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·20. August 2025
Gladbach vor Saisonstart: Zwischen Fohlen-Mythos und grauer Maus

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·20. August 2025
Selten waren die Gefühle zum Start in eine neue Bundesliga-Spielzeit wohl so gemischt für die Fans von Borussia Mönchengladbach. Der Verein schwankt zwischen euphorischen Jubiläumsfeierlichkeiten und der Sorge vor einer weiteren Saison im tristen Mittelmaß.
Noch im August zeigte sich wieder einmal, welche enorme Strahlkraft die Borussia als begeisternder Fußballclub vom Niederrhein entwickeln kann. Zur Jubiläumsfeier anlässlich von 125 Jahren Borussia kamen zahlreiche Vereinslegenden, prominente Wegbegleiter und natürlich die Fans zusammen, um das Bestehen des Klubs ausgelassen zu feiern. Besonders im Mittelpunkt standen vergangene Triumphe und nostalgische Geschichten glorreicher Jahre der Vereinsgeschichte. Die Sehnsucht nach ähnlich erfolgreichen Zeiten ist groß bei den Fohlen.
Doch einige blicken indes eher skeptisch in die Zukunft des Clubs. Nach einer zuletzt in Phasen durchaus gelungenen Saison konnte das angestrebte Ziel, der einstellige Tabellenplatz, erneut nicht erreicht werden. Dennoch entschied sich Sportdirektor Roland Virkus (58), der zudem weiterhin selbst das Vertrauen des Borussia-Präsidiums erhält, für die Personalie Gerardo Seoane (46) an der Seitenlinie der Fohlen. Eine Entscheidung, die durchaus kritisiert wird.
Schließlich war der Schweizer Coach durch einige brisante Personalentscheidungen und der anfälligen Defensive seiner Elf zeitweise in Ungnade gefallen. Andererseits hat der 46-Jährige seine Qualitäten als Trainer durchaus bereits bewiesen. Gerade in der Mittelphase der abgelaufenen Spielzeit überzeugte der VfL mit Resilienz, Abwehrstärke und einem variablen Kader. Besonders junge Talente konnte Seoane zudem in seiner Zeit bei der Borussia stets fördern, zuletzt schafften Lukas Ullrich (21), Tiago Pereira Cardoso (19) oder Fabio Chiarodia (20) den Sprung in die erste Mannschaft.
Es ist also nicht alles schlecht am Niederrhein, im Gegenteil. Dem pessimistischen Gladbach-Fan kann für die kommende Spielzeit durchaus Hoffnung gemacht werden.
Schon vor Saisonbeginn traf Gerardo Seoane eine knallharte Entscheidung. Der Mannschaftsrat inklusive Kapitänsamt wurden einmal auf links gedreht, in Zukunft soll der noch bis zum Oktober verletzte Tim Kleindienst die Binde tragen. Dahinter ist mit Rocco Reitz (23) eine absolute Identifikationsfigur sein Stellvertreter. Komplettiert wird der Mannschaftsrat durch Philipp Sander (27), Neuzugang Kevin Diks (28) und Nico Elvedi (28), der bereits seit zehn Jahren das Borussia-Trikot trägt. Die bis dato amtierenden Kapitäne Jonas Omlin (31) und Julian Weigl (29) fallen ganz raus aus dem Führungskreis.
Eine mutige Entscheidung – aber sicherlich die richtige. Nationalspieler Kleindienst zeigte in der vergangenen Saison neben seinen Leistungen auf dem Spielfeld (16 Tore und zehn Vorlagen) auch neben dem Platz, wie wichtig er für die Mannschaft ist. Und dem Gladbacher Jungstar Reitz dürfte aufgrund seiner kämpferischen und leidenschaftlichen Spielweise die Zukunft im Mittelfeld der Fohlenelf gehören.
Die Degradierung von Torwart Jonas Omlin als Kapitän blieb derweil nicht dessen einzige in diesem Sommer. Im gleichen Atemzug der Verkündung des neuen Mannschaftsrats ließ Seoane verlauten, dass Moritz Nicolas (27) als Nummer 1 in die Saison 2025/26 starten wird. Auch diese Entscheidung ist logisch und absolut nachvollziehbar. Die Statistiken sprechen klar für den gebürtigen Gladbecker: In seinen 19 Bundesliga-Spielen der abgelaufenen Spielzeit kassierte er 25 Gegentore. Obwohl Omlin sieben Partien weniger als Nicolas im Tor stand, hat der Schweizer mit 27 trotzdem mehr Gegentore zu verzeichnen.
Die früh geklärten Hierarchien innerhalb der Mannschaft dürften für Ordnung sorgen – und zugleich frische Impulse bringen, welche die neuen Gesichter im Spielerrat einbringen.
(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)
Neben bereits erwähntem Kevin Diks haben auch Jens Castrop (22), Shuto Machino (25) und Haris Tabakovic (31) per Transfer in diesem Sommer ihren Weg an den Niederrhein gefunden. Der erst 22-jährige Castrop kam für 3,5 Millionen Euro vom Zweitligisten aus Nürnberg und gilt im zentralen Mittelfeld als großes Talent. Durch seine Zweikampfstärke und Aggressivität mit und gegen den Ball könnte der gebürtige Düsseldorfer mittelfristig eine wichtige Rolle beim VfL einnehmen. Auch die Flexibilität gehört zu einer der Stärken von Castrop, der in der Vorbereitung ebenfalls auf der defensiven Außenbahn zum Einsatz kam. Flexibilität ist bei den diesjährigen Transferaktivitäten ohnehin ein großes Stichwort. So ist der Japaner Machino in der Offensive vielseitig einsetzbar. Der 8-Millionen-Euro-Mann aus Kiel war in der abgelaufenen Spielzeit mit elf Toren und drei Vorlagen der absolute Top-Scorer bei den Störchen, nun soll er auch die Angriffsreihe der Borussia mit seinen Dribblings und Toraktionen verstärken. Der ablösefrei aus Kopenhagen gekommene Diks kann desweiteren sämtliche Positionen in der Abwehrreihe bekleiden.
Doch insbesondere die Transfers von Diks und Machino birgen aus verschiedenen Gründen Risiken. Der Innenverteidiger war zuletzt immer wieder wegen Verletzungen ausgefallen, auch im Pokalspiel gegen den SV Atlas Delmenhorst (3:2) musste er aus diesem Grund verfrüht ausgewechselt werden. Machino konnte bis dato erst gar kein Spiel für die Fohlen bestreiten, der 25-Jährige laboriert noch an einer Wadenverletzung. Und auch bei der Leihe von Tabakovic als Kleindienst-Ersatz bleibt ein Restrisiko. Schließlich konnte der Torschützenkönig der Saison 2023/24 aus der zweiten Bundesliga nach seinem Wechsel vor einem Jahr zur TSG Hoffenheim seine Qualitäten in der höchsten deutschen Spielklasse noch nicht unter Beweis stellen. Sollte Machino noch weiter ausfallen, könnte Gladbach im Sturm zu dünn aufgestellt sein. Werden Diks, Machino und Co. rechtzeitig fit und ihre individuellen Stärken ins Team eingebaut, können sich die Borussia-Fans jedoch auf echte Verstärkungen freuen.
(Photo by IMAGO)
Der Gewinn der deutschen U17-Meisterschaft war eines der größeren Highlights in der jüngsten Historie von Borussia Mönchengladbach. Erstmalig nach 1981 krönten sich die B-Junioren der Fohlen mit dem Meistertitel. Vor Rekordkulisse im Borussia-Park hieß es am Ende 3:1 gegen RB Leipzig. Die Helden dieses Triumphs: Unter anderem Wael Mohya (16), Can Armando Güner (17) oder Niko Horvat (16), um nur ein paar zu nennen. Sportdirektor Roland Virkus hat es sich zum Auftrag gemacht, ,,dass wir diese ‚Goldene Generation‘ entwickeln und durchbringen müssen“.
Und auch Geschäftsführer Dr. Stefan Stegemann betonte bei Vorbereitungsstart die elementare Rolle der Entwicklung junger Talente: ,,Borussia muss zurück zum ‚Fohlenfußball‘. Das ist die Strategie.“ Das Motto „Mut zur Jugend“ wurde auch in der Saisonvorbereitung ersichtlich. Insbesondere Kilian Sauck (18), Niklas Swider (18) und Wael Mohya fielen durch ihre fußballerischen Anlagen auf und dürften sich in den kommenden Monaten Spielzeiten in der ersten Mannschaft erhoffen. Letzterer fällt zwar durch eine Knieverletzung, zugezogen im Jubiläumsspiel gegen den FC Valencia, bis zum September aus. Dennoch könnte Mohya mit seinen erst 16 Jahren noch in diesem Jahr den großen Schritt gehen – und damit zum jüngsten Bundesligaspieler in der Gladbacher Vereinsgeschichte werden.
Talente fördern, ihnen Spielzeit geben und so die Fohlen-Philosophie zu leben – ein Weg, der Gladbach künftig Erfolg versprechen könnte. Kann Borussia den „Mut zur Jugend“ bereits in der Saison 2025/26 konsequent umsetzen, sollte das der Dynamik im Profiteam zugutekommen.
Doch trotz positiver Aspekte bleibt die Unsicherheit, wenn es am Sonntagnachmittag im Borussia-Park zum Saisonauftakt gegen den Hamburger SV geht. Zu ungewiss sind die Personalsituation auf und neben dem Platz und die Sorge vor einer weiteren enttäuschenden Saison. Borussia steckt im Zwiespalt: zwischen Jubiläumseuphorie und sportlicher Skepsis. Mit einem gelungenen Auftakt könnten die Weichen richtiggestellt werden – dafür stehen Gerardo Seoane und sein Team in der Verantwortung.
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