90min
·19 Agustus 2025
"Die Champions League ist das große Ziel": Bayern-Neuzugang Vanessa Gilles im 90min-Interview

In partnership with
Yahoo sports90min
·19 Agustus 2025
Es ist nichts Neues, dass die Hoffnungen und Anstrengungen beim FC Bayern München groß sind, in den kommenden Jahren neben den nationalen Titeln auch in der Women's Champions League erfolgreich zu sein - und ultimativ auch den Titel zu holen. Rekordsieger des Wettbewerbs ist OL Lyonnes - ehemals Olympique Lyon. Von dort hat sich der Deutsche Meister im Sommer für die Innenverteidigung mit der 29-jährigen Vanessa Gilles Verstärkung geholt.
Die zweikampferprobte kanadische Nationalspielerin, die 2021 Olympia-Gold holte, hat die Königinnenklasse zwar selbst noch nicht gewonnen, bringt jedoch reichlich Erfahrung und Ambitionen mit, um den FCB einen Schritt näher an sein Ziel zu bringen. Im Gespräch mit 90min redet Gilles über das Wiedersehen mit Trainer José Barcala, mit dem sie schon bei Girondins Bordeaux zusammengearbeitet hat, sowie über die Schwierigkeiten im Umgang mit deutschem Humor.
90min: Wie hast du dich in München eingelebt und wie waren deine ersten Wochen mit den neuen Teamkolleginnen?Vanessa Gilles: "Es läuft sehr gut. Ich bin vor etwa drei Wochen angekommen. Durch die EM waren anfangs nur wenige Spielerinnen da, teils waren wir nur zu viert, so konnten wir uns schnell kennenlernen. Die anderen sind nach und nach zurückgekommen. Die Stadt ist wunderschön, und ich genieße es, sie zu entdecken. In den letzten Wochen habe ich auch meine Wohnung eingerichtet. So langsam fühlt sich München wie ein Zuhause an."
"Die Mädels haben mich sehr herzlich aufgenommen. Noch spreche ich kein Deutsch, aber mein Sprachkurs startet bald, und ich freue mich darauf, dann auch die Witze zu verstehen. Ein paar Wörter habe ich schon aufgeschnappt – ob die alltagstauglich sind, ist eine andere Frage. Angefangen habe ich mit Duolingo und Podcasts. Sobald wir in der Gruppe starten, wird es bestimmt leichter, so eine anspruchsvolle Sprache gemeinsam zu lernen."
Mit Lyon hielt Gilles in der vergangenen Saison noch als Gegenspielerin von Klara Bühl her - nun sind die beiden Teamkolleginnen / Catherine Steenkeste/GettyImages
90min: Hast du dich vor deinem Wechsel nach München mit deinen Mitspielerinnen in Lyon über die Frauen-Bundesliga und den FC Bayern unterhalten?Vanessa Gilles: "Ich habe viel mit Sara [Däbritz] gesprochen, die eine enge Freundin von mir ist, auch schon bevor ich mich für Bayern entschieden habe. Ein wichtiger Grund für meinen Wechsel war, dass auch ehemalige Bayern-Spielerinnen sehr positiv über den Verein und die Liga gesprochen haben. Es ist eher selten, dass man so ein durchgehend positives Feedback hört. Zur Frauen-Bundesliga selbst heißt es, dass sie sehr organisiert ist, körperlich anspruchsvoll und kompetitiv. Ich freue mich darauf, eine neue Liga kennenzulernen. Ich war viele Jahre in Frankreich, aber jetzt war es an der Zeit, meine Komfortzone zu verlassen und eine neue Kultur und Fußballphilosophie zu entdecken."
90min: Wie war dein Eindruck vom FC Bayern, als du in der letzten Saison mit Lyon zweimal gegen sie gespielt hast?Vanessa Gilles: "Was mich am meisten beeindruckt hat, war, wie gut Bayern organisiert ist. Es ist ein Team, das als Einheit spielt, das hebt sie auf ein anderes Level. Es geht weniger um Einzelspielerinnen, sondern wirklich um das Kollektiv. Jetzt, wo ich hier bin und sehe, wie sie trainieren und miteinander sprechen, wird das nochmal deutlicher. Diese Teamorientierung spiegelt sich auch in der deutschen Nationalmannschaft wider. Das sieht man bei Turnieren wie der EM. Genau das ist, denke ich, einer der Schlüssel zu ihrem Erfolg, national wie international."
90min: Als jemand mit französischen Wurzeln und nun Spielerin eines deutschen Klubs, wie hast du das EM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Frankreich erlebt?Vanessa Gilles: "Ich habe das Spiel mit meinen Eltern geschaut, fußballerisch war es großartig. Für mich ist Fußball so faszinierend, weil jeder gewinnen kann. Kein Spiel ist wie das andere, jede Mannschaft bringt ihren eigenen Stil mit. Besonders beeindruckt hat mich der Zusammenhalt und der Wille der Deutschen. Natürlich habe ich viele Freundinnen im französischen Team, und es war hart mitanzusehen, wie viel Kritik sie nach dem Spiel einstecken mussten. Als Spielerin weiß man, dass man alles gibt, es aber manchmal nicht reicht. Die Anfeindungen danach hatten sie nicht verdient. Trotzdem war es inspirierend zu sehen, wie Deutschland aufgetreten ist. Auch aus Fanperspektive war es, wie das gesamte Turnier, sehr beeindruckend."
90min: In anderen Interviews hast du den familiären Zusammenhalt bei Bayern betont. Welche Rolle hat das bei deinem Wechsel gespielt?Vanessa Gilles: "Das Vereinsmotto 'Mia san mia' bringt es auf den Punkt. Wenn man das Trikot anzieht, darf man nicht nur stolz sein, sondern muss auch Verantwortung übernehmen. Bei Bayern zählt das Team, Erfolge werden gemeinsam erreicht und nicht im Alleingang. Das gilt für die Männer genauso wie für die Frauen. Gerade mit dem neuen Trainerteam und den Neuzugängen spürt man den kollektiven Anspruch. Alles, was wir auf und neben dem Platz tun, ist auf das Team ausgerichtet. Das hat mich sehr angesprochen und war ein wichtiger Grund für meinen Wechsel."
90min: Mit Trainer José Barcala arbeitest du erneut zusammen, ihr kennt euch von Girondins Bordeaux. Welchen Einfluss hatte er auf deine bisherige Karriere?Vanessa Gilles: "Ich schätze José sehr. Dass ich heute auf diesem Niveau spiele, verdanke ich ihm und Pedro [Martínez Losa] aus unserer Zeit in Bordeaux. Ich habe erst mit 16 Jahren angefangen Fußball zu spielen. Damals hätte ich nie gedacht, so weit kommen zu können. Der Wechsel zu Bayern war für mich auch eine Entscheidung für meine persönliche Entwicklung. Josés Philosophie ist es, jede Spielerin individuell weiterzuentwickeln und dabei das Team im Blick zu behalten. In Bordeaux habe ich das schon selbst erlebt."
"Die letzte Saison war für mich nicht einfach, weil ich etwas das Vertrauen in mein Spiel verloren habe. Ich habe mich nirgendwo so wohl am Ball gefühlt, wie damals, als ich unter José trainiert habe. Ich freue mich sehr darauf, wieder mit mehr Selbstvertrauen zu spielen und Spaß am Fußball zu haben."
International läuft Gilles für Kanada auf - Highlight war hier der Gewinn der Gold-Medaille bei Olympia 2021 / Roger Wimmer/ISI Photos/USSF/GettyImages
90min: Wo siehst du deine Rolle in der starken Defensive von Bayern?Vanessa Gilles: "Titel gewinnt man nur gemeinsam. Für mich geht es darum, mich gut zu integrieren, die Spielweise des Teams zu verstehen und von meinen Mitspielerinnen zu lernen, insbesondere von den Weltklasse-Innenverteidigerinnen hier. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, erfolgreich zu sein und mich dabei persönlich weiterentwickeln."
90min: Du bist bekannt dafür, gerne Witze zu machen. Ist das mit der Sprachbarriere schwierig?Vanessa Gilles: "Ja, ein bisschen. Ich wusste durch Sara [Däbritz], Maro [Dzsenifer Marozsán] und Laura [Benkarth] schon, wie der deutsche Humor funktioniert. Es hat damals zwei Jahre gedauert, bis sie über meine Witze gelacht haben. Ich gebe die Hoffnung also nicht so schnell auf. Ich würde sagen, mit Ironie ist es hier vielleicht etwas schwerer. Deutsche sind in der Regel sehr direkt, während Nordamerikaner eher indirekt kommunizieren. Im Moment taste ich mich noch heran, aber hoffentlich bringe ich sie bald zum Lachen!"
90min: Bayern hat letztes Jahr das Double gewonnen. Wie sehen deine Ziele mit dem Team aus?Vanessa Gilles: "Für mich und das Team ist die Champions League das nächste große Ziel. Mit der Qualität und Tiefe im Kader ist das definitiv möglich, aber wir alle wissen, dass dafür sehr viel zusammenpassen muss und das nicht einfach so von heute auf morgen geht. National geht es darum, Bayerns Führungsrolle zu festigen: die Meisterschaft zu verteidigen, weitere Titel zu holen und Top-Spielerinnen durch Erfolg anzuziehen."
90min: Wie intensiv hast du Bayern in den letzten Jahren verfolgt?Vanessa Gilles: "Ich bin in erster Linie Fußballfan, da verfolgt man automatisch die Topligen. Und mit deutschen Freunden kommt man nicht an der Frauen-Bundesliga vorbei. In den letzten drei Jahren habe ich die Rivalität mit Wolfsburg und die Auftritte in der Champions League verfolgt. Mich hat beeindruckt, wie sich der Verein jedes Jahr weiterentwickelt und wie groß der Ehrgeiz ist. Ich erinnere mich an die Doku [‚Mehr als 90 Minuten‘] nach dem frühen Aus in der Gruppenphase vor eineinhalb Jahren und wie groß die Enttäuschung war. Viele Vereine wären zufrieden gewesen, einfach dabei zu sein, aber dieser Hunger, mehr zu wollen, hat mich beeindruckt. Auch die Investitionen und das, was hinter den Kulissen passiert, zeigen, wie ernst man den Frauenfußball beim FC Bayern nimmt. Genau deshalb wollte ich Teil dieses Projekts werden, die Basis aus Vision, Struktur und Ambition stimmt."
90min: Dein erstes Bundesliga-Spiel wird in der Allianz Arena stattfinden. Wie besonders ist das für dich?Vanessa Gilles: "Das ist riesig. Es wird sehr emotional – das Trikot zu tragen, die Saison zu eröffnen und dann auch gleich in einem der besten Stadien der Welt, mit einem Bundesliga-Rekord vor jetzt schon über 40.000 Zuschauer:innen. Ich möchte den Moment bewusst erleben und dankbar sein, denn nicht jede bekommt die Chance, für Bayern in der Allianz Arena aufzulaufen. Das ist eine große Ehre für mich."