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·27. Juli 2023
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"Ich habe ihr gesagt: Warum bleibst du links? Die Idee und unser Spielplan war das nicht. Aber sie hat es trotzdem gemacht. Aus welchem Grund? Ich denke, darüber werden wir später diskutieren." Lange schien es so, als wären diese Worte der Anfang vom Ende gewesen: Der Anfang vom Ende der Karriere von Eugénie Le Sommer im französischen Nationalteam.
Es ist Juli 2019, Frankreich richtet die WM 2019 aus. Viele Hoffnungen werden in das Turnier gesetzt: Die WM soll dem Fußball der Frauen den lange benötigten Schwung verleihen, für mehr Professionalität und Sichtbarkeit sorgen. Die Ligue 1 scheint langsam hinter der englischen Super League zurückzufallen, die Zuschauerzahlen stagnieren im dreistelligen Bereich, und das Leistungsgefälle ist groß.
Was gibt es da Besseres als eine WM? Der Verband, die FFF, hofft auf Euphorie, eine Welle der Begeisterung. Auslösen soll die das französische Team, auf dem in diesem Sommer 2019 viele Erwartungen und viel Druck lasten. Zu viel Druck? Jahre später berichtet Amandine Henry von der Stimmung während dem Turnier: Viele Spielerinnen haben während der WM auf ihren Zimmern geweint, es sei ein totales Chaos gewesen.
Alles wird dem großen Ziel untergeordnet, einen Titel zu gewinnen. Frankreich ist im Fußball der Frauen schon lange gut dabei, hat mit Louisa Nécib oder Élise Bussaglia prägende Spielerinnen der letzten Dekade hervorgebracht. Über das Halbfinale kam Frankreich bei einer WM aber nie hinaus. Deutschland oder die USA waren dann doch den berühmten Schritt weiter.
Aber 2019, mit den Fans im Rücken, soll sich das ändern. Von Beginn an steht Frankreich unter intensiver Beobachtung, tut sich schon in der Gruppenphase schwer. Dank der Kopfballstärke von Abwehrchefin Wendie Renard schaffen sie es in das Viertelfinale, dort wartet der Angstgegner USA. Vor 45.595 Zuschauern im Parc des Princes trifft Rapinoe zweimal zum genau richtigen Zeitpunkt, Frankreich kommt nur noch zu einem späten Anschlusstreffer.
Aus der Traum. Nicht mal für die Qualifikation für die Olympischen Spiele hat es gereicht. Die Ernüchterung ist groß, und natürlich wird nach Schuldigen gesucht. Bis heute sitzt der Schmerz dieser Viertelfinal-Niederlage in Frankreich tief. Der WM-Effekt verpuffte trotz Rekord-Quoten im Fernsehen, und viele Franzosen bekamen von dem Turnier nicht mal etwas mit. Die Liga dümpelt bis heute weiter vor sich hin.
Viel Kritik hagelt es an Trainerin Corinne Diacre, die 2019 ihr erstes großes Turnier mit dem Nationalteam bestreitet. Warum hat Diacre nicht Marie-Antoinette Katoto in den Kader berufen, die in der Saison beste Torschützin der Liga gewesen war? Warum schafft es ihr Team nicht, bei all dem Talent Chancen zu kreieren?
Diacre wehrt sich gegen die Kritik. Nicht nur, indem sie sich und ihre Entscheidungen verteidigt. Stattdessen greift sie Eugénie Le Sommer an, die sie bei der WM noch in höchsten Tönen gelobt hat. Selbst wenn sie nur 80% ihrer Leistung bringe, sei Le Sommer unersetzlich, sagt sie da. Jetzt klingt es plötzlich ganz anders: Le Sommer habe ihre Anweisungen nicht befolgt, sie habe sich auf ihrem linken Flügel zu wenig bewegt, sie habe den Spielplan missachtet.
Der verbale Angriff schlägt hohe Wellen, denn Eugénie Le Sommer ist nicht irgendwer. Seit sie 2009 ihr Debüt in der Équipe Tricolore gegeben hat, war Le Sommer an den größten Erfolgen des Teams beteiligt. Als flexibel einsetzbare Offensivspielerin schießt sie Tor um Tor, gewinnt mit Olympique Lyonnais unzählige Titel und ist Rekordtorschützin des Klubs. Eugénie Le Sommer steht für Erfolg, für den Erfolg, nach dem sich das Nationalteam schon so lange sehnt.
Ab der WM 2019 wird die Stimmung im französischen Team immer angespannter. Le Sommer wird zunächst weiterhin in den Kader berufen, aber verliert ihren Stammplatz. Trotzdem wird sie mit 89 Toren Rekordtorschützin von Les Bleues. 2020 verkündet Torhüterin Sarah Bouhaddi ihren Rücktritt, solange Diacre Trainerin ist. Einige Monate später streicht die umstrittene Trainerin auch Amandine Henry, von vielen als Frankreichs beste Mittelfeldspielerin bezeichnet.
Weitere Spielerinnen melden sich und kritisieren Diacre: ihre Trainingsmethoden, ihre Taktik, ihren Umgang mit dem Team. Der Verband mit Präsident Noel Le Graet aber steht fest hinter der Trainerin, auch als weitere Vorwürfe ans Licht kommen. Für Le Graet ist das einzige Problem die Kommunikation, fachlich hält er Diacre für unersetzbar. Aber dass zwischen Diacre und den Spielerinnen sehr viel im Argen liegt, wird immer deutlicher.
Diacre will das Team radikal verjüngen, und sie trifft die drastische Entscheidung, Eugénie Le Sommer und Amandine Henry für die EM 2022 nicht zu nominieren. Le Sommer ist nicht mehr die Jüngste, sie hat nicht mehr das gleiche Tempo wie bei der WM 2011 und spielt bei Lyon nicht mehr die erste Geige. Aber bei einer Leihe in die amerikanische NWSL zeigt sie, dass sie es immer noch kann, und wird in die Elf der Saison 2021 gewählt. Henry, die die Trainerin mehrmals offen kritisiert hat, erzählt später, dass Diacre ihr die Entscheidung in einem nur 14-sekündigen Telefonat mitgeteilt habe.
Die EM ist wenig überraschend von den Diskussionen rund um die Trainerin und ihre Entscheidungen überschattet. Nach einer überzeugenden Vorrunde verliert Frankreich im Halbfinale gegen Deutschland. Schon wieder kein Titel, und das obwohl der Verband dem sportlichen Erfolg so viel untergeordnet hatte: Den Willen der Spielerinnen und die Atmosphäre im Team zum Beispiel.
Im Februar 2023 explodiert die Situation dann, als Abwehrchefin Wendie Renard und weitere Spielerinnen ihren Rücktritt einreichen, solange sich nichts ändert. Verbandschef Le Graet steht weiter zu seiner Trainerin, aber als er selbst zurücktritt, steht der Entlassung von Diacre nichts mehr im Wege.
Mit Hervé Renard kann der Verband einen Trainer gewinnen, der im Fußball der Männer schon einige Erfolge erzielte. Renard macht die Verjüngungs-Politik seiner Vorgängerin rückgängig und holt Le Sommer und Henry wieder mit ins Boot. Henry fällt kurz vor der WM doch noch mit einer Verletzung aus - eine extrem bittere Nachricht für die Mittelfeldspielerin, die wider aller Erwartungen ihre letzte WM spielen wollte.
Auch Eugénie Le Sommer hatte schon den Traum einer weiteren WM aufgegeben - es wird für die 34-Jährige wohl die letzte sein. "Als mein Name fiel, konnte ich es nicht glauben, so sehr hatte ich zwei Jahre lang auf jede Liste gewartet. Das sind viele Emotionen", sagte Le Sommer, als der Kader Frankreichs verkündet wurde. Unter Renard steht sie nicht nur im Kader, sondern bildet gemeinsam mit Kadidiatou Diani das Sturmduo.
Le Sommer bringt noch immer vieles von dem mit, was eine Top-Stürmerin ausmacht. Für Frankreich wird sie vermutlich weniger auf dem Flügel mit Dribblings wirbeln als früher, und mehr den klassischen Job einer Stürmerin erfüllen. Den Instinkt für die richtigen Räume hat sie nicht verloren, Le Sommer ist immer für einen Abstauber zu haben. Sie überlegt sich genau, ob sie auf das Tor schießt, und wenn sie das tut, wird es fast immer gefährlich. Ihren xG pro Schuss von 0,23 übertraf letzte Saison in den europäischen Ligen nur die Nigerianerin Asisat Oshoala.
Gemeinsam mit ihren Teamkolleginnen will sie nun Frankreichs Titel-Fluch brechen. In vielerlei Hinsicht ist diese WM ein Gegenpol zu der letzten: Weniger Druck, ein Trainer, der viel auf Kommunikation setzt, kein Favoriten-Status. Vielleicht sind das bessere Voraussetzungen als vor vier Jahren. Le Sommer zumindest hat trotz all der Enttäuschungen die Hoffnung nicht aufgegeben.
"Wir sagen es uns jedes Mal, wir wollen gewinnen, wir wollen mit der französischen Nationalmannschaft bis zum Ende eines Wettbewerbs kommen", sagt sie. "Wir sagen es uns dieses Jahr noch einmal und ich hoffe, dass dieses Mal das richtige ist. Ich habe gespürt, dass alle Mittel bereitgestellt wurden, damit wir Erfolg haben, und das ist wichtig."
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