FC Bayern München
·5 mars 2025
Jamal Musiala: Die Antwort auf alles

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·5 mars 2025
Jamal Musiala hat seinen Vertrag bis 2030 verlängert und wird die Zukunft des FC Bayern prägen. Taktikexperte Christoph Biermann erklärt in der neuen Ausgabe unseres Mitgliedermagazins „51“ die Magie unserer Nummer 42 – und was das mit einem Science-Fiction-Roman zu tun hat.
Was ist die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest? Im Kultroman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams errechnet ein Mega-Computer nach mehreren Millionen Jahren Bedenkzeit das Ergebnis: 42. Beim FC Bayern trägt ein Spieler diese Nummer, und in gewisser Weise verkörpert er ein ähnliches Versprechen: Jamal Musiala hat auf dem Platz immer die richtige Antwort – und das ist nicht erst seit heute so. Hermann Gerland weiß noch genau, wie er dem Youngster zum ersten Mal im Bayern-Trikot zuschaute. Musiala war kurz zuvor mit seiner Familie von England nach Deutschland zurückgekehrt und von der Akademie des FC Chelsea an den Bayern-Campus gewechselt, den Gerland damals leitete.
„Ich dachte, jetzt muss er abspielen, und in dem Moment hat er abgespielt. Ich dachte, dass er sich nach links aufdrehen muss, da war es schon passiert“, erinnert sich Gerland und ergänzt lachend: „Dabei hatte ich ihm gar nichts gesagt.“ Da lief ein 16-Jähriger mit dünnen Beinen und Kindergesicht über den Rasen, verfügte auf magische Weise aber bereits über das gesamte Weltwissen des Fußballs. Jamal Musiala hatte das Spiel zu 100 Prozent verstanden, ohne dass ihm jemand etwas erklären musste. „Was er hat, das kann man Spielern nicht beibringen“, sagt Gerland.
Der „Tiger“ muss es wissen, er ist schließlich auch deshalb eine Legende des FC Bayern, weil er bärbeißig-liebevoll die Besten der Besten ausgebildet hat, ob sie nun Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Thomas Müller heißen. Gerland mag es nicht, Spieler miteinander zu vergleichen oder Hierarchien aufzustellen, weil sie ihm wie Söhne sind. Aber wenn er über Musiala spricht, hört man schnell durch, für was für einen Ausnahmespieler er den jungen Mann hält, den er am Campus als „schüchternen, wohlerzogenen Jungen“ erlebte. Nach einem Vergleich gefragt, kommt Gerland nämlich einer in den Sinn, für den er schwärmte, als er selbst jung war: „Pelé, der konnte das auch.“
Doch was ist dieses „das“, von dem Gerland spricht? Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass Musiala dank seiner sagenhaft engen Ballführung und seines spektakulären Gleichgewichtsgefühls einer der besten Dribbler im Weltfußball ist. Dass er seine Gegner so spielerisch und leicht auswackelt, ist erstaunlich, weil Musiala mit 1,84 Metern eigentlich ziemlich groß ist. Überragende Dribbler sind oft klein, ein tiefer Körperschwerpunkt hilft ihnen, den Gegnern zu entwischen. Außerdem finden wir die Fummler zumeist eher auf den Außenbahnen des Spielfelds, nur ganz Große wie Lionel Messi oder Neymar fühlen sich im dicht bevölkerten Zentrum wohl, wo auch Musiala zu Hause ist.
Dort ist er deshalb besonders wertvoll, weil es auf Spitzenniveau inzwischen schwierig ist, den Gegner aus der Balance zu bringen. Alle Teams sind so gut organisiert, dass man sie mit Kombinationen und Ballstafetten kaum noch ausspielen kann. Doch einer wie Musiala kann die gegnerische Defensive mit seinen Dribblings ins Chaos stürzen, und genauso hat er es selbst formuliert: „Wenn ich den Ball in der gegnerischen Hälfte erhalte, kann ich völlig frei sein. Ich versuche dann, Chaos zu stiften. Dass es nicht immer gelingt, ist nicht schlimm. Wichtig ist, dass ich den Mut habe, es auch nach zwei, drei misslungenen Sololäufen immer wieder zu versuchen“, sagte er in einem Interview. Für welche Verzweiflung er damit bei den Gegnern sorgt, zeigt der Umstand, dass es in der Bundesliga nur zwei Spieler gibt, die noch häufiger als er gefoult werden.
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Musiala ist im Zehnerraum hinter dem Mittelstürmer kein Spiel-Gestalter, der seine Mannschaftskameraden mit Kaskaden von Pässen einsetzt, obwohl er das gelegentlich auch tut. Er ist eher einer, den man vielleicht Spiel-Ermöglicher nennen könnte, denn er lässt Situationen und Räume erstehen, die es ohne ihn nicht geben würde.
Vincent Kompany und sein Trainerteam haben in dieser Saison daran gearbeitet, dass Musiala auch noch torgefährlicher wird. Wie das geht? Musiala musste vor allem häufiger in der Box auftauchen, und genau das macht er nun. Im Vergleich zur letzten Saison steigerte Musiala die Anzahl seiner Aktionen im gegnerischen Strafraum von 4,6 auf 6,0 pro 90 Minuten sowie die Zahl seiner Abschlüsse pro 90 Minuten von 2,6 auf 3,4 – eine Steigerung von über 30 Prozent. Wie präsent er inzwischen im gegnerischen Strafraum ist, zeigt ein anderer Wert: Nur sein Mannschaftskamerad Harry Kane und der Frankfurter Hugo Ekitiké sind in der Bundesliga dort häufiger am Ball.
Es gibt noch viele weitere Statistiken, in denen Musiala herausragt, aber welche Zahlen und Daten man auch heranzieht, sie verpassen den entscheidenden Punkt. Ein Spieler wie Jamal Musiala lässt uns nicht staunen, weil er effizient ist oder das Richtige tut. Er ist vielmehr ein Magier, der uns staunen lässt, weil wir nie gedacht hätten, dass es durch diesen Wald gegnerischer Beine tatsächlich einen Weg geben könnte. Ein Beispiel ist das 3:0 im Spitzenspiel gegen Frankfurt, als er den Ball kurz hinter der Mittellinie von Leroy Sané erhält und sich ganz selbstverständlich und selbstbewusst auf den Weg Richtung Tor macht – obwohl drei Gegenspieler diesen verstellen (oder es zumindest versuchen). Musiala verblüfft uns, weil er einen Passweg sieht, auf den wir nie gekommen wären. Die Nummer 42 findet Lösungen, die nicht nur zweckmäßig sind, sondern auch schön, und die einen besonderen Zauber haben.
Beim 4:0-Heimsieg gegen Frankfurt traf Musiala nach einem herrlichen Sololauf über das halbe Feld zum 3:0.
Dabei hat er sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt, neben der Torgefahr ist auch die Mischung aus Dribblings und Abspielen besser geworden. Bundestrainer Julian Nagelsmann bescheinigt dem erst 22-Jährigen inzwischen „eine gute Seniorität“. Die größte Leistung all seiner Ausbilder und Trainer war letztlich, sein Talent nicht zu behindern. Das fängt mit seinem Vater Daniel Richard an, der in seiner Heimat Nigeria selbst Fußballprofi war, und seinen Sohn schon mit vier Jahren zum Fußball brachte. In der G-Jugend in Fulda schoss Jamal Musiala über 100 Tore in einer Saison, manchmal waren es zehn in einem Spiel. „Schon damals war es ein Traum, ihm zuzusehen“, schwärmt Michael Hoffmann, beim TSV Lehnerz sein erster Coach.
Auch in der U10 von Chelsea staunte sein Trainer Saul Isaksson-Hurst, und er war Spitzentalente gewohnt: „Er war sehr aufregend, ein Wow-Spieler, wie wir das nannten, mit Wow-Momenten.“ Zum Glück kam angesichts dieses „Wow“ niemand auf die Idee, ihm das Dribbeln zu verbieten oder einen taktischen Rahmen zu spannen, der Musialas Kreativität zu sehr eingrenzt. Vielleicht wagte es schlicht niemand, weil sein Talent so überbordend und Musiala überdies ein Musterschüler war. Schon als Grundschüler in London belegte er Kurse in der koreanischen Kampfkunst Hapkido, um beweglicher zu werden. Außerdem trat er in den Schachclub seiner Schule ein. Heute, so sagt er, sei er nicht mehr so gut wie damals, aber er mag Schach immer noch: „Man muss viel nachdenken, das befreit den Kopf.“
Dass es mit dem Leverkusener Florian Wirtz einen fußballerischen Bruder im Geiste gibt und die beiden im Nationalteam gut harmonieren, hat dazu geführt, dass sie „Wusiala“ genannt werden. Darin steckt auch etwas „Schweini und Poldi“ oder „Icke und Litti“, weil sich das Land nach zwei volksnahen Typen sehnt, die einfach nur mit kindlicher Begeisterung kicken. Doch Musiala passt nicht so richtig in diese Schublade, denn der junge Mann, der bereits fast 200 Profispiele gemacht hat, ist kein verträumter „Bambi“-Kicker mehr. Er hat einen stark analytischen Blick auf sein Spiel, das er im Dialog mit seinen Trainern stetig weiterentwickelt. Musiala findet, dass sein Spiel aus 40 Prozent Intuition besteht und aus 60 Prozent Strategie. Bevor er sich in ein Dribbling stürzt, hat er längst gescannt, wo Mitspieler und Gegner auf dem Platz sind und welche Optionen sich daraus ergeben. So ist er denen, die ihm den Ball abjagen wollen, oft einen Schritt voraus (und oft auch zwei oder drei).
Musiala ist weder naiv, was seine Fähigkeiten betrifft, noch zu bescheiden. Klar und deutlich spricht er davon, beim FC Bayern eine Ära prägen zu wollen. Abseits des Platzes gewinnt der Mensch Musiala deutlich an Kontur, weil er kulturelle Interessen hat, etwa Musik auf Vinylschallplatten hört und Fotos mit einer analogen Kamera macht. Schon als Neunjähriger gewann Musiala einen Gedichtwettbewerb seiner Grundschule, der Corpus Christi Catholic Primary School in London. Später wurde das Gedicht „Moment“ in der Anthologie „Around the World in 80 Words“ abgedruckt. In den Versen beschreibt Jamal Musiala seinen ersten Tag als Jugendspieler bei Chelsea und wie ihn sein Vater zum Training bringt. „Plötzlich hält das Auto an. Ich schließe meine Augen. Ich hole tief Luft. Ich bin nicht mehr nervös. Ich bin glücklich. Ich weiß, was zu tun ist.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Der Autor Christoph Biermann ist einer der angesehensten deutschen Taktikexperten. Er veröffentlichte mehrere Fußballbücher, etwa „Matchplan. Die neue Fußball-Matrix“ (KiWi, 2018). Biermann stammt aus NRW und ist Fan von Westfalia Herne und des VfL Bochum.
Illustrationen: Davide Barco
Der Text erschien in der aktuellen Ausgabe des Mitgliedermagazins 51:
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