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Philipp Overhoff·20 September 2025
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Philipp Overhoff·20 September 2025
Union Berlin etablierte sich nach dem Aufstieg 2019 dank knallhartem Defensivfußball in rasendem Tempo im Oberhaus und qualifizierte sich drei Mal für Europa. Nahezu keine deutsche Mannschaft arbeitete in diesem Zeitraum besser gegen den Ball. Stabilität und Kompaktheit wurden an der Alten Försterei so groß geschrieben, dass man sie sogar im Berliner Westend sehen konnte.
Auch als die Köpenicker in den vergangenen beiden Spielzeiten erstmals so richtig in den Abstiegskampf rutschten, war auf die eigene Abwehr Verlass. Während die Offensive zu den harmlosesten der Liga zählte, bescherte die Hintermannschaft den Hauptstädtern immer wieder wichtige Punkte.
Davon ist im September 2025 allerdings nicht mehr viel zu sehen. In drei Spielen schluckte Union satte acht Gegentreffer und stellt plötzlich die schlechteste Defensive der Liga.
Aber warum musste Frederik Rønnow alleine in den letzten Wochen öfter hinter sich greifen als zu Urs-Fischer-Zeiten in mehreren Monaten?
Zum einen ist da Leopold Querfeld: Der Österreicher mauserte sich in der letzten Saison zu einem der spannendsten Defensiv-Talente in der Bundesliga und sollte in diesem Sommer den Schritt zum Abwehrchef gehen. Diese Entwicklung blieb jedoch aus, der 21-Jährige patzte zuletzt gleich mehrfach.
Ohne Diogo Leite an seiner Seite ist Querfeld plötzlich komplett am Schwimmen. Der Portugiese wollte den Klub im Sommer unbedingt verlassen, der Transfer scheiterte. Weil Leite Angst vor einer Verletzung hatte, arbeitete er mehrere Wochen lang nur individuell und besitzt deshalb Trainingsrückstand. Zu einem Pflichtspieleinsatz kam es noch nicht.
Doch der 26-Jährige könnte früher als erwartet gebraucht werden. Wegen der Rot-Sperre von Tom Rothe dürfte Trainer Steffen Baumgart seinen wechselwilligen Schützling gegen Eintracht Frankfurt in die Startelf beordern: "Wenn er den Fitnesszustand hat, den er in den letzten Wochen verloren hat, wird er relativ schnell eine sehr gute Alternative sein", sagte er laut 'BZ' über Leite.
Ob er aber auch wieder einen Stammplatz bekommt, wirkt fraglich. Baumgart steckte während seiner Zeit beim 1. FC Köln schon einmal in einer ähnlichen Situation und setzte einen Profi mit auslaufendem Vertrag und konkreten Abwanderungsgedanken trotz des sportlichen Needs nicht ein: Die Rede ist von Offensiv-Juwel Justin Diehl, mittlerweile beim VfB Stuttgart, der den Kölnern in ihrer trostlosen Abstiegssaison 2023/2024 sicherlich gut getan hätte.
Aber sei es drum. Fehler sind ja schließlich da, um aus ihnen zu lernen. Womit wir bei einem weiteren Grund für die plötzliche Unioner Defensiv-Anfälligkeit wären: Während der Vorbereitung entschied sich Baumgart überraschend dafür, Linksverteidiger Tom Rothe zum linken Innenverteidiger umzuschulen.
Wobei: Eigentlich entschied Baumgart das gar nicht selbst. Die Idee stammte viel eher aus seinem Trainerteam. „Das ist gar nicht auf meinen Mist gewachsen“, gab der 53-Jährige gegenüber der 'BZ' zu und schob hinterher: „Ich probiere Sachen aber erst aus, bevor ich nein sage.“
Bislang verläuft der Versuch aber nicht erfolgreich. Nach einem 2:1-Auftaktsieg gegen den VfB Stuttgart waren die Eisernen gegen den BVB und die TSG Hoffenheim chancenlos und fraßen dabei satte sieben Gegentore.
📸 Maja Hitij - 2025 Getty Images
Diese Ausbeute alleine an der positionsfremden Aufstellung von Rothe festzumachen, greift selbstredend zu kurz. Dennoch ist klar zu erkennen, dass sich der 20-Jährige in seiner neuen Rolle alles andere als wohlfühlt. Schon mehrfach sah Rothe, der bislang weniger als 40 Prozent seiner Bodenzweikämpfe gewinnt, bei Gegentoren schlecht aus. Und zu allem Überfluss flog er gegen Hoffenheim auch noch mit einer Roten Karte vom Platz. Ist es also an der Zeit, das Innenverteidiger-Experiment schon wieder zu beenden?
Oder war es überhaupt jemals an der Zeit, dieses Experiment überhaupt zu starten? Blickt man auf die bisherige Profi-Karriere des gebürtigen Schleswig-Holsteiners, erkennt man sofort, dass dessen Stärken in der Offensive liegen. Rothe ist extrem dynamisch und glänzt darüber hinaus als Flankengeber und Vorbereiter. Zweikampfführung und Aufbauspiel zählen zu seinen großen Schwächen.
Der Youngster selbst sieht das nicht anders. „Ich muss an meinem Defensivspiel arbeiten", erklärte er im Sommer nach seinem Positionswechsel. „Ich versuche, es anzunehmen, das Beste daraus zu machen." Doch Begeisterung klingt anders.
Eine sofortige Verwerfung des Innenverteidiger-Experimentes erscheint aber unwahrscheinlich. Die Verantwortlichen verpflichteten mit Derrick Köhn für immerhin vier Millionen Euro einen Spieler, der ein ähnliches Profil besitzt wie Rothe und zudem auch noch auf dessen angestammter Wingback-Position zum Einsatz kommt. Mit Robert Skov beackert noch ein weiterer Spieler die linke Schiene.
Aber tut man sich damit an der Alten Försterei wirklich einen Gefallen? Wäre es nicht cleverer gewesen, Rothe behutsam an seine neuen Aufgaben heranzuführen? Zumal die letzten beiden Saisons und die desaströse Vorbereitung schnell darauf hindeuteten, dass es auch in diesem Jahr nur um den Klassenerhalt gehen würde.
📸 Christof Koepsel - 2025 Getty Images
Vorerst lässt sich definitiv festhalten: Der FCU hat seine größte Stärke verloren und zugleich eine seiner wichtigsten Offensiv-Waffen „geopfert". Will man im Berliner Osten nicht knietief in den Abstiegskampf rutschen, wäre eine Rückkehr zur defensiven Stabilität dringend geboten.
Kann Baumgart, der als durchaus stur gilt, über seinen Schatten springen und die angestoßenen Veränderungen zumindest vorübergehend wieder über den Haufen werfen? Mit Leite steht ihm dafür immerhin einer der besten Bundesliga-Innenverteidiger der letzten Jahre zur Verfügung. Und auch der sichtlich verunsicherte Tom Rothe würde es ihm vermutlich danken.
📸 Maja Hitij - 2025 Getty Images