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·8 juin 2025
Schweres Erbe und hohe Erwartungen: Das ist U21-Coach Di Salvo

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Seit 2013 steht Antonio Di Salvo wie kaum ein Zweiter stellvertretend für die Nachwuchsarbeit im deutschen Fußball. Der 46-Jährige genießt als akribischer Bessermacher ein exzellentes Standing – und steht vor seinem zweiten Turnier als U21-Coach dennoch unter großem Druck.
Wenn man innerhalb des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach den Konstanten der letzten 15 Jahren sucht, kommt man an Antonio Di Salvo, genannt Toni, schlicht und ergreifend nicht vorbei. 2013 erhielt der in Paderborn geborene Sohn sizilianischer Einwanderer den Co-Trainerposten bei der U19-Nationalmannschaft – zuvor hatte er seine ersten Schritte an der Seitenlinie der U17-Junioren des FC Bayern gemacht.
Nach drei Jahren als Assistent von U19-Bundestrainer Marcus Sorg bekam Di Salvo im Sommer 2016 dann die große Chance: Er wurde zum Co-Trainer der U21-Junioren befördert! Der Ostwestfale sollte das Flaggschiff des deutschen Nachwuchs-Fußballs gemeinsam mit dem frisch installierten Cheftrainer Stefan Kuntz wieder auf Kurs führen, nachdem man in den drei vorherigen Turnieren nicht an den Erfolg des EM-Titels von 2009 anknüpfen konnte.
Das Paradoxe: Was Kuntz und Di Salvo mit zwei EM-Triumphen (2017, 2021) und einer Silbermedaille (2019) bestens gelang, macht dem 46-Jährigen seine heutige Arbeit alles andere als einfach. 2021 trat Di Salvo nämlich die Nachfolge seines scheidenden Chefs an, der mit zwei Titelgewinnen dementsprechend große Fußstapfen hinterlassen hatte.
Doch der frühere Stürmer war sichtlich darum bemüht, sich frühzeitig von Erfolgstrainer Kuntz zu emanzipieren. „Stefan hat ein Händchen dafür, Teamgeist zu schaffen und Glauben zu entwickeln, dass die Mannschaft stärker ist als alles andere. Das sind Dinge, die ich mir natürlich abgeschaut habe“, erklärte er im Sport1-Podcast. „Nichtsdestotrotz versuche ich natürlich, meinen eigenen Weg zu gehen.“
Dieser Weg sollte im Sommer 2023 jedoch auf das erste große Hindernis treffen. Die Europameisterschaft in Georgien und Rumänien brachte unerwartete Herausforderungen mit sich und geriet aus Sicht des DFB letztlich zum Debakel. Nach einem 1:1 gegen Israel und einer 1:2-Niederlage gegen Tschechien stellte das 0:2 gegen England das vorzeitige Vorrunden-Aus dar. So schlecht hatte die deutsche U21 seit 2013 nicht mehr abgeschnitten!
Foto: Getty Images
Viel mehr als das letztlich maue Ergebnis waren es die enttäuschenden und teils blutleeren Auftritte, die Di Salvo damals in den Mittelpunkt der Kritik rückten. Vor allem Angelo Stiller, der in den vergangenen zwei Jahren zum A-Nationalspieler reifte, schlug nach nach der Partie gegen England deutliche Töne an. „Ob wir genug Mut hatten, das weiß ich nicht. Wenn man sich das Spiel anschaut, das war auf jeden Fall nicht mutig, das war ohne Herz“, klagte der Mittelfeld-Mann des VfB Stuttgart.
Di Salvo selbst blieb nach seinem verpatzten Turnier-Debüt gefasst. „Wir hatten eine hohe Fluktuation, hatten über 50 Spieler dabei“, erklärte er mit Blick auf die zahlreichen Verletzten im Vorfeld der EM. „Wichtig ist, eine gute Teamstruktur mit klaren Abläufen zu haben. Das hat uns ein wenig gefehlt.“ Daher hatte der Paderborner frühzeitig betont: „Diese Mannschaft ist nicht der Titelverteidiger. Das ist ein ganz anderes Team.“ Man müsse in Zukunft neue Ansätze finden, um wieder zurück in die Erfolgsspur zu kommen.
Nach dem EM-Aus folgte, wie im Junioren-Bereich üblich, der personelle Neuaufbau. Di Salvo verabschiedete die Spieler der Jahrgänge 2000 und 2001 endgültig und arbeitete fortan mit einer noch jüngeren Mannschaft. In der Qualifikation zur Endrunde 2025 zeigte das Team eine positive Entwicklung: Mit acht Siegen und zwei Unentschieden aus zehn Spielen qualifizierte sich Deutschland als souveräner Gruppensieger für das Turnier in der Slowakei.
Di Salvo war in diesem Zeitraum viel eher als Moderator neben dem Platz denn als Taktiker an der Seitenlinie gefragt. Im Mittelpunkt: Die Affäre um Karim Adeyemi, der im November 2023 eine Einladung für die U21 ablehnte, um sich im BVB-Training für einen Stammplatz zu empfehlen. Der Flügelflitzer erntete dafür heftige Kritik, teilweise wurden sogar Sanktionen seitens des DFB gefordert.
Foto: Getty Images
Doch Di Salvo blieb ruhig. Ganz bewusst wollte er das Thema nicht an die große Glocke hängen und stellte selbstbewusst klar: „Die U21 ist attraktiv. Das wissen wir. Und wir brauchen jetzt nicht wegen einer Personalie ein Fass aufmachen. Wir konzentrieren uns jetzt auf die Spieler, die hier sind und ich bin sehr, sehr froh über den Kader, den ich hier habe.“
Im Nachhinein hätte man diese knifflige Personalie wohl kaum besser handeln können: Nachdem Adeyemi bei der darauffolgenden Abstellungsperiode im März 2024 nicht im Kader stand, kehrte er im September in die Reihen der U21 zurück – und hinterließ mit fünf Toren in nur zwei Partien einen blendenden Eindruck! „Ich will mich hier zeigen“, erklärte der BVB-Star im Anschluss merklich angefixt.
Bitter: Di Salvo wird bei seinem nun bevorstehenden zweiten Turnier als Cheftrainer nicht auf die Dienste von Adeyemi zurückgreifen können. Selbiges gilt auch für dessen Teamkollegen Maximilian Beier und Bayern-Neuzugang Tom Bischof, die mit ihren Vereinen bei der Klub-Weltmeisterschaft in den USA weilen werden. „Wir haben eine Situation, die keiner kennt“, musste Di Salvo bereits im vergangenen Jahr mit Blick auf seinen sichtlich ausgedünnten EM-Kader einräumen.
Trotz dieser Ausfälle und der verletzungsbedingten Abreise von VfB-Innenverteidiger Finn Jeltsch steht dem langjährigen DFB-Veteranen noch immer ein qualitativ hochwertiges Aufgebot zur Verfügung. Mit Noah Atubolu, Nathaniel Brown, Rocco Reitz, Paul Nebel oder Nick Woltemade verfügt der Bundestrainer über zahlreiche Akteure, die in ihren Bundesliga-Vereinen trotz jungen Alters zu den absoluten Leistungsträgern gehören.
„Es ist uns wirklich schwergefallen, weil alle Spieler es sehr gut gemacht haben und ihre Chance, sich in der Vorbereitung zu zeigen, absolut genutzt haben. Am Ende haben, neben den persönlichen Eindrücken, positionsspezifische Überlegungen und Verletzungen den Ausschlag gegeben“, erklärte Di Salvo letztlich bei der Bekanntgabe des Kaders.
Die Marschroute ist klar: Nach dem enttäuschenden Vorrunden-Aus bei der EM 2023 will Di Salvo in diesem Sommer Resultate liefern. In einer Vorrundengruppe mit England, Slowenien und Tschechien muss die DFB-Elf zwingend unter die ersten beiden Plätze kommen, um sich für das Viertelfinale zu qualifizieren – angesichts der mittlerweile zwei Jahre andauernden Ungeschlagen-Serie eine absolute Pflichtaufgabe.
Das weiß auch Di Salvo, der bei einem erneuten Ausscheiden nach der Gruppenphase wohl um sein Amt zittern müsste. Das Amt, das er so sehr liebt: „Es ist eine Top-Aufgabe. Dieser Job macht mir extrem Spaß. Es ist, was den Verband betrifft, ja die zweitwichtigste Mannschaft im Männerbereich.“