MillernTon
·24 de julho de 2025
„Wir wollen, dass unsere Arbeit Nazis missfällt“ NSU-Watch im Interview – Teil 2

In partnership with
Yahoo sportsMillernTon
·24 de julho de 2025
NSU-Watch ist ein Bündnis, das sich aktiv gegen rechten Terror einsetzt, beobachtet und aufklärt. Im zweiten Teil des Interviews mit Caro Keller geht es um die Arbeit heute und wie man sich dem aktuellen Rechtsruck in der Gesellschaft entgegenstellen kann.Titelbild: NSU-Watch
Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), eine rechtsextreme Terrorgruppe, ermordete zwischen den Jahren 2000 bis 2007 zehn Menschen unentdeckt: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Ermittlungsbehörden gingen nicht von rassistischen Tatmotiven aus, sondern ermittelten zu „Organisierter Ausländer-Kriminalität“. Erst 2011, nachdem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhart in ihrem Wohnwagen tot aufgefunden wurden und Beate Zschäpe sich der Polizei stellte, kamen die grausamen Taten des NSU ans Licht.
Das Bündnis NSU-Watch hat sich 2012 zur Aufgabe gemacht, zur Aufarbeitung des NSU-Komplex beizutragen und war zwischen 2013 und 2018 bei allen Prozesstagen in München dabei. Dabei haben sie zu jedem Prozesstag Protokolle veröffentlicht und weitere Aufklärung gefordert. Auch nach dem NSU-Prozess macht NSU-Watch weiter, um sich rechtem Terror entgegenzusetzen, zu beobachten und darüber zu berichten.Wir von MillernTon haben uns mit NSU-Watch zusammengetan, um regelmäßig über Inhalte von NSU-Watch auf unserer Plattform zu berichten. Im ersten Teil des Interviews haben wir bereits über die Zeit während der Prozess-Tage gesprochen. Außerdem haben wir den Mord an Süleyman Taşköprü genauer beleuchtet und festgestellt, dass die Hamburger Behörden bis heute den Fall nicht richtig aufgearbeitet haben.
Wir haben über die Jahre den Blick auf rechten Terror etwas breiter geöffnet. Aber gleichzeitig reiht sich der NSU-Komplex wie auch andere Fälle in so eine Kontinuität von rechtem Terror ein, die eigentlich relativ nahtlos mit Ende des Nationalsozialismus losgegangen ist. Wie schaut man auf die Vergangenheit, auf die vergangenen Fälle? Das ist es, was uns sehr beschäftigt, um herauszufinden, wie das funktioniert. Wir wollen nicht nur rechten Terror aufarbeiten, sondern auch vorhersagen und verhindern. Wir haben festgestellt, es gibt Konjunkturen von rechter Mobilisierung in der Gesellschaft. Aus einem rechten Diskurs und rechter Diskursverschiebung folgt rechter Terror. Und zwar genau gegen die Personen oder Institutionen, gegen die vorher Hetze stattgefunden hat. Das zu beobachten ist ganz wichtig. Es gab schon Fälle, wo wir gewarnt haben, dass es zu rechtem Terror kommen könnte und wo es leider auch zu rechtem Terror gekommen ist.
Wir wollen damit nie Recht haben, aber beispielsweise haben wir nach dem rechten Schulterschluss in Chemnitz 2018 davor gewarnt, dass genau solche Aufmärsche, genau solche Demonstrationen, genau solche Zusammenschlüsse auch dem NSU den Rücken gestärkt haben. Tatsächlich war es dann so. Auf diesem Aufmarsch in Chemnitz hat der spätere Mörder von Walter Lübcke den Entschluss gefasst, Walter Lübcke zu ermorden. Genau das gleiche bei den Corona-Demos. Auch da war klar, es ist eine rechte Mobilisierung. Das hat man in Inhalten gesehen, aber auch an den Leuten, die dort rumgesprungen sind. Auch Leute aus dem NSU-Netzwerk, Leute von Nordkreuz. Auch da gab es Angriffe. Es gab den Mord an Alex W. in der Tankstelle in Idar-Oberstein am 19. September 2021.
Wir betrachten die Gesamtentwicklung und momentan beobachten wir den Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex in Berlin, den Untersuchungsausschuss zu Nordkreuz in Mecklenburg-Vorpommern und wir bereiten uns auf den zweiten NSU-Prozess gegen Susann Eminger vor dem Oberlandesgericht vor. In Nordrhein-Westfalen begleiten wir den Prozess zum Mord an Mouhamed Lamin Dramé, der von der Polizei ermordet wurde. Wir gucken uns also auch Fälle von Polizeigewalt an. Dort gibt es auch einen Prozess gegen Combat 18, also ehemals Unterstützerstruktur des NSU, aber auch den Prozess zum Brandanschlag von Solingen 2024. Wo können wir also unterstützen und wo können wir durch Öffentlichkeit vielleicht dafür sorgen, dass diese Fälle in öffentliches Bewusstsein rücken?
Das kommt drauf an. Es gibt Prozesse, die wirklich recht vorbildhaft sind. Es gab zum Beispiel hier in Hamburg einen Prozess, da ging es um einen rassistischen Angriff von einem Mann auf seine Nachbarin in Niendorf. Der hat durch ihre Tür geschossen. Das war ein eindeutig rassistisches Motiv. Der hat sich auch dabei gefilmt und entsprechende Dinge gesagt. Dieser Prozess war relativ kurz. Aber die Polizei hatte zum rechten Tatmotiv ermittelt und das Gericht hat auch einen rassistischen Hintergrund festgestellt. Das ist nicht selbstverständlich. Und da sieht man schon eine Änderung, auch eine Änderung in den Behörden.
Dann wiederum, zum Brandanschlag von Solingen 2024, wurde ein rechtes Motiv von der Polizei vertuscht. Ein rechter Hintergrund wurde in der Akte erst genannt, dann aber gestrichen. Seda Başay-Yıldız ist dort Nebenklagevertreterin. Sie war auch schon Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess und selbst betroffen von rechten Drohungen. Sie hat das herausgearbeitet. Der Prozess läuft noch und jeder Prozesstag ist wirklich ein neuer Skandal. Sie hat herausgearbeitet, dass der Täter wahrscheinlich vorher schon einen Brandanschlag begangen hat. Außerdem man hat rechte Materialien bei ihm gefunden. Sie belegt das Stück für Stück. Aber diese Arbeit ist eben nicht von der Polizei gemacht worden. Die Staatsanwaltschaft interessiert sich auch nicht dafür und das ist fast schon ein Rückschritt hinter dem, was wir im NSU-Prozess erlebt haben. Das ist wirklich richtig krass.
Es kommt immer auf den Einzelfall an und das liegt auch daran, dass es keine verbindlichen Weiterbildungen von Gerichten gibt, sondern die Richter*innen aus dem Bauch heraus entscheiden, was rechtsextrem sein könnte. Es gibt eine Wissenschaft dazu, es gibt Definitionen darüber, was rechtsextrem, was rassistisch, was antisemitisch ist. Das ist nichts, was man aus dem Bauch heraus entscheidet. Diese Standards, die setzen sich wirklich nur sehr langsam durch, wenn überhaupt. Gleichzeitig haben wir es mit einem Rechtsruck, mit einem totalen Rollback dieser Standards zu tun. Den merkt man auch in den Ermittlungen und in den Gerichten. Aber manchmal läuft es halt auch ganz gut. Man muss es immer sich einzeln angucken.
Klar. Aber was wir versuchen, ist ja nicht nur, Fakten zu sammeln und aufzuarbeiten. Sondern neue rechte Taten zu verhindern und den Rechtsruck zurückzudrängen. Wir versuchen mit dem, was wir in den Gerichten und Untersuchungsausschüssen erfahren, was wir recherchieren, was andere recherchieren, Wissen zu schaffen, welches wir gegen die Nazis und gegen den Rechtsruck einsetzen können. Denn je besser wir verstehen, wie die Sachen funktionieren, desto besser können wir sie auch bekämpfen. Ein Beispiel war der Mord an Walter Lübcke, wo wir den Prozess beobachtet haben. Da hat sich gezeigt, Stephan Ernst brauchte gar nicht wie früher seine Kameradschaftsstrukturen, um zum rechten Täter zu werden. Er hat stattdesse seine Ermöglichungsstrukturen auf der Arbeit gefunden, im Schützenverein, in Alltagsstrukturen. Das wirft natürlich einen Licht auf andere Schützenvereine, auf andere Pausenzimmer usw. Dies hat man verstanden und kann das dann auf andere Sachen übertragen, um vielleicht andere Gefahren auszumachen. Aber Rechter Terror ist viel niedrigschwelliger geworden. Stichwort Telegram-Gruppen. Man muss nicht mehr auf das geheime Blood and Honor-Konzert mit Schleusern und so fahren, sondern man kann einfach ans Handy.
Seit 2005/06 bin ich aktivistisch, antifaschistisch aktiv und wir haben uns immer viel mit NS-Vergangenheit auseinandergesetzt, haben viel zu Rassismus und Antisemitismus diskutiert und auch darüber, inwiefern es eigentlich Kontinuitäten in der deutschen Gesellschaft davon gibt und wie eigentlich Vergangenheitsaufarbeitung funktioniert hat und wo nicht. 2006 gab es die Fußball-WM der Männer in Deutschland. Das war zum Beispiel einfach viel Thema für uns, weil wir eben nicht fanden, dass es einen entspannten Patriotismus in Deutschland gibt, sondern dass da immer auch Nationalismus und eine mögliche Gefahr mitschwingt. Im Nachhinein sollten wir noch mehr Recht behalten, als wir es gedacht haben. Denn damals war der NSU noch im Untergrund und hat unentdeckt gemordet. Während der WM sind die Angehörigen auf die auf die Straßen gegangen, in Kassel und in Dortmund, um auf ein mögliches rechtes Motiv hinzuweisen und das ist total unbemerkt geblieben. Auch weil es die WM gab. Dann hat sich der NSU eben selbst enttarnt und das hat das alles auf schrecklichste Art und Weise bestätigt, was wir vorher gedacht, diskutiert, gesehen und analysiert haben. Nach meinem Studium hatte ich ein bisschen mehr Kapazitäten, mal selber zu einem Untersuchungsausschuss zu fahren, habe mich dem Thema gewidmet und bin dann zu NSU-Watch gekommen, weil ich Leute kannte, die mich mitgenommen haben. Kurz vorm Prozess bin ich dazu gekommen. Später habe ich eine der Stellen bekommen.“
Wir haben über die Jahre immer wieder Betroffene und Angehörige kennengelernt und sind inzwischen enger zusammengerückt. Das prägt natürlich unheimlich, die Menschen näher und auch persönlicher kennenzulernen und sich mit deren Schicksalen zu beschäftigten. Aber auch immer wieder zu erleben, wie wenig sich geändert hat. Gleichzeitig aber zu erleben, wie man sich mit anderen durch die kontinuierliche Arbeit zusammenschließt. Nicht durch eine Demo oder ein Event, sondern tagtäglich, immer weiter. Es ist oft aber immer wieder das Gleiche. Manche Sätze sagen wir immer noch genauso, weil sich einfach nichts ändert. Das macht einen verrückt.
Trotzdem merkt man durch diese stetige Wiederholung, die stetige Arbeit, dass es sich Stück für Stück verschiebt. Mehr Leute in der Gesellschaft werden auf das Thema aufmerksam, sensibilisieren sich dafür, kennen die Geschichten, kommen zu den Gedenkveranstaltungen und dadurch verändern sich eben Stück für Stück die Sachen. Viele Leute wollen rechtem Terror die Grundlage entziehen. Dann versuchen wir, dafür ein Angebot zu schaffen, zu informieren, aber auch klarzumachen: es gibt unterschiedliche Punkte, an denen man ansetzen kann. Man muss sich nicht den ganzen Tag mit rechtem Terror beschäftigen, man kann auch für eine solidarische Gesellschaft kämpfen. Auch das entzieht ja rechtem Terror die Grundlage. Und zu sehen, dass sich dem immer mehr Menschen anschließen und sich gegenseitig ermutigen, prägt total. Wir machen immer weiter und das ist, was etwas bringt.
Drohungen gehen weniger an die Gruppe an sich. Aber Einzelpersonen von uns haben Drohungen von Rechts schon erlebt. Wir wissen, dass das passieren kann. Wir machen uns da nicht so viele Illusionen darüber. Und natürlich ist es trotzdem, wenn es passiert, ziemlich krass. Aber es hilft, wie gesagt, da nicht alleine mit zu sein. Man ist natürlich in einem gewissen Maße schon vorbereitet. Gleichzeitig wissen diejenigen von uns, die weißdeutsch positioniert sind, wir können das Antifa T-Shirt anziehen oder nicht anziehen. Es ist eine Wahl. Dementsprechend können wir das auch ein bisschen steuern, was eine Alltagsbedrohung angeht.
Das ist bei Menschen, die von Rassismus betroffen sind, etwas Anderes. Und das ist uns sehr bewusst. Es ist einfach nicht das Gleiche. Aber es ist natürlich sehr hilfreich, wenn mal irgendwie eine blöde Mail kommt, dass wir uns da miteinander absprechen und gucken können, wie wir damit umgehen und im Zweifel auch die Stellen wissen, an die wir uns wenden können. Gleichzeitig wissen wir, dass das die Arbeit ein Stück weit mit sich bringt. Wir wollen zwar nicht bedroht werden, aber wir wollen auch, dass unsere Arbeit Nazis missfällt.
Die größte Aufgabe ist momentan, die Machtübergabe an die AfD zu verhindern. Das steht total im Raum, da irgendwie Mittel und Wege zu finden, das zu tun. Wir hoffen, dass wir da irgendwie einen Beitrag zu leisten können, weil natürlich jeder rechte Terrorfall auch auf flachere rechte Strukturen ein Licht wirft und das Wissen sich verbreitet. Aber der Rechtsruck muss zurückgedrängt werden. Rechte Ideologie muss in der gesamten Gesellschaft zurückgedrängt werden. Man muss rechtem Terror, aber auch einer rechten Gesellschaft die Grundlage entziehen und rechter Gewalt die Grundlage entziehen. In Hamburg kommt es immer mehr zu rechten Übergriffen, weil sich die Leute einfach davon ermutigt fühlen. Es muss ja gar nicht der große Anschlag sein, sondern es geht auch um einen rassistischen, antisemitischen, sexistischen, homofeindlichen Alltag. Man merkt, überall fühlen sich die Rechten ermutigt. Das muss sich wieder ändern, diese Ermutigung – das muss aufhören.
Um den Rechtsdruck zurückzudrängen, sind alle in der Verantwortung und alle können was tun. Da bin ich mir ganz sicher. Jeder und jede hat einen kleinen Umkreis, wo man tätig werden kann. Nicht alle können das Gleiche machen und nicht alle sollen das Gleiche machen. Politische Arbeit und gerade, wenn sie dauerhaft stattfinden soll, muss auch immer etwas sein, was einem taugt, also was einem einfach Spaß macht. Sonst schafft man das nicht lange. Es muss sich nicht jeder jeden Tag mit rechtem Terror und Neonazis beschäftigen oder alle Telegram-Gruppen angucken, sondern es ist eine Arbeitsteilung. Man kann sich auch dafür einsetzen, ein solidarisches Miteinander zu leben. Man kann sich dafür einsetzen, dass Mieten gesenkt werden. Lauter solche Sachen. All das gehört auch zu einer solidarischen Gesellschaft dazu. Da müssen meiner Meinung nach alle aktiv werden und sich dann möglichst mit Gleichgesinnten zusammentun. Etwas starten und dies dann nicht nur einmal, sondern möglichst die ganze Zeit.
Es kann auch ganz niedrigschwellig sein. Man kann auch Organisationen unterstützen, wenn man eben nicht so viel Zeit oder Ressourcen hat. Also wir freuen uns zum Beispiel, wenn man einfach unsere Kanäle verfolgt, unseren Newsletter abonniert. Wir sind aber auch auf Spenden angewiesen. Wir kriegen keine staatliche Unterstützung und die wollen wir auch nicht, weil wir eben auch staatliches Versagen aufarbeiten. Aber ich finde, dass alle Verantwortung übernehmen müssen, den Arsch hochkriegen müssen, wie man so schön sagt. Es gibt keine Ausreden mehr. Irgendwas kann können alle machen.
Ich wünsche uns, dass wir bald in einer solidarischen Gesellschaft leben und dass rechter Terror aufhört, rechte Taten aufhören. Dass dieser rechte Alltag aufhört, sodass der Rechtsruck zurückgedrängt wird. Das wünsche ich uns. Und dass es für unsere Arbeit nur noch Prozesse gibt, auf die vielleicht lange gewartet wurde. Es gibt viele unaufgeklärte Fälle, wie zum Beispiel der Brandanschlag in Lübeck vor fast 30 Jahren. Da wünsche ich mir, dass es zu einem Prozess kommt gegen die Nazis und nicht gegen die Betroffenen. Aber keine neuen Fälle mehr, keine Prozesse zu neuen Fällen mehr. Ich wünsche mir einfach, dass nichts mehr passiert. Es ist zwar ein sehr naiver Wunsch, aber das ist das, was wir durch die Arbeit eben auch erreichen wollen. Dass eben alles, was passiert ist aufgeklärt wird und dass wir vielleicht dabei helfen können.
Vielen Dank Caro, für das spannende Interview und großen Dank für eure Arbeit, die ihr tagtäglich leistet. In der Lage am Millerntor, werdet ihr nun immer wieder Updates von der Arbeit von NSU-Watch nachlesen können. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. Hier findet ihr nochmal die Spendenlink, um die Arbeit von NSU-Watch zu unterstützen.// Nina
Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.
// Teile diesen Beitrag mit Deinem Social Media Account (Datenübertragung erfolgt erst nach Klick)
Ao vivo
Ao vivo