Der-Jahn-Blog
·14. November 2024
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·14. November 2024
Im Sommer 2024 begann der SSV Jahn Regensburg die neue Saison mit großen Hoffnungen und frischer Energie, nachdem man nach einer erdrückenden Rückrunde in Liga 3 den Aufstieg über die Relegation geschafft hatte. Doch die ersten Spieltage, die zunächst vorsichtig Vertrauen weckten, wurden nach nur wenigen Wochen von einem dramatischen Leistungsabfall überschattet. Nach sieben Punkten in zwölf Ligaspielen scheint der Jahn erneut in den Abwärtsstrudel zu geraten – ähnlich wie zur Rückrunde in Liga 3, wo man am Ende in der Rückrundentabelle tief im Abstiegskampf steckte. Was anfangs als Fehlstart in einer erwartbar schwierigen Saison abgetan werden könnte, entpuppt sich zunehmend als ein Symptom einer tiefgreifenden Führungskrise. Ein Verein, der sich selbst auf seine familiären Werte besinnt und moderne Führung propagiert, scheint in dieser Phase immer weiter in die Nähe der 3. Liga zu taumeln – und das, obwohl viele der Probleme bereits absehbar waren. Eine kommentierende Analyse der Redaktion.
Bodenständig, modern, ambitioniert
Der Verein hält trotz zunehmender Herausforderungen weiterhin an seinem “Jahn-Weg” fest: bodenständig, modern, ambitioniert. Doch was dieser “Jahn-Weg” konkret bedeutet, bleibt vage und scheint in der Umsetzung nicht klar definiert. Zwar lassen sich grobe Konturen der Vereins- und Transferpolitik erkennen – ein Ansatz, der auf günstige Verpflichtungen, gezielte Förderung und den späteren Weiterverkauf von Spielern setzt – doch diese Strategie wirkt finanziell wie sportlich zunehmend unzureichend.
Der Markt, auf dem der Jahn traditionell agiert, wird immer schwieriger. Gerade das datenbasierte Scouting großer Vereine setzt den Erfolg des Jahn in Zielmärkten wie der Regionalliga oder der Oberliga massiv unter Druck. Internationale wie nationale oberklassige Vereine richten ihren Fokus zunehmend auf den deutschen Jugendfußball und greifen auf Talente zu, die zuvor im Blickfeld des Jahn lagen. Dies verdeutlicht eine zunehmende Gefährdung jener Märkte, in denen der Jahn bislang erfolgreich U21- oder U19-Spieler akquirieren konnte, die bei größeren Vereinen keine Perspektive mehr sahen.
Die Jahre vor dem Wiederaufstieg spielen da klar auch eine Rolle. Christian Keller, der Mann des „neuen Jahn“ und dieses Weges, überzeugte unzählige Spieler mit Entwicklungschancen für den Jahn, seine Power-Point-Präsentationen bei Verhandlungen sind berühmt-berüchtigt – doch plötzlich war er im Winter 2021 weg. Seine Nachfolger Tobias Werner und Roger Stilz schafften es nicht, das entstandene Machtvakuum zu füllen – der „Jahn-Weg“ ist offenbar nicht für jedermann tragbar und durchführbar.
Der „Jahn-Weg“ auf dem Spielfeld bleibt ebenso nebulös
„Intensität ist Identität“ – dieses Motto prägte lange Zeit den Fußball bei Jahn Regensburg. Es war inspiriert vom Spielmodell von RB, das auf hohem Angriffspressing, Gegenpressing und schnellem Umschaltspiel setzte. Doch schon in der 3. Liga und über Vereinsgrenzen hinaus ist eine klare Entwicklung erkennbar: Dieser Stil muss sich neu erfinden, was auch der Jahn zunehmend spürt. Heute lautet die Devise am Kaulbachweg: Stabilität als Identität – ein markanter Richtungswechsel.
Ein Trainer sagte einst zu diesem Thema zu uns: „Mannschaften brauchen Leitplanken. Leitplanken, die unser Leben und unser Spiel vorgeben. Leitplanken, die einen Lkw-Unfall wie auch den eines Autos überstehen. Leitplanken, die auch im Misserfolg unverrückbar bleiben, um Halt zu geben und unser Schaffen zu stützen.“ Früher war „Intensität“ eine solche Leitplanke. Doch der Jahn hat diese von heute auf morgen verschoben. Wie soll ein Verein seine eigenen (spielphilosophischen) Werte artikulieren, wenn er sie selbst in einem solch fundamentalen Wandel hinterfragt?
Würden die Verantwortlichen nicht nach jedem verlorenen Spiel betonen, dass man sich von seinem Weg nicht abbringen lasse und irgendwie am Ende ja doch auf einem guten sei – bliebe aber unklar, was dieser Weg in den 90 Minuten eigentlich widerspiegeln soll. Es ist mehrfach in den Spielberichten im Blog deutlich geworden, dass dies keine große Werbung für “den” Weg ist.
Der Punktgewinn gegen Lautern unterstrich aber die Umstellung, und kurz nach der Amtsübernahme von Patz schien das System zu greifen. Der Rückschlag auf Schalke jedoch war ein herber Dämpfer. Es mag als naive Kontinuität erscheinen, doch die entscheidende Frage bleibt: Wohin führt dieser Kurs? Trainer Joe Enochs, der den Verein zuerst in die Saison führte, hat im vergangenen Jahr nur wenig Werbung für sich gemacht. Denn die einst gefürchtete Pressing-Mannschaft, die die 3. Liga zeitweise dominierte und in Liga 2 statistisch am intensivsten agierte, ist und war kaum noch wiederzuerkennen. Anfang der Saison in Liga 2 hatte man statistisch das intensivste Pressing der Liga – von einem Tag auf den anderen rückte man ab. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass Enochs seine Mannschaft mit angezogener Handbremse führte – als ob er Schaden begrenzen wollte. Doch der Jahn bleibt in der Offensive weiterhin zu berechenbar, der Gegner weiß genau, was ihn erwartet und wo er seine Fallen setzen muss. In Spielen gegen Gegner, die man schlagen sollte im Abstiegskampf, wirkt die Jahnelf überfordert – wenig Ansätze im strukturierten Ballbesitz, während gegen stärkere Gegner schlicht die Qualität fehlt, um erfolgreich zu sein.
Kaderentwicklung: Stagnation statt Fortschritt
Um Argumente „pro Enochs“ zu finden, fiel einem schon zu Beginn der Saison außer „Kontinuität“ wenig ein – dennoch hielt Beierlorzer an Joe fest und kanzelte Kritik durchaus ab. Ganz nach dem Motto: „Ihr habt keine Ahnung, aber ich sehe es ja jeden Tag.“ Aber am Ende entließ er Enochs doch, zu groß war der Abstand zwischen Mannschaft und Trainer geworden. Man muss jedoch klar sagen: Enochs’ Scheitern ist auch Beierlorzers Scheitern. Fairerweise ist der Trainer in einer Situation wie der aktuellen immer ein leichtes Opfer, und so einfach, wie es aussieht, ist es natürlich nicht. Denn der Jahn-Weg führte nicht erst seit der Inthronierung von Enochs talwärts. Joe ist, wie Max gerne sagt, der beste Mensch, den man im Fußball kennenlernen kann, und dazu auch ein Fachmann. Es ist nicht der Mensch Joe Enochs, den wir kritisieren, sondern den Trainer.
Im Grunde begann der Abstieg mit dem zu langen Festhalten an Mersad. Lang ist’s her. Die Ereignisse seither sind vielfach beschrieben worden und müssen hier nicht im Einzelnen rekapituliert werden. Es zeigen sich in diesen Jahren des Grauens jedoch Muster und Phänomene, die eine nähere Betrachtung verdienen und die weit tiefer gehen als strukturelle Probleme innerhalb der Mannschaft, auf die wir nun jedoch zuerst eingehen wollen.
Spieler wie Andreas Geipl, Alex Bittroff oder Florian Ballas, die früher als Eckpfeiler eines dynamischen, intensiven Spiels galten, scheinen ihren Zenit doch weit überschritten zu haben. Ihre stagnierende Entwicklung sowie die fehlende Weiterentwicklung (für Liga 2) von jungen Spielern wie Noah Ganaus und Bryan Hein werfen die Frage auf, ob der Verein den Anforderungen an eine professionelle Kaderentwicklung gerecht wird. In einer Zeit mit einer Verletzungsmisere im Kader, in der junge Spieler eine tragende Rolle spielen sollten, schafft es der Jahn nicht, ihnen die richtigen Leitplanken zu geben. Um die Verletzungsmisere auszugleichen, wäre ein breiterer Kader allgemein von Vorteil gewesen. Fragt man im Verein nach, kommt entgegen, man habe den Markt sondiert, aber es ergab sich nichts. Ganz nach dem Motto: ist halt dann so. Jenes Motto wird auch aufgewendet, wenn man an die Spieler wie Anspach oder Cuk denkt, welche zwar in Liga 3 eine Rolle spielen könnten, aber in Liga 2 stagnieren, ergo nun Bayernliga spielen. Dass man hierfür keine Abnehmer findet, ist nichts weniger als ein Armutszeugnis – genau wie die Leih-Saga um Onuigwe.
Dass sich die Verantwortlichen wenig um eine nachhaltige Spielerentwicklung bemühen, zeigt sich nicht nur bei der stagnierenden Leistung von diesen Talenten. Es fehlt auch an der klaren Identität der Mannschaft, um den Talenten Halt zu geben. Der Jahn wirkt im Gesamtkontext der letzten Jahre ohne klare taktische Ausrichtung, was der Mannschaft jegliche Stabilität und Selbstverständnis raubte. Das Fehlen einer nachhaltigen Philosophie in der sportlichen Führung ist deutlich spürbar. Neuzugänge wie Kühlwetter, Pollersbeck und Pröger sollten Führungsspieler sein – vorangehen mit Erfahrung. Aber alle drei passen entweder nicht in die strategische Grundausrichtung, ins Spielsystem oder sind dauerhaft verletzt. Neuzugänge, die nicht in die Transferphilosophie des Jahns passten, sondern mehr wie MSV-Duisburg-Transfers erscheinen. Spieler, die auf dem Papier “gestanden” erscheinen, aber im Detail nicht passen – diese Detailarbeit ist aber für eine Kaderplanung notwendig.
Die Frage nach dem Konzept
Die Frage, warum ein solches, unklar strukturiertes Konzept weiterhin verfolgt wird, liegt nicht nur im sportlichen Bereich. Der Jahn leidet auch unter einer Verkrustung in der Führungsebene. Die Vereinsstruktur scheint zunehmend von (halb-)internen Lösungen dominiert zu werden, was zwar Kontinuität verspricht, aber gleichzeitig den Blick für notwendige Veränderungen trübt. Beierlorzers langjährige – wenn nicht dauerhafte – Zugehörigkeit zum Verein mag zwar als Vorteil erscheinen, doch der Mangel an externen Impulsen und frischen Ideen in der Führung sorgt dafür, dass der Verein im Status quo verharrt. Ein Blick auf das Management zeigt, dass die Verantwortlichen lieber interne Lösungen bevorzugen als externe Expertise. Sportdirektor Achim Beierlorzer, der einst für frische Ideen sorgte, lässt derzeit die nötige Innovationskraft vermissen.
All das spricht dafür, dass es nicht helfen wird, allein einen weiteren Trainer zu opfern. Bei Mersad änderten sich die Voraussetzungen, unter denen er eingestellt worden war, rasant. Joe hatte eine Idee, aber nicht den passenden Kader und offenbar nicht die Mittel, den Kader passend zu machen, und dann keine erkennbare Idee. Er ging die Sache vielleicht zu nüchtern-pragmatisch an, doch auch mit dieser Herangehensweise blieb der Erfolg aus. Ein klares Anforderungsprofil an einen Trainer scheint es nicht zu geben, außer vielleicht, dass er die Rahmenbedingungen in Regensburg ohne zu murren akzeptiert. Das tut Andreas Patz.
Wenn man sich in Trainerkreisen umhört, ist es schon deutlich zu vermerken, dass Beierlorzers Rolle beim Jahn hinterfragt wird. Von einem „Schattentrainer“ war in Gesprächen die Rede, oder es wurde gefragt: „Eigentlich ist Beierlorzer der Trainer, oder?“ – diese Stimmen kommen nicht nur von Fans oder Mitarbeitern, sondern auch von Menschen, die einen Namen im Trainergeschäft haben. Das lässt auch Beierlorzer in einen anderen Licht scheinen.
Die Rahmenbedingungen des Jahn
Neben den sportlichen Mängeln ist es vor allem die Vereinsführung, die ein grundlegendes Problem darstellt. Der Verein setzt seit Jahren auf Vertraute, die den Jahn bereits seit der vierten Liga begleiten. Diese tief verwurzelte „Jahn-Familie“ führt zu einer sehr begrenzten Sichtweise auf die Herausforderungen eines 2. Bundesliga-Vereins. Kompetente Externe, die die notwendige Expertise mitbringen könnten, werden entweder nicht ins Boot geholt oder scheitern bereits nach kurzer Zeit. Es mangelt an einer klaren Strategie und einem funktionierenden Management, das den Anforderungen des Profifußballs gerecht wird. Zu oft wird in Regensburg der Eindruck erweckt, dass man lieber den „guten alten Weg“ gehen möchte, anstatt sich den aktuellen Herausforderungen unter den Rahmenbedingungen zu stellen.
Aber was sind die Rahmenbedingungen des Jahn? Positiv gesehen: Ein kleiner Verein, der dank sehr guten Wirtschaftens zwar nicht reich, aber gesund ist und deswegen in der oberen Hälfte der 3. Liga bis zum Ende der 2. Liga gut aufgehoben scheint. Die Infrastruktur wird stetig ausgebaut, das NLZ als Grundstein für den langfristigen Erfolg des Jahns gefestigt – Erfolge, die jedoch den Fans nur unzureichend kommuniziert werden. Eine offene und transparente Kommunikation würde für mehr Verständnis sorgen und den Fans das Gefühl der Teilhabe an diesem Prozess vermitteln. Die wenigen Führungsposten, die frei werden, sind mit Kräften aus dem eigenen Telefonbuch nachbesetzt und sorgen so auf dem ersten Blick für Kontinuität und Verlässlichkeit.
Schaut man weniger gewogen auf den Jahn, steht da aber auch ein Verein, der in zwei Jahren drei Sportdirektoren und drei Trainer hatte, der seit einem Jahr effektiv in einer sportlichen Krise steckt und seit der Pokal-Niederlage gegen Rostock 2021 herumtaumelt und nie eine stabile Basis über Hin- oder Rückrunden hinweg findet. Hören Fans in den Verein, muss man sich mit PR-Sprech oder hemdsärmeliger Provinzprosa abfinden. Gerade die Attitüde des „familiären Vereins“ steht der Weiterentwicklung, so der Eindruck einiger, zusehends entgegen, weil sie eine Abwehrhaltung entwickelt hat, statt eine positive Strahlkraft zu entwickeln. Beierlorzer spricht auf der Mitgliederversammlung von Mut – Mut, den wir aber auch im Handeln wie auf dem Feld erwarten.
(K)ein Chaos
Abgesehen von all diesen operativen Problemen ist auch die Rolle Hans Rothammers nicht zu vergessen. Er hat als Vorsitzender nicht nur beide sportlichen Verantwortlichen eingestellt, er tritt auch immer wieder bei konkreten Entscheidungen und in der öffentlichen Kommunikation – vor allem auf der Mitgliederversammlung – in Erscheinung. Dass sich einige Probleme auch über mehrere Jahre, verschiedene Trainer und inzwischen drei Sportdirektoren hinweg nicht lösen ließen, muss man ihm ankreiden und dabei die Frage stellen, inwiefern sein Einfluss, seine Art und seine Entscheidungen die Probleme lösen – oder ihre Lösung verhindern. Bis heute ist unklar, wie der Bewerbungsprozess für Tobias Werner und Roger Stilz aussah und weshalb erneut Diskussionen zu jener Position entstehen. Der Jahn ist, wie er richtig angemerkt hat, kein Chaosverein. Welche Bezeichnung verdient aber ein Verein mit drei Trainern und Sportdirektoren in zwei Jahren?
Denn statt einen Plan und ein Konzept zu haben, wohin man diesen großartigen Verein sportlich entwickeln will, arbeitet man beim Jahn zunehmend von Jahr zu Jahr. Das funktioniert auch relativ zuverlässig, wenn man die letzten Jahre betrachtet. Bestenfalls ist der Klub auf einem Niveau angelangt, auf dem er sich mittelfristig halten kann. Fast wäre man geneigt, das unter den gegebenen Umständen schon als bestmöglichen Erfolg zu verbuchen. Leider taumelt der Klub seit dem Abgang von Keller mit jedem Jahr etwas weiter dem Chaos entgegen – auch wenn wir in Liga 2 spielen.
Dass man mit diesem unattraktiven und uninspirierten Stückwerk jedoch weder Fanherzen noch Spiele bzw. einen Klassenerhalt gewinnt, erfährt der Jahn dieses Jahr besonders. Sollte man die Substanz in diesem Bereich jedoch weiter abbauen, während Plastikclubs mit nicht versiegender Brieftasche oder überperformende Vereine mit klaren Konzepten aufwarten, wird auch das bald nicht mehr selbstverständlich sein. Dann bräuchte es einen noch viel radikaleren Neuanfang.