FC Bayern München
·3 septembre 2025
Thomas Müller in Vancouver: Vorsicht Blau!

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·3 septembre 2025
Nach mehr als 750 Spielen und 30 Titeln wechselte Thomas Müller im August zu den Vancouver Whitecaps. Unser Mitgliedermagazin 51 hat den FCB-Fanclub in der kanadischen Metropole bei dem Debüt und ersten Heimspiel unseres Rekordspielers begleitet und gespürt: Der Müller-Boom wird mindestens bis zur WM 2026 in Nordamerika anhalten.
Das Wunderbare am Fansein ist, dass das gemeinsame Erleben extremer Gefühle stärker verbindet als das Ergebnis, das nach 90 Minuten auf der Anzeigentafel steht. Und deshalb ist es den Mitgliedern des FC Bayern-Fanclubs „Mia san Vancouver“ gerade recht wurscht, dass die Whitecaps beim Debüt von Thomas Müller gegen Houston Dynamo kurz vor dem Ende den Ausgleich kassierten. Sie reden lieber über diese wahnwitzigen Emotionen, die ihnen der bayerische Neuzugang an diesem Sonntag geschenkt hatte: die Aufregung, als ihn Trainer Jesper Sørensen vom Warmlaufen holte. Die Gänsehaut, als ihn der Stadionsprecher bei der Einwechslung als „unsere Nummer 13“ vorstellte und „Mia san Vancouver“-Gründer Artikas Keschvari „zum ersten Mal so richtig glaubte, dass das alles wirklich passiert“. Und dann natürlich die kollektive Eskalation keine drei Minuten später, als Müller wie so oft in seiner Wahnsinnskarriere den Raum perfekt deutete, mal wieder dort stand, wo der Ball hinkam und sonst keiner war – und die Kugel per Direktabnahme aus 20 Metern unhaltbar ins linke untere Eck zimmerte.
„Was für ein Moment; daran werde ich mich den Rest meines Lebens erinnern “, sagt der 39-jährige Keschvari. Müller sah es im Post-Match-Interview ganz ähnlich: „Wie die Fans ausgerastet sind, wie die Kollegen reagiert haben, das war ein fantastischer Augenblick.“ Dass es wirklich nur ein Augenblick war, weil der Treffer wenige Sekunden später wegen Abseits aberkannt wurde – völlig egal! Die Aufregung, die Gänsehaut, die Ekstase, das kann ihnen keiner nehmen, das haben sie erlebt und sich ins Gehirn tätowiert. Und auf diese Erinnerung stoßen sie in der Bar „Wings“ nun an, kurz vor Mitternacht: auf den 17. August, ein historisches Datum, auf ihre Nummer 13, einen echten Weltstar. Man kann von hier aus das Stadion sehen und auch die Wohnung von Müller in einem Hochhaus nicht weit davon. Stünde er jetzt auf seinem Balkon, er könnte zurückprosten – und die „Mia san Vancouver“-Jungs sind sich sicher: Er würde es tun.
In seinem zweiten Spiel in Kanada schoss Thomas Müller dann sein erstes Tor, das auch zählte!
Für die FC Bayern-Fans an der kanadischen Pazifikküste, knapp 9.000 Flugkilometer und neun Zeitzonen von München entfernt, schließt sich an diesem Tag ein Kreis: Keschvari kam 2003 als Teenager aus Wien nach Vancouver, im Gepäck hatte er Erinnerungen ans gemeinsame Fußballschauen mit seinem mittlerweile 88 Jahre alten Papa, einem glühenden Bayern-Anhänger und Fan der deutschen Nationalelf. Nur: Vancouver ist Eishockey-Stadt; gemeinsam Fußball schauen konnte man lediglich im „Alpen Club“ – und da hatte Keschwari zu Beginn der WM 2014 genug: Zum ersten Spiel der deutschen Elf gegen Portugal kam er wegen Überfüllung nicht rein. „Hätten die mich reingelassen, wäre das alles nicht passiert“, sagt er – so wie Franz Beckenbauer gern die Geschichte erzählte, dass er nur wegen einer Watschn zum FC Bayern und nicht zu Sechzig kam.
Also organisierte er selbst ein Public-Viewing-Event in einer Bar: Zum Ghana-Spiel kamen 15 Leute. „Danach haben sich die Zuschauerzahlen mit jeder Partie verdoppelt und verdreifacht, zum Halbfinale gegen Brasilien kamen Hunderte Fans, mit Trommeln und Trompeten“, sagt er. Der Clou: „In der Sportsbar waren im Stockwerk unter uns die Brasilianer.“ Nach dem Finalsieg wenige Tage später, bei dem FCB-Spieler wie Neuer, Schweinsteiger und Müller eine zentrale Rolle spielten, fragte Keschvari die anderen Fans, ob sie Lust auf einen FC Bayern-Fanclub hätten. Der erste, der zusagte: Michael Hughes, Kumpel seit High-School-Tagen und Hardcore-Whitecaps-Fan. Er sitzt Keschvari gegenüber und behauptet, dass er das Tor von Müller aus allen Blickwinkeln und auch per Standbild zum Zeitpunkt der Hereingabe analysiert habe: kein Abseits, ganz sicher! „Der Blick durch die Vereinsbrille ist immer besser“, sagt er augenzwinkernd. Gefühle sind größer als Fakten.
Die Whitecaps- Fans singen: „Dies wird unser Jahr, weil wir Thomas Müller haben.“
Die erste Reise des Fanclubs: keine vier Wochen nach dem WM-Finale ins fünf Autostunden entfernte Portland. Die Guardiola-Bayern mit den neuen Weltmeistern machten für nicht einmal 24 Stunden in Portland Station. Der FC Bayern war in dieser Zeit die beste und spektakulärste Mannschaft der Welt. Im Tor Manuel „The Wall“ Neuer, im Zentrum der Fußballgott, „Robbery“ tanzten auf den Flügeln, und irgendwo stand das Genie Thomas Müller immer genau am richtigen Fleck. Kein Wunder, dass sich die Zahl der Fanclub-Mitglieder zwischen 2010 und 2015 weltweit um mehr als 50 Prozent erhöhte. Auch in der neuen Welt setzten immer mehr Menschen alles auf Rot: „Die Whatsapp-Gruppe mit den Fanclub-Präsidenten aus Nordamerika gibt es bis heute“, sagt Keschvari dazu nur. Und der Chat begann zu glühen, als sich im Sommer die Gerüchte konkretisierten, dass der Rekordspieler des FC Bayern tatsächlich über den großen Teich wechseln werde.
„Und jetzt ist er hier“, sagt Keschvari drei Stunden vor Spielbeginn. Die eingefleischten Whitecaps-Fans treffen sich vor jedem Heimspiel in der Fußballkneipe „Dublin Calling“. Alle tragen Trikots und Schals, manche haben gefärbte Haare, und ab und zu steckt jemand einen blau-weißen – ausgerechnet! – Bengalo an. Dann marschieren alle Whitecaps-Fans gemeinsam mit den Bayern-Anhängern den knappen Kilometer zum Stadion. „Die Ankunft von Müller in Kanada ist was Besonderes“, sagt Whitecaps-Fan Michael Hughes, der im Jugendsport der Stadt und auch für die Whitecaps-Jugend arbeitet.
In Vancouver glauben sie daran, dass es in diesem Jahr klappen könnte mit dem Titel. Müller hatte selbst gesagt, dass er nicht in Vancouver sei, um von seinem Balkon aus den Blick auf Stadion und Bucht zu genießen: „Ein Abenteuer ist nur spannend, wenn es um die Meisterschaft geht.“ Das tun die Whitecaps heuer, mit Müller umso mehr. Und das hat Auswirkungen über die Stadt hinaus.
Wenn alles so läuft, wie die Fans in Vancouver hoffen, findet hier das Finale der MLS statt.
Seit 1996 gibt es die Major League Soccer, seitdem hat nur ein kanadischer Verein den Titel gewonnen: Toronto FC 2017. Die Whitecaps sind seit 2011 dabei und haben seitdem zweimal das Viertelfinale erreicht. Seit acht Jahren sind sie nicht mehr über die erste Playoff-Runde hinausgekommen. Im Weltfußball ist der Club vor allem dafür bekannt, dass dort Alphonso Davies ausgebildet wurde. Seit 2018 spielt der Linksverteidiger beim FC Bayern, und er hat Müller vor dem Wechsel bestätigt, dass Vancouver genau die richtige Stadt für ihn sei. Und nicht nur, weil man sowohl in Vancouver als auch in München die Gipfel hoher Berge sehen kann.
Auch die kanadischen Bayern-Fans können sich noch gut an den pfeilschnellen Alphonso Davies erinnern. „Bei dem hast du schon damals gesehen: Der wird ein Star“, sagt Keschvari. Dass ein in Vancouver ausgebildetes Talent im Champions League-Viertelfinale auch mal Lionel Messi ausdribbelt und für einen der ikonischsten Fußballmomente des 21. Jahrhunderts sorgt, hat eine nachhaltige Wirkung: „Seitdem tut sich was“, sagt Keschvari, auch mit Blick auf die Startaufstellung: Müller sitzt wie besprochen zunächst auf der Bank. Auf seiner Position beginnt der 19 Jahre alte Jeevan Badwal, der mit 13 in die Whitecaps-Jugendakademie gekommen ist. Bestenfalls soll Badwal von Müller nun das noch bessere Deuten der Räume lernen, vielleicht sogar schon für die WM 2026: Sieben Spiele werden in Vancouver stattfinden, davon zwei Gruppenspiele der Kanadier sowie – sollte der Gastgeber erfolgreich sein – deren Partien im Sechzehntel- und Achtelfinale.
Vancouver wird der kanadische WM-Hotspot sein. Und es könnte keine bessere Werbung für den Fußballsport geben als eine erfolgreiche Whitecaps-Saison mit der Legende Müller. Gastgeber im MLS-Endspiel am 6. Dezember wird der Finalist mit der höheren Punktzahl aus der regulären Saison sein, also: Warum nicht zum ersten Mal Vancouver? Müller sagt selbst: „Ich will Teil der Entwicklung von Vancouver zur Fußballstadt sein – indem ich Leistung bringe.“ Das ist die Hoffnung der Whitecaps- und der „Mia san Vancouver“-Fans. Und natürlich ist Hoffnung das nach Torjubel-Ekstase zweitschönste Gefühl für Fußballfans. Den Namen der Hoffnung tragen die meisten Fans auf ihrem Trikot; bei vielen wie Keschvari oder Kumpel Hughes ist es eines des FC Bayern oder der deutschen Nationalmannschaft – denn, wie Keschvari sagt: „Ich habe wirklich gesucht: Es gab in der ganzen Stadt weder Whitecaps-Müller-Trikots noch -Schals; alles ausverkauft. Das habe ich noch nie erlebt.“
Der Fanclub „Mia san Vancouver“ wurde kurz nach dem deutschen WM-Sieg 2014 gegründet.
Eine Stunde vor Spielbeginn marschieren Hunderte Fans los zum Stadion, und an dieser Stelle vielleicht noch eine kleine Anekdote, wie sich das alles gefügt hat bei „Mia san Vancouver“: Nicht alle Mitglieder sind ja automatisch auch Whitecaps-Fans, auch wenn es diese Verbindung durch Davies gibt, die nun durch Müller noch inniger geworden ist. Die Fanclub-Gründer haben vor elf Jahren beschlossen, pro Jahr gemeinsam ein Heimspiel zu besuchen, die Tickets dafür kaufen sie jeweils Monate vorher, damit auch alle den Termin freischaufeln können – kommt ja sonst immer was dazwischen. Das Spiel in dieser Saison, kein Witz: das gegen Houston am 17. August. Wer da keine Gänsehaut kriegt, dem hat die Natur einen grauen Stein statt eines roten Herzens in die Brust gesetzt.
Nach den ersten von hoffentlich vielen Gänsehautmomenten, die ihnen Müller geschenkt hat, sitzen die „Mia san Vancouver“-Mitglieder noch lange zusammen. Es dürften die glücklichsten Fans der Sportgeschichte sein, die kurz vor Schluss den Ausgleich kassiert haben. Sie stoßen auf den FC Bayern an, auf die Whitecaps, auf Müller sowieso und darauf, wie sich das alles gefügt hat.
Sollte Thomas Müller in diesem Moment wirklich auf seinem Balkon stehen, dürfte er gespürt haben, dass ihn diese Stadt längst ins Herz geschlossen hat. Vancouver ist nun – und das ist gerade für ihn, der seine komplette Karriere in nur einer Stadt verbracht hat, sicher ein schönes Gefühl – bereits nach dem ersten Spiel seine zweite Heimat.
Der Text erschien in der September-Ausgabe des FC Bayern-Mitgliedermagazins „51“ – hier in einer gekürzten Fassung.