MillernTon
·21. Oktober 2025
Die Mitte finden – aber wie?

In partnership with
Yahoo sportsMillernTon
·21. Oktober 2025
Nach vier Niederlagen in Folge ist der FC St. Pauli auf dem Boden der Tatsachen angekommen und muss schnellstmöglich wieder zur eigenen Stärke zurückfinden.(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Es ist durchaus untypisch, dass sich Andreas Bornemann nach Spielen in der Mixed Zone den Fragen von Medien-Vertreter*innen stellt. Insofern war es schon bemerkenswert, als der Sportchef des FC St. Pauli genau das am Sonntagabend nach der 0:3-Niederlage gegen die TSG Hoffenheim tat.
Dort stellte Bornemann sich mehr oder weniger demonstrativ vor die Mannschaft, erklärte, dass man insgesamt „kein so schlechtes Spiel gemacht“ habe und versuchte den Diskurs eher in Richtung VAR zu verschieben („Ich frage mich, warum bei uns zum wiederholten Male die halbautomatische Abseitserkennung nicht funktioniert“). Auch die Frage nach dem vermeintlich fehlenden Aufbäumen des FC St. Pauli wischte er weg („Nein, überhaupt nicht. Gar nicht.“).
Der Sportchef des FC St. Pauli betonte, dass es nach der vierten Niederlage in Serie nun darum gehe alles richtig einzuordnen und ruhig zu bleiben. Denn: „Ein Negativlauf mit mehreren Spielen, die wir nicht gewinnen oder verlieren, ist jetzt nichts, was uns völlig überrascht.“ Für den FC St. Pauli gilt es nun Lösungen zu finden. In der Vorsaison, so Bornemann, sei das Team richtig schlecht in die Saison gestartet, habe es am Ende aber trotzdem geschafft. Weil „die Basics immer die gleichen“ gewesen sind, habe man sowohl im Erfolg, als auch im Misserfolg „eine gute Mitte gefunden.“ Genau darauf komme es auch nun wieder an: „Wir müssen die richtigen Schlüsse ziehen.“
Was aber sind die „Basics“ des FC St. Pauli? Für Sportchef Bornemann ist die Sachlage klar: „Es wird die Basis sein so lange wie möglich die Null zu halten und selber dann mit zunehmender Spieldauer das Spiel für uns zu entscheiden.“ Dass es dem Team zuletzt am Willen bzw. der richtigen Einstellung dazu gemangelt habe, sieht der 54-jährige nicht: „Den Willen und die Bereitschaft dazu möchte ich der Mannschaft nicht absprechen.“
Das ist dann vielleicht auch etwas, was team-intern angesprochen wird, wenn einzelne Protragonisten es so wahrnehmen. Nichts, was ein Sportchef Minuten nach dem Abpfiff in Mikros reden sollte (was Bornemann ja aber auch nicht getan hat), also in einem Moment, in dem mit (falsch gewählten) Worten richtig viel Unruhe in einen Verein gebracht werden kann. Team-intern dürfte das aber anders aussehen, wenn man die Aussagen von Alexander Blessin und Eric Smith liest.
Auffällig war nämlich die doch recht schonungslose Analyse von Alexander Blessin nach Abpfiff. Zwar teilte auch er die Kritik von Bornemann an Schiedsrichter-Entscheidungen, sagte aber auch klipp und klar, dass so eine Teilzeit-Leistung des FC St. Pauli wie gegen Hoffenheim, wo der FCSP über einige gute Phasen nicht hinauskam und diese auch nicht zu eigenen Treffern nutzen konnte, einfach nicht reiche: „Unser Spiel geht immer phasenweise, aber das bringt mir nichts. Wenn wir nur 30-40 Minuten gut sind und in bestimmten Situationen nicht dazulernen, dann wird es einfach schwierig.“
Alexander Blessin hat Redebedarf mit dem Team nach der vierten Niederlage in Serie für den FC St. Pauli. // (c) Stefan Groenveld
In bestimmten Situationen nicht dazulernen – in der Analyse dürfte die Szene vor dem 0:1 viel Beachtung finden, als der FC St. Pauli es zum wiederholten Male in dieser Saison nicht schaffte den Raum vor der eigenen Fünferkette zu schließen. Denn es zieht sich leider wie ein roter Faden durch die bisherige Saison, dass es immer wieder Probleme bei der Abstimmung zwischen und innerhalb von Innenverteidigung und Doppelsechs gibt. Hauke Wahl mahnte das auch schon während des sehr positiven Saisonstarts mehrfach an, dass es da noch hapert. Das hängt sicher mit zwei Dingen zusammen:
1. Die Doppelsechs spielt noch nicht lange zusammen, beim FC St. Pauli und auf diesem Level.Alexander Blessin monierte nach der jüngsten Niederlage, dass die Staffelung der Doppelsechs nicht gepasst, dass man zu sehr auf einer Linie gestanden habe. Das 0:1 ist ein Beispiel für so eine fehlende Staffelung. Davor kritisierte er ebenfalls die Positionierung der Doppelsechs in der Situation beim 1:0 des SV Werder Bremen.Ein Grund hierfür: So richtig lange spielen Fujita und Sands diese Position noch nicht gemeinsam und auch nicht in der Bundesliga und dem FC St. Pauli.Bevor das aber als alleserklärende Variable genommen wird: Die Doppelsechs der TSG Hoffenheim, bestehend aus Avdullahi und Burger, ist auch neu seit dieser Saison und hat zuvor auch keine Erfahrung auf diesem Niveau sammeln können (ist aber natürlich qualitativ bereits auf einem anderen Level). Hier darf also noch mehr von Fujita und Sands erwartet werden. Aber Stabilität auf der Doppelsechs muss auch kommen, wenn man die Klasse halten möchte.
2. Die personelle Situation in der InnenverteidigungDie Abstimmungsprobleme hängen auch sehr direkt mit dem neu hineingeworfenen Personal in der Innenverteidigung zusammen. Es ist eben ein Unterschied, ob die Herren Wahl, Mets und Nemeth spielen oder Ritzka, Smith und Dźwigała – das klingt hart, ist aber so.Alexander Blessin erklärte nach dem Spiel, dass die Probleme in der zweiten Halbzeit, der fehlende Zugriff und die enorm passive Spielweise, auch direkt mit der immer wieder wackeligen Entscheidung zusammenhing, wann und ob die Innenverteidiger ihre Kette verlassen, um weiter vorne zur Verteidigungsaktion anzusetzen. Blessin: „Es sind in der Summe Fehler, die wir abstellen können, die einfach zu verteidigen sind.“Dementsprechend groß ist die Hoffnung, die es durch die Rückkehr von Mets und Wahl nun gibt. Beide können der Innenverteidigung Klarheit und Stabilität verleihen. Mets habe in den vergangenen Wochen, so Blessin, das B-Team des FCSP im Training zu guten Leistungen angetrieben. Genau so einen Impuls „brauchen wir jetzt definitiv“.
Was der FC St. Pauli auch braucht, ist das Wiederfinden der eigenen Torgefahr. Davon gab es zuletzt schlicht zu wenig. Und wenn doch, dann wurden die Chancen nicht genutzt. Dieses Thema fokussiert sich aktuell ein wenig in Richtung Martijn Kaars, der gegen Hoffenheim viel besser die Wege in die Tiefe fand als noch gegen Bremen. Die dadurch gestiegene Torgefahr wird auch in den Treffern münden, da ist Blessin sicher: „Wenn du die Trainingseinheiten siehst: Er hat eine unglaubliche Quote in der Box. Sowas habe ich selten gesehen.“ Bevor hier jetzt ein „Na klar, der will ihn nur starkreden!“ kommt: In der Vorsaison sagte Blessin Ähnliches immer wieder über Morgan Guilavogui. Bei dem ist dann irgendwann der Knoten geplatzt.
Problematisch ist aber nicht nur der Abschluss an sich (man frage auch gerne mal bei Mathias Pereira Lage nach, der den höchsten xG-Wert aller Bundesligaspieler ohne Treffer hat). Dem FC St. Pauli gelingt es auch zu selten überhaupt in Abschlusssituationen zu kommen. Viele Flanken führten auch gegen Hoffenheim erneut ins Leere. Für Blessin ist dabei sowohl die Qualität der Hereingabe („Da hapert es so ein bisschen. Auch beim Timing, wann ich so einen Ball spiele.“) als auch die Positionierung in der Box („Ich will, dass die zwei Jollys ballfern so weit einrücken, dass sie mindestens einen zweiten Ball abfischen können.“) ausbaufähig.
Neben den Abstimmungsproblemen in der Defensive, die dazu führten, dass der FC St. Pauli nun inzwischen bereits zwölf Gegentreffer zu beklagen hat und in sechs von sieben Spielen in Rückstand geriet, sind dann genau diese Rückstände auch ein Problem an sich. „Du hast gemerkt: Die Köpfe gehen runter“, erklärte Alexander Blessin in Bezug auf die Gegentore am Sonntag. Das Team des FCSP sei „nicht gefestigt genug in der Birne, um nochmal zurückzukommen“. Dieses Selbstverständnis müsse man sich nun wieder erarbeiten. Und das, so der FCSP-Cheftrainer, gehe nur über das Training: „Niederlagen sind nie gut für das Selbstvertrauen. Jede Niederlage und Serie tut weh. Es gibt nur einen Weg, wie man sich das Selbstvertrauen zurückholt und das ist über die Basics.“
Zudem hat Alexander Blessin etwas ausgemacht, was ihm überhaupt nicht gefallen dürfte. Man müsse wieder mehr als Team auftreten, moniert er: „Da sind immer noch zu viele Facetten im Spiel, wo ich das Gefühl habe: Wir denken nicht gleich.“Ebenfalls in die Köpfe hineinkommen möchte Eric Smith, der nach Abpfiff gar von einem nun anstehenden „Charaktertest“ sprach und erklärte: „Es sind Kleinigkeiten, die Unterschiede ausmachen. Wenn die Kleinigkeiten gegen uns sprechen, dann müssen wir in den Spiegel schauen und feststellen, dass wir etwas nicht gut genug machen.“ Hierbei nahm er auch sich selbst in die Pflicht: „Es startet mit uns Führungsspielern. Wir müssen jetzt das ganze Team pushen.“
Vier Niederlagen in Folge, besonders nach zuvor sieben Punkten aus drei Spielen, tun weh. Sie drücken extrem auf die Stimmung. Mir persönlich ist dabei aufgefallen, dass es eine recht große Überschneidung gibt: Viele Leute, die jetzt schreien, dass der FCSP mit Pauken und Trompeten absteigt, haben nach drei Spieltagen laut die Qualifikation für den Europapokal prognostiziert. Das ist im Team sicher nicht so. Dort wird hoffentlich die von Bornemann erwähnte „Mitte“ gefunden.
Einen Mutmacher gibt es auf jeden Fall. Denn es gab so eine Phase auch in der Vorsaison: In die Rückrunde startete der FC St. Pauli mit sieben Punkten aus drei Spielen. Es folgten vier Niederlagen in Serie (Leipzig, Freiburg, Mainz und Dortmund), das Team erzielte in dieser Phase sogar keinen einzigen Treffer. Dann gab es einen unverhofften Punktgewinn auswärts in Wolfsburg – und von den restlichen neun Partien verlor der FCSP nur noch drei. Am Saisonende konnten alle feiern und viele sich vermutlich nicht mehr vorstellen, wie sie nach der vierten Niederlage in Serie geschimpft haben.
// Tim
Alle Beiträge beim MillernTon sind gratis. Wir freuen uns aber sehr, wenn Du uns unterstützt.
// Teile diesen Beitrag mit Deinem Social Media Account (Datenübertragung erfolgt erst nach Klick)
Live