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·6 ottobre 2025
Weltmeister 1990: Jürgen Kohler wird 60

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·6 ottobre 2025
Nicht häufig wird ein Defensivspezialist von den Fans als "Fußballgott" verehrt - Jürgen Kohler hat das geschafft. Mit einer artistischen Rettungsaktion auf der Torlinie im mythischen Stadion von Old Trafford hatte sich der Manndecker 1997 endgültig in die Herzen der Fans von Borussia Dortmund gespielt, besser: gekämpft. Da war er zwar schon sieben Jahre Weltmeister und im ganzen Land angesehen als ehrlicher, allürenfreier Sportsmann, aber eben noch kein Fußballgott - die kamen erst Mitte der 90er-Jahre in Mode. Heute wird Jürgen Kohler, dem Mitspieler Maurizio Gaudino wegen des Nachnamens den Spitznamen "Kokser" verlieh, 60 Jahre jung. DFB.de gratuliert.
Fußballgott wird Kohler nur noch selten gerufen, er ist jetzt Unternehmensberater und zum zweiten Mal (nach 2012) Trainer bei der U 17 des Bonner SC. Das war einmal anders. Der Spieler Kohler hat dem Fußball einiges zu verdanken, aber jener ihm auch. Die "Beziehung" zum Profigeschäft begann am 7. April 1984, er war erst 18. Von Jahn Lambsheim war der Halbwaise Kohler, der seinen Vater schon vor seiner Geburt verlor, 1982 mit 16 zu Waldhof Mannheim gewechselt, das 1983 in die Bundesliga aufstieg.
Kurz vor Ende der ersten Mannheimer Bundesliga-Saison warf Trainer Klaus Schlappner sein größtes Abwehrtalent ins Feuer. Gegen Kaiserslautern durfte er helfen, den 2:0 über die Zeit retten - er spielte zwei Minuten. Aber dann folgten vier Einsätze über die volle Distanz als Innenverteidiger. Es wurde die Rolle seines Lebens. "Ich bin ein Paradebeispiel dafür, wie man mit wenig Talent viel erreichen kann", sagte der Mann, der die Entscheider bei Waldhof mit seinem Fleiß dermaßen beeindruckte, dass sie ihn am selben Tag in der B- und A-Jugend trainieren ließen.
Es war noch nicht die Zeit der Allrounder, Verteidiger mussten das Spiel nicht eröffnen, sie mussten es zerstören. In Deutschland konnte das am besten Karl-Heinz Förster, auch ein "Waldhof-Bub", und als der Weltklassevorstopper nach dem WM-Finale 1986 aus der Nationalelf zurücktrat, blickte Teamchef Franz Beckenbauer gen Mannheim, wo ein neuer Stern am Verteidigerhimmel leuchtete. 20-mal hatte Kohler schon in den U-Mannschaften des DFB gespielt, nun sollte er mit den Erwachsenen spielen.
Der Kaiser lud ihn zum Testspiel gegen Dänemark ein, wo Kohler zwei Wochen vor seinem 21. Geburtstag in Kopenhagen am 24. September 1986 prompt debütierte. Das überraschte alle Experten, in der Startelf hatte ihn niemand vermutet. Auf Anhieb schaltete er Weltklassestürmer Preben-Elkjaer Larsen aus. Kohler sagte dazu noch 2018: "Für meine Karriere war es das wichtigste Spiel überhaupt. Wäre das in die Hose gegangen, wäre vieles anders gelaufen."
So aber liefen die Dinge außerordentlich gut. Kohler erntete sogar kaiserliches Sonderlob. Beckenbauer sagte über seinen Debütanten: "Der konnte gar nicht besser spielen, der hat einen der besten Spieler der Welt abgemeldet."
So einer durfte wieder kommen. Von den folgenden 139 Länderspielen bis zu seinem DFB-Karriereende nach der WM 1998 bestritt er 104, aus Formgründen fehlte er so gut wie nie. Zu seinem ersten großen Turnier fuhr er schon als Spieler des 1. FC Köln, der sich ab 1987 für 2,1 Millionen D-Mark seine Dienste sicherte. Hier erschien er auch schon als Nationalspieler am freien Montag zum Sondertraining mit Christoph Daum, den er seinen größten Förderer nennt, der "seiner Zeit als Trainer zehn bis 15 Jahre voraus war".
Bei der EM 1988 im eigenen Land erlebte Kohler einen prägenden Karrieremoment. Die Zehntelsekunde, die fehlte, um Marco van Bastens Schuss noch abzugrätschen, ging ihm noch lange nach jenem 21. Juni 1988 von Hamburg nicht aus dem Kopf. Er war gewiss nicht der Alleinschuldige am deutschen Aus im Halbfinale gegen die Niederlande, aber nach diesem Tor hatte er noch etwas, das ihn antrieb: "Eigentlich bin ich sogar dankbar dafür", so Kohler. "Weil ich gemerkt habe, dass ich noch nicht so gut bin. Van Basten hat mir gezeigt, dass im Fußball immer noch mehr geht."
Kohler lebte sein Credo auf dem Platz: "Wer nichts für seinen Beruf tut, wird immer zweite Wahl bleiben." Sein zweiter Bundestrainer Berti Vogts würdigte ihn so: "Auch wenn ihm 'Weltklasse' beschieden wurde, war er immer noch bereit, weiter an sich zu arbeiten, um noch besser zu sein." Beinahe folgerichtig wechselte Kohler 1989 zu den Bayern, für 3,1 Millionen Mark - was prompt mit seiner ersten Deutschen Meisterschaft belohnt wurde.
Wenige Wochen später stand er in Rom auf dem Gipfel seiner Karriere: Weltmeister. Die Vorrunde hatte er in Italien noch von der Tribüne aus verfolgt, der Kaiser hielt seinen Einsatz nach einer Verletzung für zu riskant. Kohler trat vor Enttäuschung eine Tür im Duschbereich in den Katakomben von San Siro ein, aber dann durfte er doch noch gegen den Ball treten.
Im Achtelfinale von Mailand rückte Kohler ins Team, und wieder traf er auf van Basten - doch der sah diesmal kein Land. Bis er in letzter Minute bei deutscher 2:0-Führung einen Elfmeter gegen Kohler herausholte - einen schmeichelhaften und letztlich unwichtigen. Kohler machte seinen Frieden mit van Basten und den Holländern, Deutschland gewann 2:1 - es war der Meilenstein auf dem Weg zum dritten WM-Triumph. Danach zog es viele Weltmeister gen Italien, auch Kohler konnte 1991 nicht widerstehen und ging überraschend zu Juventus Turin ("wegen des Geldes, da bin ich ehrlich"), wo er härter denn je trainieren musste und doch die "fußballerisch die schönste Zeit meines Lebens" verbrachte.
Als Juve-Spieler stand er 1992 im EM-Finale, das gegen Dänemark 0:2 verloren wurde und laut Kohler "meine bitterste Stunde" war. Der UEFA-Pokal-Sieg 1993 tröstete ihn darüber hinweg. Im Finale gewann Juventus gegen den Klub, der Kohlers letzte Station wurde: Borussia Dortmund. 1995 wechselte er als Italienischer Meister zum Deutschen Meister - und durfte 1996 den nächsten Meistertitel feiern. 1997 folgte die Krönung als Vereinsspieler, ausgerechnet gegen Juventus gewann der BVB in München erstmals die Champions League.
Kein Wunder, seit dem Halbfinale von Manchester hatten sie ja einen "Fußballgott" in ihren Reihen. Jürgen Kohlers Wahl zum Fußballer des Jahres 1997 verwunderte niemanden mehr. Europameister durfte er sich schon seit 1996 nennen, auch wenn er sich bei der EM in England schon nach drei Minuten am Knie verletzt hatte und nur noch als Zuschauer dabei gewesen war.
Das Ende seiner Länderspielkarriere stand unter keinem guten Stern. Kohler gehörte noch mit 32 zum WM-Aufgebot, mit dem Berti Vogts 1998 gen Frankreich zog. Es war das älteste der DFB-Historie, wie 1994 in den USA scheiterte die DFB-Auswahl im Viertelfinale. Beim 0:3 gegen die Kroaten trug Kohler in Lyon zum 105. und letzten Mal das DFB-Trikot. Damit steht er auf dem zehnten Platz.
Und noch mit 36, in seiner letzten Saison 2001/2002, wurde Kohler Deutscher Meister. Gerne hätte er auch den UEFA-Pokal ein zweites Mal gewonnen, doch im letzten Spiel seiner Karriere zeigte sich, dass es keinen Fußballgott gibt. Der hätte bestimmt nicht zugelassen, dass Kohler im Finale von Rotterdam mit einer Roten Karte von der Fußballbühne abtreten musste. Die hat er trotz seines Rufs als knallharter Spieler in 398 Bundesligaspielen und 102 Serie-A-Spielen nur zweimal gesehen. Die Bilanz konnte sich trotzdem sehen lassen: Weltmeister, Europameister, Champions League-Sieger, zweimal UEFA-Cup-Gewinner, drei Meisterschaften, drei Supercup-Siege, ein Pokalsieg in Italien.
Nach der Karriere übernahm Kohler mehrere kurzfristige Engagements als Sportdirektor (Bayer Leverkusen) oder Trainer (etwa MSV Duisburg), auch für den DFB und seine U 21 war er tätig. Mit wechselnden Erfolgen. Höhepunkte: Mit der Spielvereinigung Wirges wurde er 2014 Rheinland-Meister, mit der U 19 von Viktoria Köln A-Jugendmeister am Mittelrhein. Bis heute, wo er erneut die U 17 des Bonner SC coacht, brachte er es auf zehn Stationen - die meisten unter dem großen Radarschirm.
Die Gesundheit ließ es nicht zu, sich über Jahre ins Bundesligageschäft zu stürzen. Jürgen Kohler sollte Stress vermeiden, rieten die Ärzte. Schon im Mai 2015 wurde er am Herzen operiert. Es geht dem dreimaligen Vater gut, und das möge so bleiben. Denn auch Fußballgötter sind nicht unsterblich.