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·13 Juni 2025
1860-Aufstiegstorwart Rainer Berg im db24-Interview: "Der Verein muss einen Konsens finden - sonst ist es eine Totgeburt!"

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·13 Juni 2025
Rainer Berg (59) hat das geschafft, wovon manche Löwen nur träumen können: Er ist gleich dreimal mit dem TSV 1860 aufgestiegen. Einmal unter Karsten Wettberg 1991 - und mit dem unvergessenen Werner Lorant ist dem Torwart-Denkmal der Durchmarsch von der Bayernliga bis in die Bundesliga gelungen. Damit ist er eine Legende, die den Namen auch verdient. Das db24-Interview:
db24: Das Wunder von Meppen jährte sich unter der Woche zum 31. Mal: Herr Berg, welche Gefühle sind da zwischenzeitlich hochgekommen?
RAINER BERG: Meppen 1994 ist neben dem ersten Aufstieg mit Karsten Wettberg drei Jahre zuvor der Erfolg, der am längsten in Erinnerung bleibt. Das ganze Jahr war ein Highlight. Eigentlich war der Auftrag, nicht abzusteigen - am Ende sind wir aufgestiegen! Und wenn ich ehrlich bin: Ich weiß gar nicht mehr, was an diesem 11. Juni auf dem Spielfeld genau passiert ist. Was aber unvergessen bleibt, waren die Feierlichkeiten danach. Das war surreal. Der kleine Flughafen und das Buffet, das auf der Landebahn aufgebaut war, sind noch immer im Gedächtnis. Und dann natürlich der Rückflug mit einer kleinen Charter-Maschine. Das war eine einzige Party - eine Stimmung wie im Bierzelt oder auf dem Ballermann auf Malle. Nicht zu vergessen dann einen Tag später die Feierlichkeiten auf dem Marienplatz…
db24: Was war das Erfolgsgeheimnis dieser legendären Mannschaft?
Naja, wir hatten eine Achse, die einige Jahre zusammengeblieben ist: Thomas Miller, Bernhard Trares oder Armin Störzenhofecker - es wurde nach dem Aufstieg in die Zweite Liga nicht die Mannschaft ausgetauscht, sondern am Gerüst festgehalten. Das war natürlich wichtig. Der Kern beziehungsweise die Struktur wurde nicht unnötig über den Haufen geworfen. Jeder wusste, was zu tun ist - und natürlich war der Verein auch gut aufgestellt. Ein unzufriedener Spieler wusste: Es bringt nichts, in die Geschäftsstelle zu gehen und sich auszuweinen. 1860 hatte in dieser Zeit keine Baustellen - und für Sechzig völlig untypisch: Absolute Ruhe: Das war das Erfolgsgeheimnis.
db24: Hört sich eigentlich alles ganz einfach an…
Natürlich hatte Werner Lorant einen riesengroßen Anteil an diesem Durchmarsch. Als Trainer bist du nur so stark, wie dich der Verein macht. Lorants Vorteil war, dass er wusste, dass er die bedingungslose Unterstützung des Präsidenten hat. Und dann hat sich eine Eigendynamik entwickelt, die phänomenal war - selbst mehrere Niederlagen zum Rückrunden-Start haben uns nicht umgeworfen. Wir hatten auch echte Charaktere in der Mannschaft, das muss man sagen. Nehmen wir Peter Pacult: Als er kam, gab´s Zweifel aufgrund seines Alters. Er war aber ein Sechser im Lotto. Oder das Beispiel Thomas Miller: Da hat man gesagt, der kann nicht mehr als Bayernliga - zwei Jahre später hat er reihenweise die Topstürmer in der Bundesliga abgekocht.
db24: Als die Mannschaft sich 1997 für den Uefa-Cup qualifizierte, verabschiedeten sie sich: Warum?
Ich durfte die ersten drei Jahre in der Bundesliga mitmachen - aber dann habe ich kurz vor der Winterpause eine schwere Thrombose bekommen. Und in diesen zwei Monaten hat Bernd Meier überragend gehalten. In dieser Zeit hatte er sogar eine Einladung zur Nationalmannschaft. In meinem letzten Jahr bei 1860 habe ich dann 23 Bundesliga-Spiele gemacht. Ich kam nach der Winterpause ins Tor zurück, weil Werner Lorant mir beim Frühstück vor dem Auswärtsspiel in Hamburg gesagt hatte: “Der Bernd war die ganze Nacht auf der Schüssel - du spielst!” Wir gewannen 3:2 beim HSV - und ich war bis zum Rest der Saison im Tor.
db24: Und trotzdem sind Sie in die Zweite Liga zum 1. FC Nürnberg gewechselt?
Im Winter 1996, als ich zuvor nicht mehr zum Einsatz gekommen bin, hatte ich schon in Nürnberg unterschrieben. Ich wollte einfach nur spielen. Im nachhinein war das der einzige Fehler meiner Karriere. Aber ich will mich nicht beschweren: Als ich zu 1860 gekommen bin, war der Klub zuvor fast zehn Jahre in der Bayernliga - ich bin gegangen, als wir uns für den Uefa-Cup qualifizierten.
db24: Nach Ihnen kamen viele gute Torhüter zu 1860: Wer war der Beste?
Am einprägendsten war für mich Gabor Kiraly. Der war einfach nur super. Aus der Ferne hat er mich brutal imponiert: Er hatte eine herausragende Strafraumbeherrschung und Ausstrahlung. Auch noch im hohen Alter. Und dann hat Gerhard Poschner, der damalige Sportchef, Stefan Ortega geholt und die Leute haben gesagt: “Wie kann man nur so blöd sein? Wenn man die Entwicklung von Ortega heute sieht, muss man sagen: Ortega war damals ein Bombentransfer! Natürlich muss man aber auch sagen, dass er bei 1860 nie das Level hatte, das er kurze Zeit später in Bielefeld hatte. Auch Simon Jentzsch war bei 1860 top. Sportlich stand er vielleicht sogar über Gabor…
Ich hoffe für Hiller, dass er sich nicht verzockt hat
db24: Die Löwen haben gerade wieder eine Torwartdiskussion, nachdem Marco Hiller nach 17 Jahren den Verein auf eigenen Wunsch verlassen hat. Bedauern Sie seine Entscheidung?
Ich sehe das differenziert: Marco Hiller ist für mich ein richtig guter Drittliga-Torwart, aber nach weiter oben wird die Luft dünn. Flapsig gesagt: Auf der Linie und im Eins-gegen-Eins hat er Bundesliga-Niveau, bei den Flanken, mit dem Fuß und bei der Strafraumbehrrschung ist er aber nur Regionalliga. Und das bitte nicht als Kritik verstehen. Wenn er in allen Bereichen überragend wäre, hätte er nie für 1860 gespielt. Hillers Entwicklung bei den Löwen war trotzdem phänomenal, er war ja zunächst gar nicht als Einser-Torwart vorgesehen. Dass er zum jetzigen Zeitpunkt bei keinem neuen Verein unterschrieben hat, überrascht mich. Ich hoffe für Hiller, dass er sich nicht verzockt hat.
db24: Wie bewerten Sie Rene Vollath, der ab sofort als Standby-Torwart und Torwarttrainer bei 1860 agieren soll?
Ich bin bei Rene nicht ganz objektiv, das muss ich vorausschicken: Ich habe ihn schon als Jugendlichen trainiert und ihn dann zu Wiggerl Kögl vermittelt. Wir haben guten Kontakt. Rene hat das, was Hiller fehlt: Er interpretiert die Rolle als Torwart sehr offensiv. Auch vom Typ her ist er überragend, für ganz haben ihm die Zentimeter gefehlt. Den Gedanken, den 1860 jetzt hat, ist ein sehr cleverer Schachzug: Was Rene als Torwarttrainer veranstaltet, ist großes Kino. Er hatte diese Rolle ja schon in Unterhaching, als er eine überragende Drittliga-Saison gespielt und gleichzeitig Konstantin Heide aufgebaut hat. Ich traue Rene aber auch noch zu, in der Dritten Liga eine sehr gute Rolle als Torwart zu spielen, sollte Not am Mann sein. Er ist ja noch keine 40…
db24: Sie sind bei 1860 ein eher seltener Gast: Nach drei Jahren Abstand waren Sie beim 1:3 gegen Essen wieder einmal im Grünwalder Stadion…
Das Spiel gegen Essen hatte eine besondere Komponente: Nachdem es mir nicht möglich war, zur Trauerfeier von Werner Lorant am 1. Mai zu kommen, habe ich dieses Spiel genutzt, um Abschied zu nehmen. Auch wenn ich selten zu Besuch da bin, verfolge ich 1860 trotzdem. Ich hatte auch viele nette Gespräche in der VIP-Alm, aber bei diesem Besuch habe ich einmal mehr die Zerrissenheit bei 1860 gespürt - und ich will betonen: Ich bin weder für die eine, noch die andere Seite. Man merkt einfach, wenn du mit Fans spricht, bist du selbst nur am Jonglieren. Wie ein Politiker. Das macht keinen Spaß! Du hast 200 Fans von dem Lager - und 200 Fans vom anderen Lager. Der Verein muss einen Konsens finden, sonst ist es eine Totgeburt. Egal welche Seite, es ist leider keine faire Diskussion möglich - das ist schlimm. Es fehlt mir die Fantasie, wie dieses Problem je gelöst werden kann.
Ich will den Verein noch mal in der Ersten Liga sehen - aber meine Hoffnung schwindet.
db24: Blenden wir die Politik aus: Wie sehen Sie 1860 heute?
Wenn Ihnen eine Ferndiagnose reicht, gerne: Die Mannschaft hätte in den letzten Jahren immer wieder die Qualität gehabt, um aufzusteigen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Nur wenn du Ruhe im Verein und eine klare Hierarchie hast, kannst du auch erfolgreich sein. Als ich zuletzt in der Alm war, hat mich nach kurzer Zeit das Klima belastet - und mir braucht keiner zu sagen, dass die Spieler das nicht mitbekommen. Ich hatte das nur ein paar Stunden, die Spieler jeden Tag. Ich kann nur sagen: Ich will den Verein noch mal in der Ersten Liga sehen - aber meine Hoffnung schwindet.
db24: Was machen Sie heute beruflich?
Ich habe seit 12 Jahren eine eigene Torwartschule, die mir sehr große Freude bereitet. Ich betreue sehr viele talentierte Torhüter. Mein Hauptverein ist der SV Neuried. Von Kleinfeld bis hoch zu den Herren mache ich alles zweimal wöchentlich. Beim SC Arcadia betreue ich die U15- und U16-Torhüter. Dann habe ich ein Superprojekt vom Förderverein Pfaffenhofen, bei dem die besten Keeper aus der Region trainiere - und ab 1. Juli kommen Jugend-Kleinfeld und die Damen des FC Markt Schwaben dazu. Insgesamt sind von mir bereits 31 Torhüter in einem NLZ gelandet, davon acht oder neun bei den Löwen.
db24: Das ist eine respektable Ausbeute, aber warum sind Sie nie zu 1860 als Torwarttrainer zurückgekehrt?
Es gab 2014 ein konkretes Angebot von Florian Hinterberger und Alex Schmidt. Der Reiz war riesengroß, aber ich habe Hinterberger gesagt, wenn ich meine Torwartschule aufgeben muss, dann brauche ich einen langfristigen Vertrag. Den konnte er mir nicht bieten. Ich habe mich dann ganz bewusst gegen das Angebot entschieden.