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dieblaue24

·19 novembre 2024

Eine neue Dimension

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Wer selbst mal ein bisschen Fußball gespielt hat, weiß, wie es sich anfühlt, einen Elfmeter verschossen oder einen Bock gebaut zu haben, der möglicherweise spielentscheidend war - und am Ende vielleicht über Abstieg oder Nichtaufstieg entschieden hat. Es gibt kaum einen Fußballer auf diesem Planeten, der solche Momente noch nicht selbst erlebt und die Häme von Gegenspielern oder Zuschauern zu spüren bekommen hat. Klar, Rückschläge nagen an Sportlern - die Schadenfreude des Umfelds machen solche Erfahrungen freilich nicht angenehmer.

Mir ist so eine Situation auch einmal widerfahren, aber nicht natürlich in dem Ausmaß wie Rene Vollath am vergangenen Samstag, das man am liebsten in den Erdboden versinkt. Aufgrund meines Alters liegt das natürlich schon etwas länger zurück, aber die Geschichte ist immer noch präsent. Wie gesagt: Amateurfußball, Ausgleich zum Beruf, Hobby. Es muss im Jahr 1995 oder 1996 gewesen sein. Damals durfte ich das Trikot des ESV Freilassing tragen. Wir waren Tabellenführer in der damaligen Bezirksoberliga und es stand das brisante Derby beim 1. FC Traunstein an. Rund 1.200 Zuschauer waren gekommen. Das war auf Lokalebene zwischen Freilassing und Rosenheim das Spiel der Spiele. Ich liebte Partien dieser Art, die voller Energie und Rivalität steckten. Darauf hat man die ganze Saison hingefiebert - inklusive lockere Sprüche im Vorfeld.


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Weil ich keinen großen Wert auf gute Ernährung legte, war ich oft verletzt. Und vor diesem Derby gerade von einem Muskelfaserriss genesen. Mein Trainer, ein früherer Profi von Sparta Prag, bat mich, trotzdem in den Kader mitzugehen. Und ich bin ehrlich: Ersatzspieler zu sein, damit konnte ich nur schwer umgehen. Bereits nach einer Viertelstunde schickte mich der Trainer zum Warmmachen. In der Halbzeit wechselte er mich ein - und in der 89. Minute wieder aus. Es war ein taktischer Wechsel, um das 0:0 auswärts abzusichern. Und trotzdem verhöhnten mich die gegnerischen Zuschauer, die mich als kritischer Reporter der Lokalzeitung kannten, beim Gang auf die Ersatzbank zurück. Sie riefen mir zu: “Höchststrafe in roten Fußballschuhen!” Das war aber noch das Harmloseste. Kein schönes Gefühl, aber wenn man austeilt, muss man eben auch einstecken. Damit kann ich umgehen - und im Fußball sieht man sich ja bekanntlich öfter. Aber dazu später mehr.

Natürlich ist die Dimension, die Löwen-Torwart Rene Vollath am vergangenen Samstag beim Pokal-Aus gegen Unterhaching über sich ergehen lassen musste, eine völlig andere - er wurde nicht nur von den Hachinger Fans (“Rene Vollath, du bist der beste Mann”), sondern auch von den eigenen Anhängern verschmäht, belächelt und beleidigt. Obendrein wurde lautstark sein Konkurrent Marco Hiller gefordert. Und das alles nur, weil Vollath beim 0:1 daneben gegriffen hat? Natürlich war das kein Allerwelts-Gegentor - und das weiß Vollath am allerbesten.

Damit wir uns richtig verstehen: 1860 ist nicht wegen Vollath aus dem Toto-Pokal ausgeschieden. Der Rest der Mannschaft konnte den Lapsus des Torwarts nicht ausgleichen, zu schwach war das Giesinger Kollektiv an diesem Samstagnachmittag. Und nein, Vollath ist auch nicht dafür verantwortlich, dass 1860 in den ersten zwölf Spielen 24 Gegentore kassiert hat und wahrscheinlich seine Dino-Serie in der Dritten Liga um ein weiteres Jahr ausbaut. Dass Vollath aber zum alleinigen Sündenbock abgestempelt wird, ist deplatziert. Sympathien für Aufstiegstorwart Marco Hiller sind in Ordnung, aber bitte nicht zum Leidwesen von Vollath.

Und was sich auf den Tribünen des Grünwalder Stadions und nicht nur dort abspielte, hatte ich in dieser Form bei 1860 München noch nie erlebt. Ich kann mich an zwei Fälle erinnern, die mir im Gedächtnis geblieben sind und zumindest Parallelen von fehlendem Fairplay aufweisen: Kurz nachdem im Februar 2000 die Liasion von 1860-Sportchef Edgar Geenen mit der Frau von Thomas Häßler publik wurde, sangen gegnerische Fans in den Stadien: “Häßler, deine Frau geht fremd!” - und der Fan-Umgang mit Francis Kioyo nach dessen verschossenem Elfmeter beim 1:1 gegen Hertha BSC im Abstiegsjahr 2004. Der Stürmer flüchtete nach Saisonende, wurde nach Essen verliehen. Und natürlich ist mir bekannterweise auch der Hass gegen Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik ein Dorn im Auge - obwohl er der Einzige war, der 1860 retten wollte, wird seit Anfang an verunglimpft, verachtet und verschmäht, inklusive Anti-Ismaik-Fahne in der Kurve. Eine mehr als peinliche und unverschämte Nummer.

Um auf meine einleitenden persönlichen Sätze zurückzukommen: Man sieht sich mindestens immer zweimal auf dem Fußballplatz. Vor dem Rückspiel in Freilassing organisierte mir unser damaliger Torwarttrainer weiße Fußballschuhe, so dass die Traunsteiner Spieler beim Warmmachen schon witzelten: “Der Griss spielt heute in Turnschuhen, der ist völlig durchgeknallt.” Damals konnte man eigentlich keine weißen Treter offiziell erwerben. Und wie das Karma so fällt, erzielte ich mit einem 25-Meter-Freistoß das 1:0-Siegtor über den ewigen Konkurrenten. Ergo: Wenn der Kopf stark bleibt, dann ist alles möglich - auch ein Comeback von Vollath bei 1860, was ihm nach seinen jüngsten Erfahrungen durchaus zu wünschen ist.

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