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·4 giugno 2025
Der Gastkommentar von Markus Gotzi: Bekenntnisse eines Schalker Junglöwen

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·4 giugno 2025
Selbst wenn kein Ball rollt, sorgt der TSV 1860 für Diskussionsstoff – weit über die eigenen Fanreihen hinaus. Der Klub polarisiert, fasziniert, irritiert. Sogar bei Anhängern anderer Traditionsvereine. An dieser Stelle überlassen wir die Bühne einem besonderen Gast: Markus Gotzi, bekennender Schalker vom Schliersee, der die Geschehnisse rund um die Löwen mit einem scharfen Blick von außen einordnet.
Du suchst Dir nicht deinen Verein aus – der Verein sucht dich aus. Jeder ernsthafte Fußballfan wird über diesen Fakt nicht diskutieren. Dass in meiner Brust ein blau-weißes Herz schlägt, kann nicht überraschen. Geboren in Gelsenkirchen und drei Jahrzehnte lang im Revier sozialisiert, ist die Liebe zu Schalke 04 dauerhafter als Steinkohle. Und über den Zeitraum einer Goldenen Hochzeit in Krisen gestählt.
Daran hat auch der Umzug an den schönen Schliersee nichts geändert. Doch wie in vielen Fernbeziehungen ist auch das Verhältnis zum hunderte Kilometer entfernten Heimatverein nicht komplett geschützt gegen die Verlockungen anderer Schönheiten, zumal wenn sie dieselben Trikotfarben tragen. Weiß-blau statt blau-weiß erleichtert das Fremdgehen. Aber nicht nur wegen der Farbkombination hätte der FC Bayern keine Chance.
Es sind also die Löwen, die ich als Zweit-Verein zum FC Schalke 04 entdeckt habe. Unterstützt durch gezielte Kuppelei meines Nachbarn, der mich in eine Gruppe höchst sympathischer Fans eingeführt hat, die mir bei fast jedem zweiten Heimspiel die Gelegenheit gaben, mit ihnen zu feiern, weil fast immer einer nicht konnte und das Ticket überließ. Oder zu leiden. Denn es hat bis zum siebten Abpfiff gedauert, bis ich einen Sieg erleben durfte. Ich hatte schon die Befürchtung, als böses Omen wäre meine Zeit auf der Haupttribüne schnell vorbei.
„Du schaust dir wohl schon das Stadion fürs Schalke-Spiel in der kommenden Saison an“, begrüßte mich einer der 60er beim ersten Besuch, denn natürlich habe ich aus meinem Herzens-Verein kein Geheimnis gemacht - und immer ein Shirt mit Schalke-Logo ins Stadion getragen, was stets freundlich kommentiert wurde. Damals noch hatte ich den Spruch ein wenig überheblich weggelächelt. Wie wir inzwischen wissen, ist es am Ende ganz knapp geworden.
Keine Frage, dass ich die Löwen lieber gegen Rot Weiß Essen sehe, den MSV Duisburg oder Viktoria Köln. Und nicht gegen Schalke. Außer in der zweiten Liga. Eventuell empfängt weiß-blau blau-weiß in der übernächsten Saison. Falls die Löwen aufsteigen, was ich mir natürlich wünsche. Hätte nichts dagegen, den Schalker Freunden das Gesamtpaket 1860 zu zeigen: Historisches Stadion in Innenstadtnähe, jedes Mal voll bis auf den letzten Platz. Augustiner-Bier in der Kneipe Blue Adria gegenüber dem Grünwalder, wo die Stimmung immer ein wenig an den Kölner Karneval erinnert. Im Rheinland habe ich viele Jahre gelebt, ohne mich mit dem FC-Virus anzustecken – was nicht nur an den falschen Farben liegt. Aber das nur am Rande.
Ein vergleichbares Fußball-Stadion mitten in der Stadt habe ich bislang nur in London erlebt. In Chelsea zum Beispiel. Da läufst du durch ein Wohngebiet und stehst plötzlich vor der Stamford Bridge. Oder bei West Ham United, wo ich gemeinsam mit den Fans vorbei an Friseursalons und Lebensmittelgeschäften zum Heimspiel in den Upton Park zog. Leider Vergangenheit. Inzwischen spielt der Premier-League-Club im Londoner Olympiastadion – was nicht wenige Fans bedauern.
Ein Thema, über das auch die Anhänger vom TSV 1860 München diskutieren. So nett die Folklore im Grünwalder Stadion mitten im Münchner Leben auch ist, so dürfte jedem klar sein, dass der Zustand keine Zukunft hat. Um wirtschaftlich zu werden, braucht der Verein ein Stadion mit deutlich mehr Plätzen. Die Pläne der Stadt, die alte Kampfbahn (ein Begriff aus der Schalker Historie) um 3.500 Plätze zu erweitern, erscheint nicht zu Ende gedacht. Zumal zu einem Preis von 100 Millionen Euro. Das dürfte eher ein Ablenkungsmanöver sein, um das Gelände rund um das Stadion letztlich platt zu machen und dort Wohnungen zu bauen.
Natürlich weiß ich nach einem Jahr im Löwenkäfig, wie sehr das Thema die Fans spaltet. Eins von vielen. Wobei mich die Aggressivität hinter differenzierter Meinung überrascht. Entscheidend sollte doch das Trikot sein oder der Schal und nicht, wie du als Fan zum Investor stehst. Wobei das Abstimmungs-Ergebnis zur künftigen Spielstätte eindeutig ist. In einer Umfrage zur Stadion-Lösung votierten Anfang des Jahres zwei Drittel der mehr als 9.500 Fans für einen Neubau auf der grünen Wiese. Nur 13 Prozent entschieden sich für einen Umbau oder eine Pinselsanierung ohne zusätzliche Plätze.
In den Statistiken kann ich lesen, dass 1860 München vor 20 Jahren im Schnitt noch vor mehr als 30.000 Zuschauern spielte. Das Potenzial, über Ticketeinnahmen die Wirtschaftlichkeit des Vereins zu stärken, ist demnach vorhanden. Auch wenn es den Ultras nicht gefällt, sorgen vor allem die Mieter von Business-Seats und Logen für volle Kassen. Das wird im Grünwalder Stadion nicht gelingen. Tatsächlich hat sich die Zuschauer-Kapazität notgedrungen halbiert. Bayerische Vereine ohne vergleichbare Geschichte haben die Löwen überholt. Allen voraus der FC Augsburg. Ich kann allerdings auch die Nostalgiker verstehen. Das besondere Stadion-Erlebnis hat ja auch mich in den Bann gezogen. Ich weiß aber auch, wie überzeugend ein Neubau sein kann. Anfang der 2000-er Jahre bezogen die Schalker ihre Arena, und ich kenne niemanden, der nicht mit offenem Mund gebannt auf den Rasen schaut – alleine wegen dem Lärm, der das Trommelfell zum Schwingen bringt. Beginnend mit der Bergmanns-Hymne vor dem Anpfiff: „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt…“
Dabei hat die letzte Zeche im Ruhrgebiet längst geschlossen. Und die letzte Meisterschaft gewannen die Schalker 1958. Vor 67 Jahren. Wer damals geboren wurde, ist längst Rentner. Das war noch zu Zeiten der Fußball-Oberligen. Meister in der Bundesliga, das haben die Löwen den Schalkern voraus – selbst wenn der Triumph auch schon 59 Jahre her ist und fast auf den Tag genau auf meinen Geburtstag fiel.
Aber, ich habe es eingangs gesagt: Du suchst Dir nicht den Verein aus. Da stecken andere Mächte dahinter. Und das ist auch gut so. Stellt euch vor, wir wären alle Fans vom FC Bayern. Oder von Borussia Dortmund. Im Leben nicht. In diesem Sinne: Blau und weiß, wie lieb ich dich… Oh, Verzeihung: Für immer weiß und blau!
Markus Gotzi (59) ist Chefredakteur des Fachmediums „Der Fondsbrief“, einem Newsletter für Immobilien und Sachwerte, in dem er vor einigen Jahren auch über die Finanzierung von Fußball-Stadien berichtet hat. Der Diplom-Journalist schreibt außerdem für überregionale Medien wie die FAZ und Fachmagazine wie den Immobilien-Manager. Für seine Arbeit wurde er mit dem Deutschen Journalistenpreis und dem Deutschen Preis für Immobilienjournalismus ausgezeichnet.