MillernTon
·18 dicembre 2024
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Der FC St. Pauli spielt gegen den VfB Stuttgart. Nina hat sich die Geschichte und Fanszene des VfB genauer angeschaut und erklärt, warum das Vereinsmotto hochproblematisch ist.(Titelfoto: Alexander Hassenstein/Getty Images/via OneFootball)
Das letzte Spiel vor der Winterpause steht an und der FC St. Pauli reist nach Baden-Württemberg zum VfB Stuttgart. Bei den letzten Begegnungen 2019/2020 mussten wir uns leider mit einer Niederlage und einem Remis zufriedengeben (2:1 im Neckarstadion, 1:1 am Millerntor). Diese Saison wird es wohl nicht einfacher für uns. Der VfB Stuttgart überzeugte in der letzten Spielzeit und schaffte es vor dem FC Bayern München auf Platz zwei der Tabelle, nachdem sie in der Saison davor noch um den Klassenerhalt kämpfen mussten, den sie erst in der Relegation gegen den HSV sicherten. Auch jetzt spielt der VfB um die oberen Tabellenplätze mit.
Über dem VfB steht aktuell der SC Freiburg, bei dem wir ja bekanntlich 3:0 gewonnen haben – um vielleicht einen kleinen Lichtblick herzustellen. Gegen große Gegner scheinen wir uns ja meist ganz gut zu schlagen, aber das können wir ja alle eigentlich nicht mehr hören. Denn eine gute Leistung bedeutet auch nicht immer Punkte. Von daher muss nach der schlechten Leistung gegen Werder Bremen nochmal ein ziemlicher Aufschwung her, damit wir gegen Stuttgart nicht nur gut gegenhalten können, sondern im besten Fall drei Punkte holen.
Auch auf den Rängen erwartet uns ein Gegner, der nicht zu unterschätzen ist. Mit der Cannstatter Kurve treffen wir auf eine große Fanszene mit vielen und schon seit langem bestehenden Gruppen der Ultrabewegung. Starten wir wie immer mit der Vereinsgeschichte und dann schauen wir mal, wer und was die Cannstatter Kurve ausmacht.
In den 1860er Jahren kam das Rugby Spiel durch englische Schüler in Cannstatter Internaten und der darauffolgenden Beliebtheit unter Jugendlichen nach Stuttgart. Damals wurde Rugby allgemein noch als Fußball bezeichnet. Um Fußball und Rugby voneinander zu unterschieden, wurde der Fußball, den wir heute kennen als „Association-Fußball“ bezeichnet. 1893 gründete sich der FV Stuttgart, in dem man sich erst auf den Association-Fußball fokussierte, später gehörte man aber zu einem der führenden Rugby-Vereine Württembergs. Neben dem FV Stuttgart war der Kronenclub Cannstatt ein weiterer Verein mit Fokus auf den Fußball- und Rasensport sowie der Leichtathletik. Im April 1911 ist dieser zum eingetragenen Verein geworden und es kam acht Monate später bereits zur Fusion mit dem FV Stuttgart. Die Bedingungen der Fusion waren ideal: Der Kronenclub war im Besitz einer geeigneten Spielstätte, der FV auf der Suche nach eben jener. Der FV war sportlich erfolgreich, der Kronenclub suchte nach starken Spielern. So kam es 1912 also zur Fusion zum „Verein für Bewegungssport Stuttgart 1893“. Im September 1912 schaffte dieser bereits den Aufstieg in die damalige höchste Spielklasse, die Südkreisliga.
Durch den ersten Weltkrieg kam der Spielbetrieb zwischen 1914 bis 1918 fast völlig zum Erliegen. Fast drei Viertel der Vereinsmitglieder werden zum Militärdienst einberufen. 1919 wird eine neue Platzanlage auf dem Cannstatter Wasen durch Mitglieder finanziert und eröffnet. Nach dem ersten Weltkrieg hielt sich der VfB dann wieder in der höchsten Spielklasse, 1926/27 gelang die Meisterschaft der Bezirksliga Württemberg-Baden.
Im Jahr 1932 fand auf der Anlage auf dem Cannstatter Wasen, zur Verfügung gestellt durch die Vereinsführung des VfB, eine Propagandaveranstaltung der NSDAP statt. Diese Veranstaltung wurde entgegen der damaligen Rechtslage durchgeführt, doch bevor die Stadt Stuttgart eine Platzkündigung vollziehen konnte, kam es zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Nach dieser wurden die Ziele des NS-Regimes im Verein umgesetzt. So kam es zur Einführung des „Arier-Paragraphen“ in die Vereinsatzung, jüdische Mitglieder wurden ausgeschlossen. Außerdem wurde ein Dietwart in der Jugendabteilung eingesetzt und Wehrsport eingeführt.
Das heutige Neckarstadion wurde 1933 eröffnet, unter dem Namen „Adolf-Hitler-Kampfbahn“. Auch wenn die Spielstätte als Mehrzweck-Anlage galt, und die offizielle Spielstätte des VfB noch der Cannstatter Wasen war, wurde bei einem erwarteten hohen Zuschauer*innen-Aufkommen, dort gespielt. Das Vereinsgelände des VfB, das 1937 durch die Stadt finanziert wurde, nachdem sie die Cannstatter Wasen wegen des Baus der Schwabenhalle verlassen mussten, wurde durch Bombenangriffe fast vollständig zerstört. Nach Kriegsende folgte eine Entnazifizierung des Vereins, die Verantwortlichen in der Vereinsführung blieben aber dennoch weiterhin im Verein.
Die „Adolf-Hitler-Kampfbahn“ wurde durch die amerikanische Militärverwaltung umbenannt in „Century Stadium“ und „Neckarstadion“. Die Bezeichnung Neckarstadion setzte sich durch und wurde 1949 der offizielle Name des Stadions.Auf der Vereinschronik weist der VfB Stuttgart darauf hin, dass die Aufarbeitung der Geschichte des Vereins während der NS-Zeit noch nicht abgeschlossen ist.
Durch starken Einsatz der Mitglieder des VfB Stuttgart, mit der Einführung der Oberliga Süd 1945 und des Vertragsspielerstatus 1948, konnte der VfB wieder erfolgreich im Fußballgeschehen mitwirken. In der Spielzeit 1949/50 holte der VfB Stuttgart durch ein 2:1 im Endspiel gegen die Offenbacher Kickers die Deutsche Meisterschaft. In den 50er Jahren blieb man erfolgreich und holte sich 1952 den zweiten Titel. 1954 gewann man im DFB-Pokalfinale mit 1:0 gegen den 1. FC Köln. 1958 folgte der zweite DFB-Pokalsieg gegen Fortuna Düsseldorf durch ein 4:3 nach Verlängerung.
Joachim Löw gewann 1997 mit dem VfB Stuttgart als Trainer den DFB-Pokal. // (Gunnar Berning/Bongarts/Getty Images/via OneFootball)
Der VfB Stuttgart qualifizierte sich 1962/63 als Kandidat für die Bundesliga und wurde Gründungsmitglied. Bis 1975 spielte man durchgängig in dieser, ehe man erstmalig abstieg. Im Folgejahr schaffte man aber den direkten Wiederaufstieg und wurde 1979 sogar Vizemeister. Danach belegte der VfB meist die oberen Plätze der Tabelle, die erste deutsche Meisterschaft der Bundesliga feierte man in der Saison 1983/84. Im Jahr 1989 stand man im UEFA-Cup Finale gegen Neapel, musste sich aber durch ein verlorenes Hinspiel (1:2) und ein Remis im Rückspiel (3:3) geschlagen geben. 1991/92 holte der VfB erneut die deutsche Meisterschaft. 1997 folgte der dritte DFB-Pokalsieg unter dem damals noch recht unbekannten Trainer Joachim Löw.
Der VfB Stuttgart wurde noch ein weiteres Mal deutscher Meister, 2007 nämlich. Damals verpasste man knapp das Double, verlor das DFB-Pokalfinale gegen Nürnberg. Daraufhin folgte eine weniger erfolgreiche Zeit des VfB Stuttgart, die 2017 zum Abstieg in die zweite Bundesliga führte. Man stieg zwar in der folgenden Saison wieder direkt auf, aber 2019 kam es erneut zum Abstieg in die zweite Liga. Erneut kam es zum direkten Wiederaufstieg, aber die sportliche Situation blieb in der Bundesliga weiter angespannt. Nur knapp schaffte man 2021/22 den Klassenerhalt. 2022/2023 musste man in der Relegation gegen den HSV ran, schaffte es aber, diese zu gewinnen und in der Bundesliga zu bleiben. Daraufhin wurde der VfB Stuttgart die Überraschungsmannschaft der Saison 2023/24. Durch den Bundesliga-Rekord von Serhou Guirassy mit 14 Toren bis zum achten Spieltag und einer insgesamt starken Saison, wurde man vor dem FC Bayern München Vizemeister und qualifizierte sich wieder für die Champions League.
Seit 2014 lautet das offizielle Vereinsmotto des VfB Stuttgart „Furchtlos und treu“. Der Spruch stammt aus dem Königreich Württemberg und war Bestandteil des alten Wappens und der traditionellen württembergischen Fahne mit drei Hirschgeweihen. Ziel des VfB ist es, mit diesem Spruch eine Heimatverbundenheit und Tradition des Vereins auszudrücken, mit dem sich die Fans identifizieren können. Ähnlich wie das „Mia san Mia“ beim FC Bayern München.
Das Problem dabei: „Furchtlos und treu“ fand sowohl Verwendung im deutschen Heer im Ersten Weltkrieg als auch bei den Nationalsozialisten. Und auch Neonazi-Gruppierungen benannten sich bereits nach dieser Parole, unter anderem als wechselnden Namen der verbotenen „Blood & Honour“ Division in Deutschland. Alles bevor der VfB dies zu seinem Vereinsmotto machte.
Auch beim VfB haben Rechte Fans und Hooligans in Stuttgart Gebrauch von dieser Parole gemacht. Der Verein selbst betonte, keine Anzeichen der Anschlussfähigkeit rechtsgesinnter Gruppen in seiner Anhängerschaft wahrgenommen zu haben, sondern sich viel mehr gegen radikale und extremistische Haltungen positioniert zu haben. Aber auch einige Fans des VfB sprachen sich gegen diese Parole aus, da sie diese als unsensibel, völkisch, nationalistisch und rufschädigend empfinden. // Deutschlandfunk
Der VfB nutzt „Furchtlos und Treu“ weiter und verteidigt das Motto auch auf seiner Webseite. „Furchtlos“ für die „Jungen Wilden“, also dem sportlichen Nachwuchs Stuttgarts, „Treu“ für die Verbundenheit zwischen dem VfB und seiner Region. Der VfB Stuttgart sagt auch, dass die Parole im NS-Regime keine hohe Bedeutung gehabt habe. Dabei stellt der VfB auch klar, Toleranz und Vielfalt zu fördern und zu fordern und das man unter „Furchtlos und Treu“ diese gesellschaftliche Verantwortung vertrete.
Der VfB hat in diesem Jahr die Zahl von 100.000 Mitgliedern geknackt und ist somit der mit Abstand größte Verein Baden-Württembergs. Auch dank über 500 Fanclubs im In- und Ausland, stellt der VfB eine große Fangemeinschaft. Das Neckarstadion (Zuschauer*innenkapazität von ca. 60.000) ist so gut wie immer ausverkauft.Mit der Cannstatter Kurve hat der VfB Stuttgart auch eine sehr große Ultraszene, in der viele Gruppen präsent sind. Diese schauen wir uns im Folgenden mal näher an.
Die führende Ultragruppe der Stuttgarter Szene ist Commando Cannstatt 97. Neben ihnen stehen unter anderem noch die Gruppen Schwaben Kompanie 06 und Schwabensturm 02. Die Schwaben Kompanie feierte am letzten Spieltag mit einer Choreo ihren 18. Geburtstag. Bekannt ist die Cannstatter Kurve auch durch ihre Choreografien, heim sowie auswärts. Spätestens nach Ende letzter Saison haben sie uns mit ihren Europapokal-Lied alle einen Ohrwurm verpasst (Und damit verpasse ich ihn euch erneut: „Nach all der Scheiße, geht’s auf die Reise, Stuttgart international, Europapokal ohohoh…“). Commando Cannstatt finanziert Choreos und ähnliches durch eine Fördermitgliedschaft, Fördergruppe CC e.V. Bereits 2500 Fördermitglieder konnte Commando Cannstatt für sich gewinnen. Auch betreibt Commando Cannstatt einen Onlineshop, dort kann man Sticker und eine Stofftasche erwerben.
Auch in der Vereinspolitik ist die Cannstatter Kurve sehr aktiv, äußerte sich dieses Jahr gegen das Vereinspräsidium und den Aufsichtsrat beim VfB Stuttgart. Auslöser der Streitigkeiten war die Ausgliederung der Fußballabteilung in eine AG im Jahre 2017 und der zu große Einfluss des Sponsors Porsche. Dies führte zu einem großen Vertrauensbruch seitens der Fans. In einem Statement hat die Cannstatter Kurve ihre klare Meinung geäußert und es wurde auch eine Demonstration organisiert, sowie auf der Mitgliederversammlung im Juli Unmut deutlich gemacht.
Die Gruppen der Cannstatter Kurve sammeln regelmäßig Spenden für unterschiedliche Organisationen oder Stiftungen. So sammelte CC zuletzt für die Olgäle Stiftung, die hilft, Kindern den Klinikaufenthalt zu erleichtern oder für den Kinder- und Jugendhospizdienst Sternentraum. Die Schwaben Kompanie sammelt am Spieltag gegen uns am Samstag Süßigkeiten für die Vesperkirche Stuttgart.
Falls ihr aufmerksam die Redax #10 gehört habt, habt ihr vielleicht meine Voreingenommenheit gegenüber Stuttgart mitbekommen, die ich durch folgende Banner begründe: Im Januar 2020 zeigte die Südbande ein Spruchband, das sich gegen die weibliche Ultragruppe Societas Heidenheim richtete. Darauf stand: „Ey, Societas, wo sind eure BHs?“ Dabei präsentierten sie eine Stange, an der BHs befestigt waren. Und als wäre das nicht schon genug Sexismus in einer Woche, zeigte die Südbande drei Tage später beim Spiel gegen uns am Millerntor das Spruchband: „Geizige Schwaben ficken eure Mütter zu fairen Preisen“. Das sollte eine Antwort auf das Spruchband der St. Pauli Fans im Hinspiel sein, das die teuren Ticketpreise kritisierte: „Geizige Schwaben nehmen Zecken aus – Fickt eure Preise“.Der Verein entschuldigte und distanzierte sich daraufhin von den Spruchbändern.
Ob sich meine Voreingenommenheit jetzt geändert hat, beantworte ich eher mit nein. Sonderlich sympathischer ist mir Stuttgart jetzt nicht geworden. Besonders das Vereinsmotto stört mich. Klar, man kann es auch so sehen, dass die Stuttgarter Fans und der Verein „Furchtlos und treu“ wieder für sich einnehmen. Der Verein wird es auch nicht aus einer rechten Gesinnung gewählt haben, ganz im Gegenteil, sondern sieht dieses Motto als etwas, das Vielfalt und Toleranz ausstrahlen soll und auch an der Geschichte von Stuttgart festhält. Ich finde aber, es ist nur schwer möglich, das getrennt voneinander zu betrachten. Insbesondere, da „Furchtlos und Treu“, bevor es zum Vereinsmotto wurde, als rechte Parole Gebrauch fand. Und davon sollte man sich distanzieren. Nicht nur in Anbetracht der eigenen NS-Vergangenheit, sondern auch aufgrund der rechtsextremen Gesinnung der Stuttgarter Hooliganszene. Da das Motto aber bereits seit zehn Jahren besteht, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie es noch ändern werden. Wie sehr es zur Identifikation der Fans beigetragen hat, kann ich nicht sagen, einen ähnlichen Stellenwert wie „Mia san Mia“ bei Bayern München dürfte es aber nicht haben.
Auf die Cannstatter Kurve bin ich sehr gespannt und erwarte einen eindrucksvollen Auftritt, wenn wir ihnen am Samstag gegenüberstehen. Und vielleicht hat die Südbande Stuttgart ja nochmal einen netten Spruch für uns übrig. So oder so wird das auf dem Platz und auf den Rängen ein schweres Spiel. Nach Bremen war die Angeschlagenheit der Spieler zu spüren, aber irgendwie müssen wir ja durch das letzte Spiel dieses Jahr durch. Vielleicht kommt ja auch eine Überraschung auf uns zu, um hier noch ein bisschen optimistisch zu bleiben. Es wird nicht leicht, aber ich hoffe auf eine gute Leistung und drei Punkte!
Immer weiter vor// Nina
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