Rund um den Brustring
·25. November 2024
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Entgegen seiner bisherigen Ankündigungen kandidiert Interimspräsident Dietmar Allgaier jetzt doch für eine reguläre Amtszeit an der Spitze des VfB e.V.. So gut er den Posten derzeit auch ausfüllt: Strukturell sind die Rahmenbedingungen seiner Kandidatur ein Problem für den Verein.
In knapp einem Monat ist schon Weihnachten und während die Fußballprofis bis dahin noch einige abzureißen haben, gab es aus Sicht des VfB am vergangenen Freitag schon Bescherung. Denn Dietmar Allgaier, vom Vereinsbeirat nach der Abwahl von Claus Vogt und dem Rücktritt seines Stellvertreters Rainer Adrion im Sommer als Interimspräsident eingesetzt, kündigte an, bei der nächsten Mitgliederversammlung am 22. März kommenden Jahres für eine reguläre Amtszeit zu kandidieren. Der allgemeinen Lesart nach macht er damit vielen Menschen im Verein eine Freude, die in ihm ohnehin den perfekten Kandidaten gesehen hatten. Irgendjemand war sogar so erfreut, dass Carlos Ubina — der im August noch Erwin Staudt ins Amt schreiben wollte — mit diesen Informationen am Vortag schon mal den kleinen Zeh ins Wasser halten durfte, um zu testen, ob das Umfeld des VfB genauso begeistert ist, wie jene, die Allgaier solange zuredeten, bis er seine bisherigen Bedenken gegen eine Kandidatur beiseite schob.
Dabei waren diese Bedenken gar nicht so klein. Dietmar Allgaier wurde 2019 vom Kreistag des Landkreises Ludwigsburg für acht Jahre zum Landrat gewählt, Anfang 2020 trat er dieses Amt an und gedenkt auch, es bis 2028 auszufüllen, so man ihn politisch lässt. Anders als Claus Vogt, Wolfgang Dietrich, Bernd Wahler, Gerd Mäuser oder Erwin Staudt wäre er als Präsident neben dem VfB also nicht nur seiner Familie und seinem Job oder der eigenen Firma verpflichtet, sondern auch den Menschen im Landkreis Ludwigsburg, beziehungsweise den Kreisratsfraktionen, die ihn gewählt haben. Nur folgerichtig hieß es deshalb auch früh von Allgaier, dass das Amt des Landrats mit dem des VfB-Präsidenten nicht auf Dauer zeitlich zu vereinen sei. Doch nun die Kehrtwende: Allgaier kandidiert und das nicht einfach so, sondern per Videobotschaft und Pressegespräch.
Dass er und Präsidiumsmitglied Andreas Grupp die kommunikative Infrastruktur der Kommunikationsabteilung der VfB AG sowie die Reichweite und Strahlkraft des Vereins für die Ankündigung und die Begründung ihrer Kandidatur nutzen dürfen, ist allein schon bemerkenswert genug, wie Podcast-Kollege Martin anmerkte:
was ich eher spannend (und ungewöhnlich?) fand, dass die “wir kandidieren” via VfB verschickt wurde. Also wir sind ja noch weit weg von Bewerbungsphase mit Vorstellung der Leute beim Wahlausschuss. Das kann er privat sagen, aber via VfB? Ich weiß nicht, muss mMn nicht sein. — twofourtwo (@twofourtwo.bsky.social) 22. November 2024 um 17:14
Dass ein amtierender Präsident, sollte er kandidieren, zur Wahl gestellt wird, ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre richtig und wichtig. Ob andere Kandidat*innen sich auch exklusiv in den Räumlichkeiten des VfB und unter Betreuung der Kommunikationsabteilung der Presse und damit den den Mitgliedern präsentieren dürfen? Ich bin gespannt. Dabei geht es gar nicht um eine Bewertung von Allgaiers Interimspräsidentschaft — die fällt nämlich meinerseits positiv aus: Er hat sich erfolgreich darum bemüht, den Vorsitz des AG-Aufsichtsrates wieder dem Präsidenten zuzuführen und wirkt selbst dann ausgleichend, wenn Wilfried Porth bei einem Dunkelroten Tisch meint, er müsse noch ein letztes Mal nachtreten. Nein, an der Person Dietmar Allgaier gibt es in dieser Hinsicht wenig auszusetzen. Vielleicht hielt man es deshalb beim VfB auch für naheliegend, ihm für seine Kandidatur diese Bühne zu bieten. Dazu gleich mehr. An seiner Kandidatur an sich gibt jedoch genug auszusetzen und das hängt zentral mit seinem politischen Amt zusammen.
Denn Allgaier ist eben anders als seine Vorgänger nicht Unternehmer oder Manager, sondern eine politische Figur. Dabei geht es mir gar nicht um sein Parteibuch, auch wenn das nicht meines wäre, sondern um die Tatsache, dass Politiker anders als Menschen aus der Wirtschaft in der Öffentlichkeit stehen und in Kritik geraten können — selbst Landräte. Umstrittene politische Themen, die Allgaier betreffen, würden in Zukunft dann auch indirekt auf den VfB abstrahlen. Denn Allgaiers Person ist dann nicht nur mit seinem Amt verbunden, sondern auch immer mit dem Verein für Bewegungsspiele. Sicher: Gerhard Mayer-Vorfelder war während seiner 25jährigen Amtszeit als VfB-Präsident 18 Jahre lang baden-württembergischer Minister und 20 Jahre lang Landtagsabgeordnerter. Aber das ist auch schon über 20 Jahre her, die Herausforderungen sind heute andere. Wie sehr die politischen Aktivitäten MVs und vor allem dessen Ansichten das Bild des VfB in der fußballfernen Öffentlichkeit geprägt haben, vermag ich allerdings nicht einzuschätzen.
Dass die Herausforderungen heute andere sind und man ein politisches Amt nicht so leicht mit dem des Präsidenten des größten und wichtigsten Vereins im Bundesland in Einklang bringen kann, der Ansicht ist Dietmar Allgaier übrigens auch weiterhin. Es sei denn, der VfB tritt in in den Hintergrund: “Gibt es eine Terminkollision, ist klar, wo ich bin: In Ludwigsburg”, erklärte Allgaier am vergangenen Freitag. Aus der terminlichen Bredouille soll deshalb in Zukunft eine Art hauptamtlicher Geschäftsführer des eingetragenen Vereins helfen, der dem Präsidium zwar unterstellt ist, ihm aber die operative Arbeit abnimmt. Wie diese Aufgabenteilung konkret aussehen soll, ist bislang noch offen. Es ensteht jedoch der Eindruck: Den Präsidenten des eingetragenen Vereins, den obersten Repräsentanten von über 100.000 Mitgliedern bekommt man in Zukunft seltener zu Gesicht, je nach Terminlage des Landratsamtes. Ums tägliche Geschäft kümmert sich ein Angestellter des Vereins, Präsident wäre Allgaier erst nach Feierabend.
Das Problem dabei: Dieser Angestellte ist zwar seinen Chefs, also dem Präsidium Rechenschaft schuldig, nicht aber den Mitgliedern. Dabei ist die Schaffung einer hauptamtlichen Stelle zur operativen Leitung des VfB e.V. durchaus sinnvoll. Nicht umsonst hat der Vereinsbeirat, wie auf dem letzten Dunkelroten Tisch vorgestellt, Vergleichswerte über die Vergütung anderer Bundesliga-Präsidenten erhoben und dabei herausgefunden, dass der VfB mit 50.000 Euro für den Präsidenten und je 25.000 für Vizepräsidenten und Präsidiumsmitglied per annum unter dem Durchschnitt liegt. Die rasant steigenden Mitgliedszahlen würden eine bessere Vergütung ermöglichen und damit das Amt auch für jene öffnen, die wirtschaftlich ein wenig abhängiger von ihrem derzeitigen Job sind als Topmanager, Unternehmer oder Politiker. Die Vergütung des Präsidiums ist übrigens eine der Aufgaben, die dem Vereinsbeirat nach der Schaffung des Wahlausschusses noch geblieben ist.
Anstatt also die Position des Präsidenten derart zu stärken, dass dieser wirtschaftlich unabhängiger ist und mehr Zeit in sein Vereinsamt investieren kann, würde im Falle eines Wahlerfolgs Allgaiers dieses Geld wohl in die Bezahlung eines Vereinsangestellten fließen, der zum einen, wie bereits erwähnt, nicht von der Mitgliedschaft kontrolliert wird und zum anderen qua Position wesentlich weniger hervorgehoben ist, als der Präsident. Immerhin verbindet Allgaier in seiner Stellungnahme das Präsidentenamt eindeutig mit dem Aufsichtsratsvorsitz. Nachdem dieser zuletzt zur Verhandlungsmasse bei Investorenverhandlungen wurde und nicht nur formell sondern auch informell dem Gutdünken der Aufsichtsräte unterlag, wäre diese Neugestaltung dennoch die nächste Schwächung es eingetragenen Vereins im Gesamtkonstrukt VfB. Zugunsten der AG, in der gerade sowohl wirtschaftlich als auch sportlich sehr vieles richtig gemacht wird und die eine gute Entwicklung nimmt. Die sich aber mit einem Präsidenten Allgaier und der Vereinspolitik noch weniger beschäftigten müsste als in der Vergangenheit, als eine vom Vorstandsvorsitzenden Alex Wehrle gegründete Arbeitsgruppe versuchte, das Ausgliederungsversprechen bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern.
Da verwundert es dann auch nicht mehr, dass Allgaiers Kandidatur erst per Standleitung nach Möhringen und dann über die VfB-Kanäle verkündet wurde. Wilfried Porth sagte einmal über Wolfgang Dietrich, dieser sei der Präsident, “den wir wollen”. Auch ein Präsident Dietmar Allgaier, der bereits betont hat, dass sein Fokus nachvollziehbarerweise auf seinem politischen Amt liegt und der das Amt des VfB-Präsidenten nur mit Unterstützung eines Geschäftsführers ausfüllen könnte, käme dem AG-Vorstand nicht ungelegen. Dass unter den zahlreichen Menschen, die Allgaier nach dessen Aussage zu einer Kandidatur zu überreden versuchten auch das ein oder andere Vorstandsmitglied war, scheint genausowenig aus der Luft gegriffen, wie die Überlegung, dass die Idee mit dem Geschäftsführer nicht etwa im Verein geboren wurde — schließlich gingen die Überlegungen des Vereinsbeirats in eine andere Richtung — sondern in der AG, deren Vorstandsvorsitzender ohnehin aus den Turbulenzen dieses Jahres mit als der starke Mann an der Mercedesstraße hervorging.
Beim VfB sollte man diesem Eindruck möglichst schnell entgegen treten. Allen Beteuerungen zum Trotz scheint es auch weiterhin nicht “nur einen VfB” zu geben. Vielmehr gewinne ich den Eindruck, dass die AG versucht, diese Position einzunehmen. Dass diese, auch bei mir, mehr in der Wahrnehmung steht, ist nachvollziehbar: Es sind die Profifußballer, die das Stadion voll machen und in der Champions League spielen, es ist die U21, die sich nach ewiger Zeit wieder in die 3. Liga hochgekämpft hat, es sind die Frauen, die derzeit durch die Regionalliga pflügen und es sind die U19 und die U17, die auch im neuen Ligenformat zu überzeugen wissen. Aber ein Verein für Bewegungsspiele — mit Betonung auf ein — ist eben nicht nur das sportliche Wohl und Wehe seiner Fußballmannschaften, sondern neben den anderen Abteilungen auch seine Fans und seine Mitglieder und deren Teilhabe.
Und die ist nicht in schweren Zeiten wichtig, in denen der Verein kurz davor steht, vor die Wand gefahren zu werden, sondern auch in erfolgreichen wie diesen. So sehr ich Dietmar Allgaier persönlich die Präsidentschaft zutraue — für Verein und Mitglieder wäre es besser, es fänden sich noch Mitglieder, die sich von der breiten internen Unterstützung für Allgaier nicht von einer Kandidatur abschrecken ließen. Und deren Priorität während ihrer Amtszeit beim VfB liegen würde.
Titelbild: © Selim Sudheimer/Getty Images