstbestimmung… alles in allem: eine härtere Gangart gegen Geflüchtete. Die Message: kommt nicht her.Kleiner Funfact (Ironie): Die Bezahlkarte wird gerade an Jugendlichen in betreuten Wohnheimen erprobt und wahrscheinlich bald auch an Obdachlosen. Weitere prekäre Gruppen ohne Lobby, an denen beliebig nach unten getreten werden kann. Geplant: Bezahlkarte für alle die Sozialhilfe beziehen.
MT: Kann man auch in der neuen Saison Gutscheine am Millernton eintauschen? Yes, auf jeden Fall! Immer zwei Stunden vor Heimspielbeginn vor dem Fanladen und ab und an wieder mit Großaktionen im Stadion. Erzählt es weiter – steckt Bargeld ein! Großes Dankeschön an USP!
MT: Wie kann man euch sonst unterstützen? Als einfachster Weg: Kommt vorbei bei unseren Tauschorten und kauft uns Gutscheine ab. Wir sind mehr denn je auf Cash angewiesen. Das heißt auch: Wenn ihr Soli-Konzerte oder -Events plant, freuen wir uns auch über Spenden. Wer geerbt hat, kollektiviert das Erbe.Wir sind auch an vielen Straßenfesten. Zum Beispiel werden wir am Schanzenfest mit einem Stand mit unseren Friends von Iuventa vertreten sein, wo wir dann hoffentlich auch wieder die tollen Waschbär-Solishirts am Start haben werden! See you there!
Hier findet eine Liste an Orten, an dem man Gutscheine gegen Bargeld eintauschen kann:
Also, packt an Spieltagen etwas mehr Bargeld ein oder geht an einen der oben gelisteten Orte und tauscht es mit Gutscheinen! Tolle Aktion und großen Dank and die Initiative „Hamburg sagt NEIN zur Bezahlkarte“!// Nina
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