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·20. Oktober 2020
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·20. Oktober 2020
Spotlight | Das Merseyside-Derby lieferte über die sportliche Aussagekraft hinaus einiges an Sprengstoff. Die Knieverletzung bei Liverpools Schlüsselspieler van Dijk dürfte für den amtierenden Meister der größte anzunehmende Unfall sein.
Man muss sich nicht weit aus dem Fenster lehnen um eine Feststellung über die Mannschaft vom amtierenden, englischen Meister aus Liverpool zu treffen. Virgil van Dijk (29) ist der wichtigste Spieler dieser Mannschaft. Bevor der Niederländer zu Jürgen Klopp (53) und seiner Mannschaft stieß, waren die Reds nicht ansatzweise auf dem titelbringenden Niveau der letzten beiden Jahre. Erst der Hüne, der aus Southampton kam und die Rolle des Abwehrchefs nicht nur nahtlos annahm sondern auch beeindruckend ausfüllte, gab dem Team die Balance, die Liverpool zu einer der besten Mannschaften Europas machte. Doch der Fall, den viele Experten immer wieder mahnend in den Ring warfen, ist nun eingetreten. Van Dijk wird lange verletzt ausfallen. Der GAU für die Reds ist eingetreten. Kann das Team von Jürgen Klopp diesen Ausfall kompensieren? Und wenn ja: Wie?
Der erste Teil der Frage ist noch recht einfach beantwortet. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die Reds den Ausfall des niederländischen Nationalelf-Kapitäns ein zu eins ersetzen können. Van Dijk gilt nicht ohne Grund als vielleicht bester Innenverteidiger der Welt und das Team von der Anfield Road, wie jede andere Mannschaft auf der Welt, hat sicherlich nicht zwei Spieler seines Kalibers auf Abruf bereitstehen. Was seine Stärken in der Luft und bei langen Diagonalbällen zur Spieleröffnung angeht, kann keiner der möglichen Ersatzspieler mithalten. Seit van Dijk die Defensive anführt, sind alle beachtenswerten Kennzahlen der Defensive verbessert. Weniger Gegentore im Schnitt, weniger zugelassene Torschüsse uvm:
Gerade in Kombination mit dem Ausfall von Stammkeeper Alisson Becker (28) geht der Defensive Klopps neben all der spielerischen Klasse vor allem Sicherheit verloren. Und zwar in einem Maße, welches im Endeffekt den Kampf um die Spitze der Tabelle in England maßgeblich, und zum Nachteil Liverpools, beeinflussen könnte. Aufgeben wird man den Kampf um die Titelverteidigung an der englischen Hafenstadt dennoch nicht. Doch welche Möglichkeiten hat der deutsche Coach, diesen harten Schlag abzufedern?
Der zweite Teil der Frage wird der Knackpunkt sein, der wohl die Erfolgsaussichten in der Saison 2020/2021 entscheiden wird. Wie wird sich Liverpools Startelf in den nächsten Monaten gestalten, welche Spieler sind gefragt, um den Niederländer ordentlich zu ersetzen? Ein Blick auf den Kader und die Personalauswahl Klopps legt im ersten Moment zwei wahrscheinliche Lösungen nahe (Das Youngster van den Berg nun ins kalte Wasser geworfen wird, zählt nicht dazu). Die eher konservative Wahl wäre, Joe Gomez (23) auf die linke Position der Innenverteidigung zu ziehen und ihn gemeinsam mit Joel Matip (29) ins Gefecht zu schicken. Gomez gilt zurecht als hochveranlagt, bringt vor allem im Bereich der Geschwindigkeit und der Physis vieles mit, was man sich von einem modernen Innenverteidiger wünscht.
Doch der englische Nationalspieler hat nach mehreren Verletzungen im jungen Alter Probleme mit der Konstanz seines Spiels, wirkt zeitweilig regelrecht gehemmt. Als Richarlison (23) im Merseyside-Derby auf unansehnliche Art und Weise Thiago Alcantara (29) niederstreckte, sank der noch junge Defensivmann direkt schockiert auf die Knie. Seine eigene Verletzungsgeschichte ist immer präsent. Die Ruhe, das Selbstverständnis eines van Dijks kann man nicht von Gomez erwarten. Auch im Spielaufbau fehlen bei ihm die langen Diagonalbälle des Niederländers. Sollte die Lösung Klopps auf das Innenverteidiger-Duo Gomez/Matip fallen, wird es dringender Zeit für den nächsten Schritt bei Joe Gomez als man sich gewünscht hätte.
Eine andere Variante um den Ausfall des prägenden Verteidigers der letzten Jahre aufzufangen, wäre es, den Blick zum Konkurrenten in Manchester zu wagen. Gerade wenn sich die Frage der Spieleröffnung stellt, wäre Klopp mit Gomez und Matip im Gegensatz zur Idealaufstellung weit zurückgeworfen. Hier könnte der deutsche Trainer am Vorbild seines Widersachers aus Katalonien bedienen. Pep Guardiola (49) und sein Manchester City, sehr bedacht auf ballsicheren und intelligenten Spielaufbau auch aus der letzten Reihe, wählten im Falle einer Vakanz in der Innenverteidigung oft einen bestimmten Weg. Mit Fernandinho (35) rückte ein defensiver Mittelfeldspieler zurück in die letzte Kette. Ein Brasilianer, der im Zweikampf clever agierte und eben zudem auch ein Gefühl für das Ballbesitzspiel besitzt.
Und über solch einen Brasilianer verfügen auch die Reds. In vielen Facetten ist Fabinho (26) Fernandinho enorm ähnlich, er ist nur in einem deutlich besseren Alter, zumindest aus fußballerischer Sicht. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Sechser in der Innenverteidigung Liverpools aushilft und es würde neben dem Passspiel und der Spieleröffnung noch ein weiteres Problem der vorgenannten Lösung ungeschehen machen. Denn Gomez und Matip sind beides Spieler, die in den letzten Jahren meist die rechte Seite der Innenverteidigung besetzten, gerade Gomez agierte sogar manchmal als Rechtsverteidiger. Auch solche Nuancen können im modernen Fußball den Ausschlag geben. Wie auch immer Klopps Wahl ausfallen wird: Wenn van Dijk wieder aufläuft, werden alle im roten Teil Liverpools aufatmen.
Julius Eid